# taz.de -- Dokumentartheater über Tiefseebergbau: Moralisch keine Erfolgsgesc… | |
> In der Performance „Out of the Blue“ wird Tiefseebergbau erkundet. Vom | |
> Kunstenfestivaldesarts in Brüssel geht das nachdenkliche Stück auf Tour. | |
Bild: In dem mulitmedialen Raum der Performance wird präzise gearbeitet | |
Die Frage, ob jetzt alles anders wird, [1][die am Anfang der Pandemie | |
gestellt wurde,] ist nicht schwer zu beantworten: Nein, erst mal nicht. Es | |
scheint das meiste wie immer in der Performance-Welt. Die radikale Wende | |
gab es nicht. Zwar wurde das internationale Touring während der ersten | |
Covidwelle als zu ressourcenintensiv infrage gestellt. Aber das war leicht | |
gesagt bei dichten Grenzen. | |
Die Frage, was gilt, ist dagegen von Tag zu Tag schwerer zu beantworten. | |
Stehend in absurd überlasteten Zügen nach Belgien fahren oder doch fliegen? | |
Für sich leben oder die Wohnung mit Geflüchteten teilen? Waffen ja oder | |
nein? Ins Theater gehen oder Selbstversorger:innengärten anlegen? | |
Meeresurlaub oder Meeresschutz? | |
Das Brüsseler [2][Kunstenfestivaldesarts] ist eines der wenigen | |
europäischen interdisziplinären Festivals der Darstellenden Künste. Es | |
beschäftigt sich in diesem Jahr etwas mehr mit dem Stadtraum vor Ort als | |
sonst, hat sich aber nicht neu erfunden. Es ist ausverkauft, bietet dabei | |
keine leichten Häppchen, sondern versucht, das Sehen und Verstehen zu | |
schärfen. Lässt die Geister des Verdrängten defilieren, etwa imaginär zu | |
den Leichen ins Mittelmeer tauchen. | |
## Rahmen zum Nachdenken | |
Und es lässt angemessen Raum für ungelöste Fragen. So lässt sich ein | |
leitender Meeresbiologe, der im Dokumentartheaterabend „Out of the Blue“ | |
zitiert wird, dazu hinreißen, als Privatmensch zu sprechen und | |
einzugestehen, dass er auch nicht weiter weiß. Wenn er seine Freund:innen | |
über „die Folgen von Tiefseebergbau, Öl, Gas und Plastik“ informiere, | |
„werden sie deprimiert“. Andere wollen es nicht mehr hören. Einen Weg | |
heraus? „Vielleicht“, so meint er, „sollten wir es überhaupt nicht mehr | |
versuchen“. | |
Es gibt viele Abers. Manche sind haltbarer als andere. Was aber verbinden | |
kann, ist, wenn jemand, so wie es Silke Huysmans und Hannes Dereere in „Out | |
of the Blue“ tun, einen präzisen Rahmen zum Nachdenken schafft. [3][Ihr | |
Theaterabend über Tiefseebergbau ist der letzte Teil einer Trilogie, der | |
wie jeder Teil autark für sich funktioniert]. „Mining Stories“ (2016) | |
widmete sich der ökologischen Katastrophe, die 2015 in Brasilien durch eine | |
Giftschlammlawine verursacht wurde. Für „Pleasant Island“ (2019) schaffte | |
es das Team, Zugang zur pazifischen Insel Nauru zu bekommen. Nauru gilt als | |
Australiens Internierungslager für Geflüchtete. Weniger bekannt ist die | |
Geschichte der Zerstörung der Insel durch Kolonialismus, Ressourcenabbau | |
und Meeresspiegelanstieg. Ein erschöpftes Stück Land. | |
„Out of the Blue“ ist nun ein im besten Sinn mit journalistischer Methodik | |
erarbeiteter Theaterabend über eine Zeitenwende. Silke Huysmans und Hannes | |
Dereere haben dafür drei Schiffe – eines von Greenpeace, eines für die | |
Forschung und eines der belgischen Firma DEME-GSR – auf dem Stillen Ozean | |
via Satellit kontaktiert und Interviews mit der Besatzung geführt. Es geht | |
um die erste industrielle Test-Expedition der Erdgeschichte in die Tiefsee, | |
durchgeführt mithilfe des dafür entwickelten Bergbauroboters Patania. | |
Zweiundzwanzig Nationen, darunter Deutschland, haben im Rahmen der | |
International Seabed Authorities (ISA) eine Interessenerklärung für | |
Tiefseebergbau formuliert. In etwa drei Jahren könnte, so die Einschätzung | |
in „Out of the Blue“, mit Tiefseebergbau begonnen werden. | |
Anlass der Erschließung ist der weltweite Nickel-, Kobalt-, Kupfer- und | |
[4][Manganbedarf]. Im Stillen Ozean gibt es ein größeres Vorkommen davon | |
als auf der restlichen Erde im Gesamten, so die Interessenvertreter. Das | |
Argument für den Abbau ist schlagkräftig: Die Mineralien werden für jene | |
Batterien gebraucht, die den Strom aus erneuerbaren Energien speichern. | |
Somit wäre Tiefseebergbau für eine klimaneutrale EU im Jahr 2050 | |
unerlässlich. | |
## Ist die Erde für den Menschen gemacht? | |
Dabei würde eine Landschaft industriell genutzt, die sich seit Millionen | |
von Jahren unberührt entwickelt hat und deren Bewohner:innen eine | |
Lebensdauer von etwa 2.000 Jahren haben, was sie für | |
Wissenschaftler:innen extrem schwer zu erforschen macht. Die Fragen, | |
die das Thema aufwirft, sind dabei nicht technischer, sondern moralischer | |
Art: Ist die Erde für den Menschen gemacht? Entscheidet sich diese Spezies | |
irgendwann gegen ihre Hybris und dafür, ihren Aufenthalt hier als Gastrecht | |
zu betrachten? Können Grenzen des Nichtwissens zu Horizonten der | |
Bescheidenheit werden? | |
Bergbau war noch nie eine moralische Erfolgsgeschichte. Nirgendwo auf der | |
Welt, wie Huysmans und Dereeres erste zwei Trilogieteile zeigen, die im Mai | |
und Juni in Freiburg und Bitterfeld zu sehen sind. Lässt sich daraus für | |
den Umgang mit der Tiefsee lernen? | |
Das Brüsseler „Out of the Blue“ ist kein aktivistisches Dokumentartheater | |
mit einer konkreten Forderung. Es steuert stattdessen live durch einen | |
komplexen Wissensraum und stellt dar, an welche Grenzen Wissen und | |
Wissenschaft stoßen, wenn sie von Interessenvertreter:innen | |
interpretiert werden. Dieser Raum ist multimedial so präzise gestaltet, | |
dass im Publikum tiefseeische Stille herrscht. Eine Atmosphäre der | |
Aufmerksamkeit, in der sich statt schneller Antworten leise innere Stimmen | |
hören lassen. | |
25 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Theater-in-Zeiten-nach-Corona/!5704777 | |
[2] https://www.kfda.be/ | |
[3] https://silkehuysmanshannesdereere.com/tour-dates/) | |
[4] /Meere-als-Bergbaureviere/!5822108 | |
## AUTOREN | |
Astrid Kaminski | |
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