# taz.de -- Kolumne Hier und dort: Doppelte Strahlendosis, bitte! | |
> Es ist mein zweiter Sommer in Berlin und der erinnert mich schmerzhaft an | |
> die heißen Tage in Syrien – dort denkt niemand mehr an Ferien. | |
Bild: Sommer in Berlin – zum Beispiel an der Admiralbrücke | |
Dies ist mein zweiter Sommer in Berlin. Und wieder bin ich nicht dazu | |
gekommen, mich meinem Lieblingshobby zu widmen: dem Schwimmen. Es gibt in | |
dieser Stadt ja kein Meer, und an das kalte Wasser ihrer Seen kann ich mich | |
nicht gewöhnen. | |
Der Berliner Sommer geizte ein wenig mit seinen Temperaturen – bis jetzt. | |
Doch machte er das mit dem üppigen Grün seiner Straßenbäume und Parks wett. | |
Dieses Grün gibt der Stadt ein ganz anderes Gesicht als im Winter. Fast hat | |
man das Gefühl, woanders zu leben. | |
In den Parks drängen sich die nach den raren Sonnenstrahlen Gierenden und | |
hoffen darauf, dass es diesen gelingt, sich ihren Weg durch die Wolkendecke | |
zu bahnen – wobei solche Hoffnungen stattdessen oft von Regengüssen | |
vereitelt werden. | |
Die Deutschen nutzen jeden noch so kurzen Moment, in dem die Sonne | |
hervorlugt. Dann strömen sie ins Freie, um sich in ihren Strahlen zu aalen | |
und dabei ein Bier zu trinken oder ein Buch zu lesen. | |
## Vierziggradmarke | |
Eine Sitte, die mir gut gefällt und der ich mich willig anschließe. Ich als | |
Damaszenerin mit meiner sonnengegerbten Haut könnte aber locker die | |
doppelte Strahlendosis vertragen. | |
In Damaskus wird zu dieser Jahreszeit tagsüber oft die Vierziggradmarke | |
überschritten, nachts wird es angenehmer. Vor dem Krieg ist man vor der | |
Hitze der an Grün so armen Stadt in die Vororte und Dörfer der Umgebung | |
geflüchtet. Dort gab es Restaurants, Cafés und Ausflugsziele, vor allem | |
entlang des sich sanft dahinschlängelnden Barada-Flusses. | |
Für die Bewohner von Damaskus und der anderen Städte im Landesinneren war | |
es im Sommer ein Leichtes, innerhalb von zwei bis maximal vier Stunden die | |
Küstenstädte zu erreichen, die neben Meer auch Berge und dichte Wälder zu | |
bieten hatten und sich jedes Jahr in eine einzige Sommerparty verwandelten. | |
Die ganze Lebensfreude Syriens ballte sich dort. | |
Ich zeltete für gewöhnlich ein paar Tage lang mit Freunden am Meer, wo wir | |
endlose Zeit mit Schwimmen, Spielen und Lesen verbrachten oder die Berge | |
erklommen. Nach den Ferien kehrte jeder von uns an seinen jeweiligen | |
Arbeits- oder Wohnort zurück. | |
## Gekappte Verbindungswege | |
Aber das war mal. Heute sind die Städte abgeschnitten voneinander, die | |
Verbindungswege sind unsicher geworden. Nur eine winzige Minderheit kann | |
noch ans Meer fahren. | |
Und ebenso wenigen ist es noch vergönnt, aus der Innenstadt ins Umland zu | |
fahren, ohne sich dabei in Lebensgefahr zu begeben – von den horrend | |
gestiegenen Lebenshaltungskosten ganz abgesehen. Die meisten Cafés und | |
Restaurants mussten schließen oder wurden zerstört. | |
Die Menschen in Syrien sind inzwischen nicht nur dem Krieg selbst, sondern | |
auch der Natur und den extremen Temperaturen ausgeliefert. Stromausfälle, | |
fehlende Klimatisierung, Preisanstieg und Wasserknappheit sind an der | |
Tagesordnung. | |
Ihre einzige Ablenkung von der Sommerhitze ist die Sorge vor dem | |
herannahenden Winter. Denn auch die Kälte ist zu einer der vielen | |
Todesursachen geworden, von denen eine unbarmherziger ist als die andere. | |
Übersetzung: Rafael Sanchez | |
11 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Kefah Ali Deeb | |
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