Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hamburger Deichtorhallen: Erschlagen vom Übermaß der Fragen
> Die Ausstellung „Survival in the 21st Century“ will den
> Informations-Dschungel der Gegenwart lichten, sie reproduziert ihn aber
> bloß apokalyptisch.
Bild: „Plucked Ookpik“, 2021: Rauschen der Schau schluckt Komik dieser geru…
Die Säulen von Palmyra bröckeln vor unseren Augen. Nur, dass der 2.000
Jahre alte [1][syrische Baal-Tempel diesmal nicht, wie 2015, vom IS
zerstört] wird, sondern von selbst zerfällt, materialbedingt. Aus Stroh,
Lehm und Sand hat der Künstler Abbas Akhavan die Säulen in der
[2][Hamburger Ausstellung „Survival in the 21st Century“] gefertigt.
Es ist eine Anspielung auf die 3D-Nachbauten des Tempels 2016 in London und
New York. Deren Rechtmäßigkeit und Nachhaltigkeit stellt seine Arbeit
infrage. Wobei – ökologisch nachhaltig ist dieses Kunstwerk unbedingt. Nach
Ende der Ausstellung wird es zerfallen sein. Die Reste einzusammeln, gar zu
restaurieren, liefe dem Willen des Künstlers zuwider.
Aufgebaut sind die Säulen auf grün fluoreszierender Folie. Die bildet als
künstliches Digital-Ambiente einen krassen Gegensatz zum Material der
Säulen. Und doch wird das Fluoreszieren möglich nur dank Europium, das bald
auch am Meeresgrund bei Papua-Neuguinea abgebaut werden soll. Diese
Unterwasserlandschaft wird den menschlichen Eingriff so wenig überleben wie
Palmyra, wie der Mensch.
Das ist das Thema der Schau in den Deichtorhallen Hamburg. Das Wort
„Survival“ wurde wegen des [3][russischen Überfalls auf die Ukraine]
durchgestrichen. Auch generell ist unklar, ob die Menschheit den
[4][Klimawandel] überlebt und ob das dem Planeten dienlich wäre. Daher
haben die Kuratoren Georg Diez und Nicolas Schafhausen eine multimediale,
vielstimmige Sammlung aus rund 40 internationalen, auch indigenen und
queeren Positionen, Fragen, Deutungen zusammengebracht, die sich jeder
Stringenz entzieht.
## Hamburger Ausstellung entnebelt nicht
Das irritiert, beziehen sich die Kuratoren doch explizit und gern auf den
britischen Technologiekritiker, Aktivisten und Künstler [5][James Bridle].
Der schrieb schon 2018 im Buch „New Dark Age“: „Unser Unvermögen, eine
komplexe Welt zu begreifen, führt zur Forderung nach immer mehr
Informationen, was unser Verständnis nur noch weiter vernebelt“.
Die Hamburger Ausstellung entnebelt nicht. Sie potenziert stattdessen das
Angebot. Aus jeder Ecke tönt eine neue Frage: Was ist Gerechtigkeit, was
Aktivismus, was ein Werkzeug, was Intelligenz, was ein Atom? Diagramme von
Liam Gillick an den Wänden erzählen gewollt Kryptisches über Menschen,
Mäuse, Waren, man verfängt sich im Informationsdschungel.
Dabei gibt es durchaus Lichtblicke: Da steht zum Beispiel Bridles „Aegina
Battery“, eine selbst gebaute Zitronenbatterie, daneben seine selbst
gebaute Windmühle aus Holz und Leinen: Bridle handelt lieber, als auf
nachhaltige Politik zu warten.
Er fordert, Intelligenz neu zu denken als Fähigkeit zur Kooperation mit der
Natur im Gegensatz zum Ausbeuten von Ressourcen. Diesen Ideen durchaus
verwandt regt die kanadische Videokünstlerin Panteha Abareshis mit ihren
Arbeiten dazu an, Körper neu zu lernen, ihre Grenzen zur Welt zu
hinterfragen.
## Resümee bekannter Missstände
Jenseits davon gerät die Ausstellung oft zum Resümee bekannter Missstände.
Leon Kahanes Fotos kalter Frontex-Büros verweisen auf illegale Pushbacks
Geflüchteter.
