| # taz.de -- Klimawandel im Bild: Ansichten der Extreme | |
| > André Lützen hat mit „Khartoum – A Tale of Three Cities“ eine | |
| > Bildband-Trilogie vollendet: Es geht um das Leben unter verschärften | |
| > Klimabedingungen. | |
| Bild: Die Stimmung am Nil: vom Licht her eher postapokalyptisch. Filter oder Ef… | |
| Hamburg taz | Derzeit sind die Temperaturen im sudanesischen Khartoum | |
| moderat: tagsüber 25 bis 27 Grad, mal geht es über 30. Aber im Sommer | |
| können es auch an die 50 Grad werden. Wie hält man diese Hitze aus? „Man | |
| steht gegen 5 Uhr früh auf, um zu fotografieren und sieht zu, dass man um 9 | |
| Uhr wieder drin ist“, sagt der Hamburger Fotograf André Lützen. | |
| Dann gebe es noch den Gang am späteren Nachmittag, aber so dicht am Äquator | |
| falle Schlag 18 Uhr eben die Sonne, falle das Licht, es werde richtig | |
| dunkel: Es werde schwarz. „Zwei T-Shirts schwitzt du mindestens am Tag | |
| durch, stehst da am Waschbecken mit deiner Saptil-Tube“, sagt er noch. | |
| Gerade ist sein neues Fotobuch erschienen: „Khartoum“. Veröffentlicht in | |
| seinem eigenen Verlag, realisiert durch ein Crowdfunding. Wir schauen auf | |
| zwei Männer in ihren Gewändern, einer sitzt, einer liegt, sie schauen auf | |
| ihre Handys und die Zeit vergeht; wir schauen auf zwei Waschbecken, darüber | |
| ein wandfüllendes Gemälde mit einer Hütte, einer Wiese und Wald, als wäre | |
| man im Allgäu. | |
| Der Band ist der Abschluss einer Trilogie, die nicht als Trilogie geplant | |
| war: „Living Climate“, Leben in extremen Klimazonen, so könnte man den | |
| Titel übersetzen. | |
| ## Man atmet den Regen | |
| Zehn Jahre ist es her, da fliegt Lützen in die [1][nordrussische Stadt | |
| Archangelsk] am Weißen Meer, für ein Fotoprojekt über die Außengrenzen | |
| Europas. Es ist Februar, es sind um die minus 25 Grad. Bewusst hatte er | |
| sich für den Winter entschieden, der hier gute sechs Monate dauert. Die | |
| Nördliche Dwina, der örtliche Fluss, ist zugefroren, den Hafen, militärisch | |
| und ökonomisch wichtig, versucht man mit allen Mitteln eisfrei zu halten. | |
| Und die Menschen? Wie leben sie in dieser kalten Welt? Lützen zieht | |
| gemeinsam mit einem russischen Kollegen und Übersetzer durch die Stadt – | |
| und fotografiert die Menschen in ihren Wohnungen: in klassischen | |
| Plattenbauten, in traditionellen Holzhäusern, von Schnee und Eis umstellt, | |
| während sie davon vordergründig unbeeindruckt in T-Shirt und kurzer Hose | |
| auf dem Sofa liegen. | |
| „Zhili Byli“ der Buchtitel, ist die russische Eingangsformel für Märchen: | |
| „Es lebten und es waren“, lässt sie sich übersetzen. Zwei Jahre später g… | |
| es [2][nach Südindien, in die Stadt Kochi], eingeladen zu einer | |
| Foto-Triennale. Es ist absolute Monsun-Zeit, man atmet den Regen förmlich | |
| ein, auch dies bewusst gewählt: „Inside Out Kochi“ entsteht, eine | |
| fotografische Reise durch das Innere von Häusern, in die sich die Menschen | |
| scheinbar ohne Trotz zurückgezogen haben, gehüllt in erstaunlich mildes | |
| Licht. | |
| Damit hat Lützen also das Leben in der Kälte eingefangen, und das Leben in | |
| der Nässe; wozu es passt, dass er als Nächstes nach Khartoum eingeladen | |
| wird, in die Hitze, um dort zu unterrichten und ein Foto-Festival | |
| aufzubauen. | |
| Immer wieder eine Herausforderung: Zugang ins Innere zu bekommen. „Die | |
| Sudanesen, mit denen ich gearbeitet habe, haben mich mitgenommen und so bin | |
| ich in die unterschiedlichen Häuser und Wohnungen gekommen“, sagt er. | |
| Gleichzeitig ist es nicht einfach, sich als Fotograf durch die Stadt zu | |
| bewegen. Es ist noch die Zeit des Endlosherrschers Umar al-Baschir. | |
| Ein Beispiel: Er steht eines Abends unter einer Brücke, die über den Nil | |
| führt. „Hier war ein Café oder ein Teehaus, es standen 50 Plastikstühle | |
| herum, es war ein wenig Licht, und ich dachte ‚Ja, das ist ein Bild‘ und | |
