# taz.de -- Künstler:in über Ökologie und Technik: „The work needs to work… | |
> James Bridle ist Technologie-Künstler:in, präsentiert in der Berliner | |
> Galerie Nome. Ein Gespräch über die Überwindung des Gegensatzes von | |
> Ökologie und Technik. | |
Bild: Künstler:in James Briddle verbindet Kunst mit Ökologie und Wissenschaft | |
Wir treffen uns in einem geräumigen Studio im Stil traditioneller | |
griechischer Geschäfte in einer kleinen Straße im Hafenort der Insel Ägina. | |
James Bridle (geboren 1980) hat es selbst hergerichtet und teilt es sich | |
mit bis zu acht Künstler:innen. Der Raum ist hell, im Zentrum ein langer | |
Tisch und Stühle, angefertigt aus dem Pressholz des entkernten | |
Zwischendecks. James trägt Arbeitskleidung und die Reste schwarzen | |
Nagellacks. Im Fenster steht ein designtes Solarpanel mit Bildern von | |
Strahlentierchen. | |
taz: James, wir treffen uns auf Ägina, einer hübschen Insel in der Nähe von | |
Athen, wo Sie wohnen. Auf welche Art wählen Sie den Ort zum Leben? | |
James Bridle: Durch Zufall. Wir haben erst einige Zeit in Athen gewohnt, | |
weil mein:e Partner:in dort eine Ausstellung vorbereitete. Und sind | |
geblieben. Nachdem unser Kind geboren wurde, sind wir für die Ferien auf | |
die Insel gefahren. Dann kam Covid, der Lockdown, und wieder sind wir | |
geblieben. | |
Welchen Einfluss hatte die Entscheidung zur Verinselung auf Ihr jüngstes | |
Buch „Ways of Being“? | |
Einen großen! Es war ein enormer Lernprozess. Ich hatte geplant, das Buch | |
in meinem Studio im fünften Stock im Zentrum von Athen zu schreiben. Was, | |
weil es von Natur- und Ökologiekonzepten ausgeht, überhaupt keinen Sinn | |
gemacht hätte. Hier habe ich die meiste Zeit im Freien, angesichts eines | |
Berges, geschrieben, den Tages- und Jahreszeiten ausgesetzt. Bis dahin | |
hatte ich nie außerhalb von Städten gelebt. Das heißt, in den letzten | |
Jahren hat sich mein Leben komplett verändert. | |
Die griechische Politik seht derzeit – teils auch als Folge der EU-Politik | |
– für eine Anti-Migrationshaltung, weitgehende Akzeptanz von Korruption und | |
Ausbeutungssystemen, mäßiges Interesse an Sozial- und Umweltpolitik. | |
Inwiefern spielen politische Systeme noch eine Rolle, zum Beispiel für Ihre | |
Entscheidungen in Bezug auf eine „Lebensform“? | |
Einer der Gründe, warum wir in Athen geblieben sind, war, dass wir dort den | |
Höhepunkt der Geflüchtetenbewegung bezeugten. Wie Teile der dortigen | |
Bevölkerung reagierten, vor allem, wie sich die starke autonome Bewegung | |
dort organisierte, um zunächst kurzzeitige, dann auch mittelfristige | |
Unterbringung zu gewährleisten, war sehr inspirierend. Ich will jenen, die | |
sich dafür mit aller Kraft einsetzten, nicht die Credits nehmen, aber | |
immerhin konnten mein:e Partner:in und ich uns auch ein wenig | |
engagieren, durch Wifi-Versorgung für die Hostels oder Kunstprojekte für | |
Kinder. Diese Möglichkeit, direkt etwas tun zu können, das | |
infrastrukturelle Knowhow, das sich durch die autonomen Bewegungen | |
aufgebaut hat, zu nutzen, war eine starke Erfahrung. | |
Vieles in Ihrer künstlerischen Arbeit und in Ihrem Buch geht von | |
DIY-Erfahrungen, wie zum Beispiel einem selbst gebauten selbstfahrenden | |
Auto, aus. | |
Ich denke, das Misstrauen gegen Regierungen, das wir derzeit überall | |
verstärkt spüren, ist eine Folge von fehlender Ausbildung, fehlendem | |
