# taz.de -- Essay Bürgerkrieg in Syrien: Warum Putin Assad fallenlassen sollte | |
> Ein geordneter Machtwechsel in Syrien und das Ende des Krieges: Aus vier | |
> Gründen liegt das im Interesse Putins. Nur: Wer sagt es ihm? | |
Bild: Das Ende der „Zurückhaltung“. Der russische General Sergei Rudskoi g… | |
Eines hat Wladimir Putin inzwischen erreicht: Der Weg zum Frieden in Syrien | |
führt über Moskau. Denn Russland ist unter den Unterstützern des Regimes | |
der einzige, der auf Baschar al-Assad verzichten kann (im Gegensatz zum | |
Iran), und hat sowohl die politische als auch die militärische Macht, ihn | |
zum Rückzug zu zwingen. Wer den Konflikt lösen will, muss daher den | |
russischen Präsidenten davon überzeugen, dass ein Machtwechsel in Damaskus | |
den eigenen Interessen am besten dient. | |
Hier die wichtigsten vier Argumente dafür. Das erste betrifft Syriens | |
Staatlichkeit, die alle – Russen wie Amerikaner, Iraner, Türken und Saudis | |
– erhalten wollen, die aber schon jetzt zerfällt. Tatsächlich ist Assad | |
kein Garant, sondern die größte Gefahr für Syriens Staatlichkeit. | |
Damit einher geht zweitens der Zustand der syrischen Armee. Ihre | |
Ineffektivität und die mangelnde Moral lassen russische Militärs | |
verzweifeln. | |
Drittens nimmt die Terrorgefahr für Russland nicht ab, sondern zu, wenn | |
sich in Syrien alle nur auf den „sunnitischen Terrorismus“ konzentrieren. | |
Solange ausländische schiitische Milizen für Assad morden können, wie sie | |
wollen, wird sich Syriens sunnitische Bevölkerungsmehrheit weiter | |
radikalisieren. | |
Schließlich hat Putin viertens im Grundsatz erreicht, was er wollte. Es ist | |
deshalb Zeit für eine Nachkriegsordnung, aus der sich Moskau getrost | |
zurückziehen kann, weil russische Interessen auch ohne Assad gewahrt | |
bleiben. | |
Zunächst zum syrischen Staat. Wenn internationale und regionale Akteure vom | |
Erhalt staatlicher Strukturen sprechen, wird daraus meist ein | |
Pro-Assad-Argument. Denn angeblich kann nur das Regime dies zum jetzigen | |
Zeitpunkt gewährleisten. „Wenn Assad stürzt, bricht Anarchie aus, | |
Dschihadisten füllen das Machtvakuum und das Land versinkt im Chaos“, so | |
das Schreckensszenario. Syrien, ein weiterer „failed state“. | |
## Assad verliert Kontrolle | |
Doch untersucht man den Zustand des syrischen Staates genauer, drängen sich | |
zwei Erkenntnisse auf: Grundsätzlich dienen staatliche Institutionen vor | |
allem dem Machterhalt Assads. Militär, Sicherheitsdienste, Justiz, Partei | |
und Verwaltung sind über Jahrzehnte zu Stützen der Assad’schen Herrschaft | |
aufgebaut worden. Weder das Militär (wie in Ägypten) noch die Polizei (wie | |
in Tunesien) spielen in Syrien eine unabhängige Rolle. Der syrische Staat | |
müsste deshalb zunächst von Assads Einfluss befreit werden, um die | |
notwendigen Strukturen entwickeln zu können, die dem syrischen Volk dienen | |
und nicht seinem Unterdrücker. | |
Vielerorts hat der Präsident zudem die Kontrolle an lokale Kriegsherren | |
verloren, die finanziell und personell unabhängig von Damaskus agieren. Die | |
„Regierungsgebiete“ sind in Wirklichkeit ähnlich zersplittert und von | |
wechselnden Allianzen gekennzeichnet wie die Regionen der Opposition, hat | |
der Nahost-Militärexperte Tobias Schneider detailreich belegt. | |
Dutzende Assad-loyale Gruppen verdienen am Krieg, verfolgen eigene lokale | |
Interessen und bestimmen auch das kommunale Leben. Die „Tiger Forces“ in | |
den Provinzen Aleppo und Hama und die „Desert Hawks“ in Lattakia gelten als | |
besonders mächtig. Sie werden von Schmugglern, Kriminellen und Milizionären | |
angeführt, finanzieren sich über Geldwäsche, Waffen-, Öl- und | |
Menschenhandel und haben sich vor Ort Unterstützernetzwerke aufgebaut, | |
statt auf zusammenbrechende staatliche Institutionen zu setzen. | |
Assad selbst hat die Entstehung dieser Kräfte gefördert. Im August 2013 | |
erlaubte er privaten Geschäftsleuten per Dekret, zum Schutz ihrer | |
Kapitalgüter eigene Milizen aufzubauen. „Mit einem Federstrich bewaffnete | |
das Regime dadurch seine eigenen Kleptokraten“, schreibt Schneider. Manche | |
konnten ihre Macht regional so weit ausbauen, dass selbst Assads | |
gefürchteter Militärgeheimdienst sie nicht mehr im Griff hat – etwa die | |
„Tiger Forces“. | |
Das Regime braucht die Milizen jedoch zur Abwehr von Angriffen der | |
Opposition. Geht es darum, Gebiete zurückzuerobern, schließen diese zum | |
Teil kuriose Allianzen mit lokalen Kriegsherren, ausländischen Kämpfern und | |