Die Gruppe „New Red Order“ von Angehörigen der nordamerikanischen Ojibway
und Tlingit-Völker hat eine Installation im Disneyland-Stil aufgebaut, in
der ein riesiger Plüschbaum mit einem Plüsch-Eichhorn über den Raub des
Landes durch Kanada und die USA redet, während das dazu gestellte Schild
„Free Palestine“ das eigene Anliegen eher schmälert. Die
Deichtorhallen-Kuratoren haben daneben geschrieben, dass dies nicht ihre
Haltung spiegele.
Subtiler kommen Paul Kollings Leuchtkästen mit winzigen Luftaufnahmen der
„Neuen Seidenstraße“ daher. Sie zeigen – er ortete sie durch am Zug von
Zhenghou nach Hamburg angebrachte Peilsender – Umerziehungslager für
Uiguren. Und Emmanuel Van de Auwera zeigt, leicht verfremdet, das
Internet-Video eines Bergarbeiters aus dem chinesischen Bayan Obo in der
Inneren Mongolei. Dort werden in einer Enklave aus Wohlstandsversprechen,
Arbeit und Kontrolle großflächig seltene Erden abgebaut.
## All diese Weltzerstörung
Ganz ähnliche Fotos und Videos waren kürzlich erst in der [6][Ausstellung
„Man & Mining“ in Hamburgs Museum der Arbeit] zu sehen. Auch aus
chinesischem radioaktivem Abfall gefertigte Vasen des Kollektivs „Unknown
Fields“ gab es da. In den Deichtorhallen steht nun Trevor Pagans Würfel aus
Atom-Abfall von Fukushima und Julian Charrières Kokosnüsse von den – durch
Atombombentests der USA unbewohnbaren – Bikini-Atollen. Die sind wegen der
Strahlung zwar mit Blei ummantelt. Aber sie ähneln aufgeschichteten
Kanonenkugeln.
Welche menschlichen Eigenschaften all dieser Weltzerstörung zugrunde
liegen, ist bekannt. Eine Installation in der hintersten Ecke der
Deichtorhallen findet ein poetisches Bild: Da fährt ein kleiner schwarzer
„Meteorit“ von Charles Stankievech auf schwarzem Sand.
Es wirkt, als zerbrösele der Meteorit durch genau dieses Kreisen um sich
selbst. Und man schaut und hofft, dass er mal ausbricht aus dem Schema.
Aber er tut es nicht. Ein treffendes Sinnbild der Menschheit, die in immer
gleichen Denk und Verhaltensmustern nach Auswegen aus selbst erzeugten
Problemen sucht.
Ausstellung „Survival in the 21st Century“, Deichtorhallen, Hamburg. Bis 5.
11.
5 Sep 2024
## LINKS
[1] /Krieg-in-Syrien/!5388940
[2] https://www.deichtorhallen.de/ausstellung/survival-in-the-21st-century
[3] /Russland-nach-der-Offensive-in-Kursk/!6026909
[4] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262
[5] /Kuenstlerin-ueber-Oekologie-und-Technik/!5846944
[6] /Ausstellung-ueber-Minenarbeit/!5978965
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Hamburg
Apokalypse
Ausstellung
Atomstrom
Jugend vor den Ostwahlen
Fotografie
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tech-Branche will Atomkraft verwenden: Ein tückisches Narrativ
Die Tech-Branche will alte Atommeiler hochfahren und sogar neue bauen.
Geht's noch? Der Energiebedarf fürs Digitale muss ausgehandelt werden.
Polarisierung der Gesellschaft: Wie vereinigen wir uns wieder?
Bei Themen wie der Klimakrise oder Migration brodelt es in den
Kommentarspalten der sozialen Medien. Wie bringen wir Menschen wieder
zusammen?
Klimawandel im Bild: Ansichten der Extreme
André Lützen hat mit „Khartoum – A Tale of Three Cities“ eine
Bildband-Trilogie vollendet: Es geht um das Leben unter verschärften
Klimabedingungen.
Ausstellung über Minenarbeit: Leben im giftigen Rauch
Die Hamburger Ausstellung „Man & Mining“ widmet sich eindrücklich dem
weltweiten Rohstoffabbau. Aber nicht alle Arbeiten beleuchten aktuelle
Missstände.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.