Wissen, fehlendem Handlungsspielraum. Genau das also braucht es, und dazu | |
eignen sich DIY-Erfahrungen. Dabei gehe ich nicht davon aus, dass | |
Unabhängigkeit oder Selbstversorgung zu Abspaltungen führen muss, sondern | |
vielmehr zu einem neuen politischen Interesse. | |
Sehr prägend war es für mich, gegen Ende der Occupy-Bewegung, insbesondere | |
während Hurrikan Sandy, in New York zu sein. Am Tag des Sturms fand sich | |
sofort ein Team aus Occupy-Aktivist:innen zusammen, die sich ein enormes | |
Potenzial an logistischen Fähigkeiten aufgebaut hatten. Wortwörtlich in | |
Windeseile haben sie Materialien, Medikamente und Lebensmittel organisiert, | |
um sie an die betroffenen Orte wie die Rockaway-Halbinsel zu bringen. Sie | |
waren innerhalb von 48 Stunden dort, während Organisationen wie das Rote | |
Kreuz Tage brauchten. | |
Zu Ihren für Berlin produzierten Kunstwerken gehört die „Aegina-Batterie“, | |
eine durch Zitronen betriebene Glühbirne mit Bezug auf Josef Beuys’ | |
„Capri-Batterie“, oder der Bau einer traditionellen kretischen Windmühle | |
aus Abfallholz. Welches Potenzial birgt die Beziehung von Kunst und | |
DYI-Technologie? | |
Für mich haben erneuerbare Energien und CO2-Reduzierung eine große | |
Bedeutung. Durch Begegnungen mit verschiedenen Disziplinen versuche ich mir | |
selbst Fähigkeiten zu erarbeiten, sie attraktiv zu machen, um sie dann an | |
andere weitergeben zu können. Zum Beispiel die Faszination dafür, wie man | |
eine kleine Solarheizung oder wie man ein Batteriesystem baut. Mein Credo | |
dabei ist: „The work needs to work“. | |
Die „Aegina Batterie“ bildet ein wenig eine Ausnahme. Zunächst hat mich die | |
Tatsache fasziniert, dass Zitronen Solarenergie speichern. Aber ich würde | |
mein Haus nicht mit Zitronen heizen. Dieses Projekt hat vielmehr neben der | |
physischen auch eine metaphysische Ebene. Ich referiere damit an die | |
substanziell belastete Beziehung zwischen Griechenland und Deutschland, an | |
die sehr schiefe Bilanz dieser Beziehung. Ich möchte Energie und damit | |
„Power“ aus Griechenland nach Deutschland bringen. Ein Nachfolgeprojekt | |
wäre dann die Frequenz des griechischen Lichts, diese Art von Aprillicht, | |
die wir hier haben, nach Berlin zu bringen! | |
Das wäre für mich eine Lösung! Sie schildern in Ihrem Buch auch eine Reise | |
nach Epirus, Nordgriechenland, wo eine der unverbrauchtesten Landschaften | |
Europas durch künstliche Intelligenz für Ölbohrungen erschlossen wird. Gibt | |
es an einem bestimmten Punkt eine Entscheidung zwischen Kunst und | |
Aktivismus? | |
Ich finde die Unterscheidung überflüssig. Es gibt keine entpolitisierte | |
Kunst. Selbst unpolitisch sein zu wollen wäre eine politische Haltung. Es | |
gibt viele verschiedene Wege, um in Systeme einzugreifen. In Griechenland | |
entstehen nun beispielsweise sehr spannende kommunale Initiativen, um | |
gemeinsam betriebene Solarinfrastrukturen aufzubauen und diese ins | |
Energienetz einzuspeichern. Solche Initiativen für erneuerbare Energien | |
erweitern die Kompetenzen von Bürger:innen und ändern die Topologie der | |
mit Energiepolitik verbundenen Machtstrukturen. | |
Ermächtigung statt Protest? | |
Nicht auf der Basis eines Entweder-Oder. Definitiv gibt es Situationen wie | |
in Epirus, in denen wir alle rausgehen sollten und όχι! (Nein!) sagen. | |
