# taz.de -- Debatte Humanitäre Hilfe für Syrien: Die UN kuschen vor Assad | |
> Die Vereinten Nationen nehmen Assad die humanitäre Versorgung ab. Toll | |
> für ihn, so kann er mehr Geld für Fassbomben ausgeben. | |
Bild: Fast die gesamte international finanzierte UN-Hilfe geht in Regierungsgeb… | |
Ab diesem Dienstag müssten in Syrien überall UN-Hilfskonvois rollen. Denn | |
wenn die Waffen schweigen – wie von den USA und Russland ausgehandelt – | |
können jetzt auch die Menschen versorgt werden, die in den abgeriegelten | |
Gebieten ausharren. Ob das gelingt oder nicht, davon hängt nicht nur das | |
Leben etwa einer Million Menschen ab, sondern auch die Glaubwürdigkeit der | |
Vereinten Nationen. Denn deren Unterorganisationen in Damaskus treten die | |
Prinzipien humanitärer Hilfe seit fünf Jahren mit Füßen. | |
Wer humanitär hilft, muss unparteiisch, unabhängig und neutral sein – so | |
die Forderungen des Büros zur Koordination humanitärer Angelegenheiten der | |
UN (OCHA). Hilfsgüter müssen auch im Krieg alle Menschen unabhängig von | |
ihren politischen Ansichten erreichen. Als einziges Kriterium zählt die | |
Bedürftigkeit. Außerdem muss die Hilfe unabhängig von den politischen, | |
wirtschaftlichen und militärischen Zielen einzelner Kriegsparteien sein. | |
Und humanitäre Akteure dürfen sich in Konflikten nicht auf eine Seite | |
schlagen, indem sie Verantwortlichkeiten verschweigen. | |
Alle diese Vorgaben scheinen in Syrien nicht zu gelten. Nahrungsmittel und | |
Medikamente gibt es dort nur von Assads Gnaden, der syrische Präsident | |
benutzt die UN als Erfüllungsgehilfen seiner Strategie des Aushungerns. | |
UN-Vertreter kuschen, beschönigen Bedarfspläne für Hilfsprogramme und | |
weigern sich, Verbrechen des Regimes klar zu benennen. | |
Stattdessen überweisen sie Millionen an Assads Vertraute, die zwar auf der | |
Sanktionsliste der EU stehen, aber den UN-Funktionären dennoch als | |
Geschäftspartner dienen. Schließlich habe man keinen Einfluss auf die | |
„politischen Rahmenbedingungen“ vor Ort. Besser, den Millionen von | |
Bedürftigen in den vom Regime kontrollierten Gebieten helfen als gar nicht, | |
so die Logik. Mit der Zeit haben sich daraus eine Nähe zum Regime und ein | |
vorauseilender Gehorsam ergeben. | |
Hier die Fakten: Fast die gesamte international finanzierte UN-Hilfe – 3 | |
Milliarden US-Dollar von 2011 bis 2015 – geht in Regierungsgebiete. Das | |
Welternährungsprogramm in Damaskus liefert 96 Prozent der Nahrungsmittel | |
dorthin. Außerdem finanzieren die UN dort Programme zur Unterkunft, | |
Gesundheitsversorgung und Bildung der Geflüchteten. Dagegen wurden 2015 nur | |
1,4 Prozent der Menschen in abgeriegelten Gebieten erreicht. Obwohl der | |
Weltsicherheitsrat die UN ermächtigt hat, auch ohne Genehmigung des Regimes | |
Hilfe zu leisten, unternehmen die UN-Organisationen nichts ohne Assads | |
Okay. Assad diktiert die Bedingungen. | |
## Strategie des Aushungerns | |
Die Vereinten Nationen sprechen von 600.000 Zivilisten in abgeriegelten | |
Gebieten und betonen, alle Konfliktparteien verfolgten die Strategie des | |
Aushungerns. Das ist formal richtig, verzerrt aber die Realität. Denn | |
während die Terrormiliz „Islamischer Staat“ einen Teil der Stadt Deir | |
al-Sor abriegelt und islamistische Rebellen in der Provinz Idlib die beiden | |
Orte al-Fu'ah und Kafraja belagern, hungert das Regime laut der | |
Organisation Siege Watch im Umland von Damaskus 47 und in der Provinz Homs | |
