# taz.de -- Fotografie und Flucht: „Es ist meine eigene Hilflosigkeit“ | |
> Bilder zeigen Flüchtlinge in immer gleichen Motiven. Die Fotografin | |
> Sibylle Fendt zeigt nun verlassene Orte in Deutschland. Warum? | |
Bild: Die ehemalige US-Kaserne Patrick Henry Village in Heidelberg wurde Ende 2… | |
Noch vor wenigen Jahren hat man Asylsuchenden in Deutschland wenig | |
Aufmerksamkeit geschenkt. Das hat sich geändert, seit „die | |
Flüchtlingskrise“ zum bestimmenden Nachrichtenthema geworden ist. Wer als | |
Fotograf etwas auf sich hält, reist an die Hotspots der Flüchtlingsrouten. | |
Wir sind live auf Sendung. Allein zwischen August und Oktober 2015 zeigte | |
die taz auf 20 von 79 Titelseiten Bilder von Flüchtlingen. In der | |
diesjährigen Auswahl der World Press Photo Foundation dominierten Bilder | |
von überfüllten Booten vor Lesbos, das Siegerbild zeigt einen Vater, der | |
versucht, mit einem Baby im Arm einen Stacheldrahtzaun an der serbischen | |
Grenze zu überwinden. | |
Menschen auf der Flucht sind inzwischen zu einem „fotogenen“ Sujet | |
geworden, stellt das Branchenblatt Photonews fest. In dieser Bezeichnung | |
steckt eine Provokation. Es drängt sich nämlich die Frage auf, wie diese | |
Bilder konsumiert werden und was ihr Konsum mit den Betrachtern auf Dauer | |
macht. Zumindest spielt ihre inflationäre Verwendung eine unheilvolle Rolle | |
dabei, sprachliche Bilder zu bestätigen, wenn von einer „Flüchtlingswelle“ | |
oder einem „Flüchtlingsstrom“ die Rede ist, von Naturgewalten also, denen | |
wir ausgeliefert seien. Dies sind Bilder, mit denen Politik gemacht wird. | |
Die Arbeit der Fotografin Sibylle Fendt beginnt dort, wo sie für die | |
meisten Fotoreporter längst beendet ist: in den Registrierungsstellen und | |
in provisorischen Unterkünften. Fendt ist eigentlich Porträtfotografin, sie | |
wurde mit Bildern von Messies bekannt, die sie in ihrem Umfeld | |
porträtierte. Umso überraschender ist es, dass auf den bisher | |
unveröffentlichten Bildern, die wir auf diesen Seiten zeigen, keine | |
Menschen zu sehen sind. Warum ist das so? | |
Sibylle Fendt: Als ich die ersten Asylbewerber im Jahr 2010 kennenlernte | |
und versuchte, sie fotografisch zu begleiten, merkte ich, dass ich weder | |
eine Vorstellung davon entwickeln konnte, wie es ihnen geht und was sie | |
durchgemacht haben, noch eine Idee hatte, wie man das fotografisch | |
darstellen könnte. Ich suchte also nach einer fotografischen | |
Herangehensweise, die unser System in den Fokus stellt. | |
Warum ist dabei kein Platz für Bilder von Geflüchteten? | |
Anfangs versuchte ich noch, diesen Orten, die ich fand und fotografierte, | |
Porträts von Geflüchteten gegenüberzustellen. Eigentlich versuche ich es | |
immer noch. Doch es ist so schwer, ein wertfreies Porträt von jemandem zu | |
machen, und eigentlich will ich das ja auch gar nicht. Aber ich möchte | |
nicht das Opfer zeigen und auch nicht den Geretteten, den Wartenden, den | |
Enttäuschten oder den Dankbaren. Das alles würde man in die Porträts | |
hineininterpretieren. Also ist es meine eigene Hilflosigkeit, die mich dazu | |
getrieben hat, mich von meiner eigentlichen Berufung – dem Porträt des | |
Menschen – zu distanzieren. Ich bin in einer grundlegend anderen Situation | |
als meine Protagonisten. Da kann ich noch so viel Mitgefühl entwickeln, | |
uns trennen Welten. | |
Bilder von Geflüchteten zielen in vielen Fällen darauf, bei ihren | |
Betrachtern Empathie zu wecken. Darauf verzichten Sie, die Bilder wirken | |
kühl. | |
Ich habe ein Problem damit, das Leiden anderer Menschen zu betrachten, dem | |
ich so fern bin. Auch mit meinen Fotografien erwecke ich hoffentlich | |
Empathie beim Betrachter, aber nicht dadurch, dass ich ihn schockiere, | |
sondern vielleicht eher, weil ich ihn an etwas erinnere, das er eigentlich | |
kennt. | |
Das Foto des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Ailan Kurdi hat mehr als alle | |
anderen eine gesellschaftliche und sogar politische Debatte ausgelöst. | |
Warum, glauben Sie, hatte es eine so große Wirkung? | |
Als das Bild von Ailan Kurdi um die Welt ging, konnte und wollte ich es mir | |
nicht anschauen. Nicht nur, weil ich es schwierig zu ertragen fand, sondern | |
auch, weil es mich ärgert, dass solche plakativen Bilder eine solche | |
Wirkung haben. Das ist doch verrückt! Da ist ein totes Kind, und wir können | |
es uns anschauen! Und plötzlich geht uns auf, dass Unrecht in der Welt | |
passiert. Und sogar die Politik reagiert darauf: Grenzen werden geöffnet, | |
und dann werden sie wieder geschlossen. Dokumentarische Bilder werden aus | |
Kontexten gerissen, werden mit Slogans versehen, werden instrumentalisiert, | |
das ist immer schwierig. | |
Hätten Sie das Foto von Ailan Kurdi geschossen? | |
Ganz sicher nein. Bei weitaus weniger tragischen Situationen habe ich in | |
professioneller Hinsicht immer versagt. Das hat mich auch oft geärgert. | |
Mittlerweile habe ich es mir so zurechtgelegt, dass ich in meiner Arbeit | |
eben etwas behutsamer über das menschliche Drama erzähle. | |
26 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Mathias Königschulte | |
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