| baute mein Stativ auf.“ Im Nu wird er angesprochen, das sei eine Brücke, | |
| ein militärisches Objekt, absolut verboten zu fotografieren. „‚Nein, das | |
| ist das Café‘, ‚Nein, das ist eine Brücke‘, so ging das hin und her –… | |
| dann haben mich meine Leute da irgendwie rausdiskutiert“, erzählt er. | |
| „Die drei Bücher sind eher über den Prozess entstanden als über eine Idee�… | |
| sagt Lützen. Und das mit dem Klima – tja: Er zögert. „Der Klimawandel hat | |
| ohne Frage eine Brisanz und verändert das Leben auch dort, aber Wohnraum in | |
| extremen Klimazonen gab es schon immer“, sagt er. Es sei eben anders mit | |
| der Kälte als mit der Hitze zu leben und präge jeweils das Leben der | |
| Menschen. Genau das zu zeigen, sei jeweils sein Anliegen gewesen. | |
| Immer wieder wichtig für ihn: über Fotografie zu sprechen, zu unterrichten: | |
| „Die Fotografie ist das demokratischste Medium, das wir haben. Jeder kann | |
| es benutzen, jeder kann fotografieren.“ Weshalb er nicht nur in für uns | |
| extrem unterschiedlichen Gegenden lehrend unterwegs ist, sondern auch in | |
| Hamburg, oft in Kooperation mit den Hamburger Deichtorhallen – vom | |
| dreistündigen „Fotoklub“, wo man seine Bilder vorstellen kann oder dem | |
| zweieinhalb-tägigen Workshop „Hamburg durch die Bank“, denn überall in | |
| Hamburg stehen Bänke, nur warum und was sieht man von dort? | |
| „Ob ich einen Fotokurs mit Erwachsenen, mit Jugendlichen oder mit Kindern | |
| mache, es ist immer dieselbe Frage und dasselbe Thema: ‚Welche Bilder | |
| machst du eigentlich noch?‘“, sagt er. Es sei doch schon alles 10-, 20-mal | |
| fotografiert worden! Er frage entsprechend: „‚Was macht ihr mit den | |
| Bildern, die in euren Telefonen sind? Benutzt ihr die, schickt ihr die | |
| jemanden, ladet ihr die überhaupt noch hoch?‘“ | |
| ## Fotos als Notizen | |
| Eine Art Arbeitshypothese seinerseits: „Die meisten Fotos, die heute | |
| gemacht werden, sind keine Bilder mehr, sondern ich mache sie, weil ich mir | |
| etwas merken will; es sind visuelle Notizen.“ | |
| Sind seine [3][Khartoum-Bilder] ebenfalls Notizen? Lützen lächelt: „Dazu | |
| habe ich viel zu viel an der Gestaltung und Komposition der einzelnen | |
| Bilder wie an der Zusammenstellung der Bilder zu einem Buch gearbeitet.“ | |
| Die Frage sei: Was hast du für Bilder vom Sudan, wie sieht es aus? Und wie | |
| kann man diese Bilder-Vorstellungen aufbrechen und ein paar Grade | |
| weiterdrehen? „Mir geht es darum, nicht mit dem zu arbeiten, was du sowieso | |
| erwartest, sondern mit dem, was du nicht erwartest“, sagt er. | |
| Apropos Sudan: Mit Ausbruch des [4][Bürgerkrieges] mussten die meisten, mit | |
| denen er zuvor zusammengekommen war und zum Teil Freundschaft schloss, die | |
| Stadt und überhaupt das Land verlassen. „Sie leben jetzt in Ägypten, in | |
| Uganda, in Katar und in den Arabischen Emiraten“, erzählt er. „Was du in | |
| meinem Buch siehst, ist also teilweise Geschichte; die Straßenzüge, auf die | |
| man schaut, sind heute oftmals zerstört“, sagt er. | |
| Weshalb es jetzt, da sein Hitze-Buch in der Welt ist, womöglich wieder Zeit | |
| für ihn wird, ein gerade ruhendes Projekt zu reaktivieren: „Postcards from | |
| Khartoum“. „Es gibt vom derzeitigen Bürgerkrieg im Sudan keine Bilder auß… | |
| irgendwelche Rauchwolken in der Ferne“, beschreibt er die Ausgangslage. Und | |
| also suchte er mit den sudanesischen Fotografen, die er von seinen | |
| Aufenthalten her kennt, nach Bildern aus dem von Krieg und Flucht geprägten | |
| Alltag, derzeit erst einmal gesammelt auf seiner Homepage. Mal schauen, was | |
| daraus noch wird. | |
| 17 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Archangelsk-und-Schleswig-Holstein/!5846138 | |
| [2] /Biennale-im-suedindischen-Kerala/!5915913 | |
| [3] https://www.westwerk.org/andre-luetzen-khartoum.html | |
| [4] /Buergerkrieg-im-Sudan/!5984219 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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