Andererseits stimmt, dass ich nicht allzu fest an rein oppositionelle | |
Gesten glaube. Der Grund, warum wir, global gesehen, heute dort sind, wo | |
wir sind, hängt mit der Art starker, direkter Oppositionspolitik zusammen, | |
die jedoch nicht genügend investiert hat, Möglichkeiten für Alternativen | |
aufzubauen. | |
Eine weitere wichtige Basis Ihres Buchs bildet der Begriff der Intelligenz. | |
Anhand zahlreicher Beispiele aus Ökosystemen, zum Beispiel Bergbau | |
betreibenden Pflanzen, verweisen Sie auf mehr als menschliche Intelligenz, | |
darauf, dass sie nicht nur eine individuelle Denk- sondern eine gemeinsame | |
Prozessleistung ist. Auch geht es Ihnen darum, den vermeintlichen Gegensatz | |
von Natur und Technologie zu überwinden und vielmehr eine Ökologie der | |
Technologie zu fordern. Warum ist es so schwierig, diese Begriffe | |
zusammenzudenken? | |
Wir sind aufgewachsen mit einem komplett verinnerlichten Verständnis | |
menschlicher Einzigartigkeit und Überlegenheit, mit der Gewissheit, die | |
intelligentesten Wesen auf der Erde zu sein. Folglich müssen auch all | |
unsere Schöpfungen etwas Besonderes und dem überlegen sein, was alle | |
anderen schaffen. Dabei übersehen wir, dass unsere technologischen | |
Entwicklungen nur Funktionen aus Vorgängen in der Natur spiegeln und | |
Materialien benutzen, die andere in aufwendigen Verfahren produziert haben. | |
Wir übersehen, dass menschliche Technologie Teil des ökologischen | |
Potenzials ist – im Sinn einer Wissenschaft der Beziehungen, wie [1][Ernst | |
Haeckel „Ökologie“ einst definierte.] Auch die menschliche Intelligenz ist | |
ein Produkt der Ökologie und damit einer mehr als menschlichen Welt. | |
Sie scheinen davon auszugehen, dass die Anerkennung dieser Tatsache zu | |
einer besseren Technologie führen könnte. Ein anderes Naturverständnis | |
könnte eine andere Technologie schaffen, andere Arten „künstlicher“ | |
Intelligenz. Aber Prozesse in der Natur sind oft keine im menschlichen Sinn | |
ethischen. | |
Ethik ist der Weg, wie wir unsere Beziehungen gestalten. Es stimmt, ein | |
ausbalanciertes Ökosystem ist keines, in dem niemand gefressen wird. Ich | |
sage nicht, der Bär sollte keinen Lachs mehr essen, aber das beantwortet | |
nicht die Frage, ob wir es tun sollten. Wir sind Wesen, die viel mehr | |
nehmen als einspeisen in das Ökosystem. Ethik heißt zu fragen, wie wir das | |
ändern können. Der aktuelle Bericht des Intergovernmental Panel on Climate | |
Change macht unmissverständlich klar: Eines der Ziele der Klimapolitik muss | |
eine pflanzenbasierte Diät für den größten Teil der menschlichen | |
Bevölkerung sein. Industrielle Tierhaltung muss genauso beendet werden wie | |
die Kohleindustrie. Andere Behauptungen sind schlicht lächerlich | |
beziehungsweise nur Teil eines ziemlich idiotischen Infernos. | |
Hier schließt sich der Kreis zur Politik. Ich sehe nicht, dass der Staat | |
oder jene, die Macht in verschiedenen Formen, sei es finanzieller oder | |
medialer Art, akkumulieren, viel daran tun, diese Richtung zu ändern. Dies | |
scheint aktuell nur durch solidarische Zusammenschlüsse zu funktionieren, | |
die Machtstrukturen zum Wohl aller unterlaufen können. | |
30 Apr 2022 | |
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[1] /Virtual-Reality-Projekt-Umwelten/!5771672 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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