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# taz.de -- Düstere Fotoausstellung in Bremen: Lebensfreude am Höllenrand
> Rimaldas Vikšraitis, Alexander Chekmenev und Miron Zownir zeigen ihre
> Fotos in Bremen. Sie blicken auf die Verwerfungszonen ihrer
> Gesellschaften.
Bild: Baden im Donbas in den 1990ern
Bremen taz | Ein Mann mittleren Alters mit Schnurrbart beißt in das Ohr
eines Schweinekopfes, der in einer blutigen Schüssel vor ihm liegt. Ein
älterer Mann mit schütterem Haar beugt sich über den Jüngeren und scheint
wiederum in dessen Ohr beißen zu wollen. Eine Szene des Kontrollverlustes
zwischen Gier und Lebenshunger und alkoholgetränktem Exzess, zu sehen auf
einem eindrücklichen Foto des litauischen Fotografen Rimaldas Vikšraitis
aus den 80er oder 90er Jahren.
Das Bild ist Teil der Ausstellung „Photography Noir. Existence“, die gerade
in der [1][Bremer Galerie K’] gezeigt wird. Neben Vikšraitis’ Werken häng…
dort weitere Schwarz-Weiß-Fotos des Ukrainers [2][Alexander Chekmenev]
sowie von [3][Miron Zownir] aus Deutschland.
Kurator Darius Vaicekauskas, der im litauischen Klaipėda lebt, hat die drei
auf unterschiedliche Weise dokumentarisch arbeitenden Fotografen im Jahr
2022 zusammengeführt. „Alle drei zeigen das Leben am Rand der Gesellschaft,
kein schönes, repräsentatives Leben – egal ob in New York, im ukrainischen
Donbas oder ländlichen Regionen in Litauen“, erklärt Vaicekauskas. Der
Ausstellungstitel lädt dazu ein, die Verbindung zum amerikanischen Film
Noir herzustellen.
Das Aufkommen des Genres um Filme wie „Fahrstuhl zum Schafott“ oder „Der
Malteser Falke“ „ging mit dem Zweiten Weltkrieg als größter sozialer
Erschütterung des 20. Jahrhunderts einher“, wie es auf der Internetseite
der-film-noir.de heißt. Die Welt des Film Noir, der auch als „Antithese zum
American Dream“ bezeichnet wurde, ist oft ein düsterer Ort der Entfremdung
und der dauerhaften Krise. Seine Bewohner irren gebrochen durch
schattenhafte Städte.
## Der Horror der Wendejahre
In gewisser Weise könnte man dies auch für die in einem urbanen Umfeld
porträtierten Menschen auf den Fotos zumindest von Miron Zownir und
Alexander Chekmenev feststellen.
Zumal der soziale Hintergrund vieler Bilder der Ausstellung mit dem
Zusammenbruch der Sowjetunion ja ebenfalls von einer schweren Erschütterung
gezeichnet ist: „Miron Zownir sollte 1995 in Moskau Fotos vom Nachtleben
für ein fancy Magazin machen, wurde dann aber vom Horror der Umbruchjahre
dort überwältigt“, berichtet Vaicekauskas.
Zownir, dessen Vater aus der Ukraine stammt, hat dann das soziale Elend auf
den Straßen Moskaus dokumentiert. Bettler, Obdachlose und entstellte
Menschen bevölkern eine Welt, die in ihrem Grauen eher an Dante’s „Inferno…
als an den „Film Noir“ denken lässt. Auch beim Betrachter hinterlässt sie
ein Gefühl der Hilflosigkeit. Das verstörendste Foto dürfte dabei das
Porträt eines sterbenden oder bereits toten Mannes sein, dem jemand eine
Kette mit Kreuz über das Gesicht gelegt hat.
Fotos wie diese waren es auch, die Dokumentar-Fotografen wie Miron Zownir
den Vorwurf des sensationsheischenden Blicks, der Verantwortungslosigkeit
gegenüber den Porträtierten eingebracht haben, ja, sogar ihrer Ausbeutung.
Kurator Vaicekauskas hält das für verfehlt: Für ihn legen die Fotografien
gesellschaftliche Probleme offen. Die Betrachter:innen müssten
entscheiden, wie sie die Motive einordnen.
Er verweist auf den karitativen Charakter, den dokumentarische Fotografie
auslösen könne und nennt die „Deleted-Serie von Alexander Chekmenev als
Beispiel. Für diese hatte der Ukrainer zwischen 2018 und 2020 die
Gesichter von Obdachlosen auf der Straße porträtiert, die mit ihrem dunklen
Hintergrund an die Gewichtigkeit von Gemälden von Rembrandt oder Dürer
erinnern.
Die Veröffentlichung der Aufnahmen habe zu einem Unterstützungsprogramm für
die Betroffenen geführt, so Vaicekauskas: „So haben diese Fotos zumindest
eine gewisse Verbesserung ihrer Situation bewirkt.“
In der Bremer Ausstellung zeigt Alexander Chekmenev, der lange als
Zeitungsfotograf gearbeitet hat, Fotos aus dem Donbas und aus Luhansk, die
er dort zwischen 1992 und 2011 aufgenommen hat. Die heutige politische
Situation der Besetzung durch Russland spiegelt sich in den Werken nicht
wieder.
Auch hier beherrschen Armut, Alkohol, Prostitution und Kargheit die Welt
der Porträtierten. Es gibt aber auch unbändige Lebensfreude wie auf dem
starken Foto mit einem Mann am Akkordeon, der bei einem Gelage ein Lied
herausschmettert, während ein anderer eher gelangweilt am Bildrand sitzt.
Kurator Vaicekauskas meint, dass sich die soziale Situation auf den Fotos
in der Ost-Ukraine nicht sehr verändert habe. Im Gegensatz zu der Welt auf
den Bildern des Litauers Rimaldas Vikšraitis. Dort hätte sich seit dem
EU-Beitritt des Landes 2004 das Leben zum Besseren gewendet. „Die Fotos
sind Dokumente einer vergangenen Zeit“, sagt der Kurator.
Vikšraitis ist eine Art Heimatfotograf. Er kommt selber aus der ländlichen
Region bei Konas in Zentral-Litauen, er kennt die Porträtierten, sie
vertrauten ihm, ließen ihn teilhaben an ihrem Leben. Sie nehmen nur auf
wenigen Fotos Posen für die Kamera ein. Man sieht die Menschen in ihrem
Alltag, nackt in kargen Räumen, beim Schlachten eines Schweins, im direkten
Kontakt mit ihren Haustieren. Armut und Verlorenheit sind allgegenwärtig,
aber auch freudiges Feiern bis zum Exzess.
Ausstellung Photography Noir. [4][Galerie K'-Strich], Mi-Fr. 14-18 und Sa.
12-16 Uhr, Alexanderstr. 9b, Bremen. Bis 18. 5.
30 Mar 2024
## LINKS
[1] /Die-Bremer-Kuenstlerin-Sibylle-Springer/!5979978
[2] /Odesa-Photo-Days-in-Hamburg/!5885033
[3] /Ausstellung-Fokus-Ukraine/!5862882
[4] http://k-strich.de/
## AUTOREN
York Schaefer
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