4 Orte aus. Dabei ist es erheblich effektiver als die Regimegegner. Sowohl | |
Fu'ah und Kafraja als auch Deir al-Sor werden aus der Luft versorgt, die | |
von Assad abgeriegelten Gebiete dagegen nicht, weswegen auch nur dort | |
Menschen verhungern. | |
Mehr als 600 Syrer sind bislang an Unterernährung und mangelnder | |
medizinischer Versorgung in Folge von Regimeblockaden gestorben. Als es in | |
Madaja im Dezember 2015 die ersten Hungertoten gab, führten die UN den Ort | |
nicht mal auf ihrer Liste der belagerten Gebiete. Damals kostete ein Kilo | |
Reis in Madaja 256 Dollar, in Fu’ah und Kafraja 1,25 Dollar. | |
Die von Verantwortlichen genannten „Sicherheitsbedenken“ bei der Lieferung | |
von Hilfsgütern wirken dabei mitunter vorgeschoben. Denn im östlichen | |
Umland von Damaskus sind Konvois in der Vergangenheit durch das belagerte | |
Duma gefahren, um Ware nach Dschobar zu bringen. Die Hilfsgüter wurden nur | |
deshalb nicht in Duma abgeladen, weil es das Regime nicht genehmigt hatte – | |
und nicht, weil es zu gefährlich war. | |
## Geldsegen für das Assad-Regime | |
Eine unabhängige Untersuchung zu der Frage, was mit den Milliarden | |
passiert, die die Vereinten Nationen für ihr Syrien-Programm bekommen, | |
erscheint mehr als überfällig. Denn die UN wissen es selbst nicht, es gebe | |
keine systematischen Daten darüber, so eine interne Evaluation. | |
„Du gibst das Geld dem Syrischen Roten Halbmond (Sarc), dann ist es raus | |
aus unseren Büchern und Sarc kann damit machen, was es will“, wird ein | |
Mitarbeiter in einem Bericht von The Syria Campaign zitiert. Sarc ist auf | |
Leitungsebene eine zu 100 Prozent vom Regime kontrollierte Organisation. | |
Der Guardian hat nachgewiesen, dass UN-Organisationen Güter und | |
Dienstleistungen im Wert von vielen Millionen US-Dollar bei Unternehmen und | |
Organisationen eingekauft haben, die eng mit Assads Führungsriege verbunden | |
sind. | |
Mittelfristig beeinflusst diese Art von Hilfe auch die Dynamik des | |
Konflikts, da eine Seite – das Assad-Regime – konsequent gestärkt und | |
unterstützt wird, während die andere – sämtliche von der Opposition | |
gehaltenen Gebiete – kaum Hilfe erhält. | |
## UN muss Souveränität zurückgewinnen | |
Menschen fliehen in Assads Regionen, weil sie wissen, dass sie dort von den | |
UN versorgt werden. Gleichzeitig überlässt die Regierung die humanitäre | |
Arbeit den UN und kann die dadurch gesparten Ressourcen für ihre | |
militärischen Ziele verwenden. Die internationale Gemeinschaft kümmert sich | |
also um Assads Bevölkerung, sodass dieser mehr Geld für Chlorgas, Fass- und | |
Brandbomben ausgeben kann. | |
Es geht nicht darum, wie UN-Verantwortliche es gern darstellen, die | |
Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime komplett einzustellen. Nein, es geht | |
darum, diese an Bedingungen zu knüpfen, um Souveränität über die | |
internationale Hilfe zurückzugewinnen und den eigenen humanitären Kriterien | |
gerecht zu werden. Die UN sollte Hilfe an das Regime nur noch dann leisten, | |
wenn sie zugleich die Menschen in den von der Opposition kontrollierten | |
Gebieten erreichen können. | |
Die Waffenruhe ist die letzte Chance für die UN, zu beweisen, dass sie zehn | |
Kilometer von den eigenen vollen Vorratslagern entfernt keine verhungernden | |
Kinder mehr dulden. | |
13 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Kristin Helberg | |
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