Resten von Regimeverbänden. Hat eine solche Offensive Erfolg, fällt die | |
Region nicht automatisch an Damaskus zurück, sondern wird von den jeweils | |
einflussreichsten Milizen dominiert. Die Rückeroberungen des vergangenen | |
Jahres erscheinen deshalb nur vordergründig als Stärkung Assads, in | |
Wirklichkeit verdeutlichen sie dessen Machtverlust im eigenen Lager. | |
## Abhängig vom Ausland | |
Hinzu kommt die Abhängigkeit des Regimes vom Ausland. Ohne die militärische | |
Unterstützung aus Russland und dem Iran wäre Assad längst am Ende. Und ohne | |
die personelle Verstärkung durch schiitische Milizionäre aus dem Libanon | |
(Hisbollah), aus dem Iran, Irak und Afghanistan gäbe es keine | |
Geländegewinne am Boden. Glaubt man den Berichten russischer Militärs, | |
besteht die syrische Armee überwiegend aus unmotivierten Soldaten, die | |
lieber an Checkpoints ihre Landsleute abzocken, statt für das Vaterland zu | |
kämpfen. | |
So schreibt der russische Militärstratege Michail Chodarenok, Syriens | |
Generalstab habe keinen Plan, die Luftwaffe sei veraltet und benutze selbst | |
gebastelte Bomben, Rekruten seien schlecht versorgt und ausgerüstet und | |
entsprechend demoralisiert. Mit Partnern wie der Hisbollah und dem Iran, | |
die ihre eigenen Interessen verfolgten, und einem Verbündeten wie Assads | |
Armee lasse sich kein Krieg gewinnen, schlussfolgert Chodarenok und fordert | |
ein Ende der russischen Intervention bis Ende des Jahres. | |
Zur Terrorbekämpfung wäre es aus russischer Sicht in jedem Fall sinnvoller, | |
sich in Syrien auf den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu konzentrieren, | |
statt sich an den Kriegsverbrechen Assads gegen überwiegend sunnitische | |
Zivilisten zu beteiligen. Der Versuch Moskaus, möglichst viele Assad-Gegner | |
als radikale Islamisten zu bezeichnen und diese auf eine Stufe mit dem IS | |
zu stellen, ist genauso kontraproduktiv wie die Angewohnheit der Türkei, | |
die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten der PKK-Schwesterpartei PYD in | |
einem Atemzug mit dem IS zu nennen. | |
## Moskau hat alles erreicht | |
Wer den Gegner pauschal als Terroristen abstempelt, ohne zu verstehen, | |
welche Rolle er für die Menschen vor Ort spielt, bringt diese nur gegen | |
sich auf und bedient die Propaganda der Extremisten. „Syriens Sunniten | |
gegen den Rest der Welt“ heißt deren Drehbuch – Russland und die USA wären | |
deshalb gut beraten, Syriens islamistische Rebellen zu Verbündeten im Kampf | |
gegen den IS zu machen und deren Hauptfeind Assad so unter Druck zu setzen, | |
dass dieser den Weg für eine Verhandlungslösung frei macht. | |
Und dann? Ein Kalifat wird Syrien sicher nicht. Die Syrer lassen sich weder | |
das Rauchen noch das Musikhören verbieten, der IS würde von allen gemeinsam | |
bekämpft. Sämtliche ausländischen Kämpfer müssten das Land verlassen, nicht | |
nur tschetschenische Dschihadisten, sondern auch libanesische | |
Hisbollah-Mitglieder und iranische Söldner. Dann könnten Syriens Rebellen | |
ihr Verhältnis zu al-Qaida klären und feststellen, dass sie die Dschabhat | |
Fatah al-Scham (ehemalige Nusra-Front) zwar im Kampf überzeugend finden, | |
nicht aber ideologisch. Alles andere ist Verhandlungssache – mühsam, | |
kompliziert und voller fauler Kompromisse. Aber allemal besser, als Syrien | |
weiter dem Untergang preiszugeben. | |
Assads Abgang ist der notwendige erste Schritt. Denn ein Ende der Kämpfe | |
herbeizuführen wird mit jedem Tag schwieriger. Deswegen hilft das | |
Totschlagargument, „es gibt keine Alternative zu Assad“, nicht weiter, | |
sondern beschleunigt den staatlichen Zerfall und die Gewaltspirale in | |
Syrien. Je länger andere den Überlebenskampf Assads führen, desto mehr | |
Warlords sitzen nachher am Tisch und stellen Bedingungen für den Frieden. | |
Wäre Russland bereit, einen Neuanfang ohne Assad in Aussicht zu stellen, | |
könnte es den Übergangsprozess entscheidend beeinflussen und die eigene | |
Präsenz in Form von russischen Militärbasen sichern. Schon jetzt hat Putin | |
erreicht, was er wollte – er wird im Nahen Osten als entscheidender Player | |
und international als Weltmacht wahrgenommen. Mit einem diplomatisch | |
herbeigeführten Ende des Assad-Regimes könnte er Syrien eine Chance auf | |
Frieden geben und beweisen, dass russische Einmischung nicht nur | |
destruktiv, sondern am Ende auch konstruktiv wirken kann. | |
25 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Kristin Helberg | |
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