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# taz.de -- Projekt zum Wettermachen: Außer Kontrolle geraten
> Das Projekt „Weather Engines“ in Athen beschäftigt sich mit Wetter, Klima
> und der Frage, was Daten damit zu tun haben – in Lectures und
> Ausstellungen.
Bild: Eine Welt ohne Menschen: Videostill aus „Refugee for Resurgence, Window…
Sich vor dem Athener Gebäude der Onassis-Kulturstiftung aus Anlass einer
Masken- oder Zigarettenpause zu unterhalten, ist wie an vielen anderen
Orten Athens fast unmöglich. Wegen einer der Stadtautobahnen vor der
Haustür ist es schlicht zu laut. Der Autoverkehr, der maßgeblich dafür
sorgt, dass Athen unter europäischen Städten die größte Feinstoffbelastung
aufweist, beeinträchtigt die Lebensqualität hier auch durch den Geruch, den
Lärm und seine schiere räumliche Forderung.
Fahrradfahren ist in der Stadt so gut wie unmöglich, selbst für
Unerschrockene. Fußgänger:innen gehören nur beschädigte und viel zu
schmale Trottoirs, die zumal von Autos und Motorrädern mitbenutzt werden.
Sogar die kleinen Plätze in Stadtvierteln werden zum Parken benutzt.
Ein erfrischendes „Luftschnappen“ zwischen den Lectures zu der derzeit
laufenden [1][Ausstellung „Weather Engines“] ist also nicht drin. Diese
Realität passt zu dem enzyklopädischen Projekt der Kurator:innen Daphne
Dragona (Berlin) & Jussi Parikka (Aarhus), das untersucht, wie Wetter und
Atmosphäre von Körpern geschaffen oder produziert und wie sie von diesen
erlebt und, im Fall, überlebt werden.
In einer umfangreichen Ausstellung an zwei Standorten, Lectures, Workshops
und einem [2][Glossar in Buchform] werden die verschiedenen Aspekte des
„Wettermachens“ verhandelt, ihre Dynamiken, Einflüsse auf das Klima und auf
die ästhetischen, gesundheitlichen und rechtlichen Lebensbedingungen der
unterschiedlichen Körper, inklusive der Erde selbst. Es gilt dabei die
nicht rückgängig zu machende Prämisse (außer durch Selbstauslöschung), den
Planeten voll und ganz menschlichen Bedingungen unterworfen zu haben.
## Abnahme der Denkfähigkeit
Dass diese menschlichen Bedingungen zwar stark mit Kontrolle arbeiten, aber
nicht (mehr) kontrollierbar sind, ist eines der dominierenden Paradoxe der
Diskurse in dem zuletzt von Hitzewellen, Feuern, Starkregen und einem
unverhältnismäßig harten Winter geprägten Athen. In einer Welt aus
Datenmengen seien wir derart überwältigt, dass unsere Fähigkeit zum Handeln
immer weiter abnehme, was wiederum zu kognitiven Problemen und blinder Wut
führen könne, konstatiert der [3][Technologie-Autor und Künstler James
Bridle]. Durch die permanente Überproduktion von Daten schrumpfe
gleichzeitig die Möglichkeit, sie zu hinterfragen und zu interpretieren.
Die Chance, aus dieser psychischen Falle zu entkommen, sei umso kleiner,
denn Studien würden die Abnahme der Denkfähigkeit, insbesondere der
Kapazität, neue Ansätze zu finden, bei steigendem CO2-Gehalt der Atmosphäre
beweisen.
Die Problematik der Omnipräsenz von Daten, durch die auch das Wetter
erfasst, ermittelt und bestimmt wird, ist jedoch nicht nur eine
psychologische, sondern vielmehr selbst wiederum ein Wetterfaktor. So
verweist die Krieg-und-Klima-Forscherin Susan Schuppli (Goldsmiths,
Forensic Architecture) darauf, wie viel Energie es braucht, um die riesigen
Kühlsysteme für den Datenverkehr zu unterhalten. Die Dilemmata sind klar.
Jetzt komme alles darauf an, „die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu
überwinden“, so die Medientheoretikerin Birgit Schneider (Universität
Potsdam).
Aber wie? Wenn James Bridle von DIY-Workshops zu regenerativer Energie
spricht, während die Onassistanker unter der Billigflagge der Marshall
Islands durch die Weltmeere schippern, wirkt das erst einmal vergeblich.
Aber nicht in jeder Beziehung. Es braucht Instrumente des ethischen
Handelns, das letztlich die Selbstidentifizierung und Qualität des
Zusammenlebens bestimmt – bei aller Fatalität.
## Überlebende Tiere und Pflanzen
In diesem Sinn ist „Weather Engines“ weniger auf aktivistische Konzepte
ausgerichtet, die vorgeben, die Welt retten zu können, als auf das Erfassen
des Status quo, der Konsequenzen und des Handlungsspielraums. Dass eine
Welt ohne Menschen nicht unbedingt wie eine finstere Dystopie aussehen
muss, zeigt die Videoanimation „Refuge for Resurgence, Window View“ (2021)
des internationalen Superflux-Kollektivs: In einer überfluteten Stadt sind
überlebende Tiere zusammen mit Pflanzen in die Häuser eingezogen und
gestalten sich die Überbleibsel menschlicher Zivilisation als farbenfrohes
Biotop.
Gleichzeitig gilt die Frage, wie eine Welt mit Menschen aussehen kann, die
ihr „zivilisatorisches“ Erbe bestmöglich verantworten. Um nicht weiter in
der Rolle der außer Kontrolle geratenen Beherrscher:innen zu agieren,
sei, so nicht nur Andreas Philippopoulos-Mihalopoulos (University of
Westminster) in einem psychologiekritischen „Atmosphären“-Kurzessay, vor
allem die Abschaffung einer Kette von Scheingegensätzen nötig: von
menschlich versus nicht-menschlich, Subjekt versus Objekt, Kultur versus
Natur, Fühlen versus Wahrnehmen mit den Kopforganen, Atmosphäre versus
Emotionen. (Sein Essay ist ein Kleinod des trotz Gernot Böhme immer noch in
den Kinderschuhen steckenden Atmosphärenbegriffs.)
Wie wichtig „gefühlte Realitäten“ und ein reifer Umgang damit seien, mach…
wiederum die Medientheoretikerin Birgit Schneider klar. Sie führte zwei
Beispiele an: Einen Republikaner, der im US-Senat 2015 einen Schneeball
geworfen hatte als vermeintlichen Beweis für die Nichtexistenz des
Klimawandels, und Inselbewohner eines Archipels, die dessen Untergang am
eigenen Leib erfahren. Nicht um sie gegeneinander auszuspielen (die
Beispiele sprechen für sich), sondern um auf die Wichtigkeit im Erfahren
von und im Umgang mit subjektiver Wahrnehmung zu verweisen.
Diesen Spielraum vermitteln längst nicht alle Kunstwerke der Ausstellung.
Besonders die Videoarbeiten sind teils selbst Opfer ihrer Datenmengen und
ihres Produktionsaufwands. Sie fordern ein analytisches Sehen, das an einem
Samstagnachmittag kaum zu bewältigen ist. Die Lectures und Videos bieten
Material für Jahre.
Aber es gibt auch Arbeiten, die eine sinnliche Sprache gefunden haben, die
unmittelbar zur Auseinandersetzung motiviert. Dazu gehört für mich an
erster Stelle ein Terrazzoboden des [4][Labels Hypercomf (Insel Tinos)],
der mit am Strand gesammelten Plastikabfällen gegossen wurde und sich
ästhetisch an der Analyse vom Leben in Unterwasserhöhlen orientiert.
Oder das „Click-Ensemble“ (2022) des Musikers Coti K. (Athen): Vogelhäuser,
in denen ein Mechanismus Wetterdaten in dadaistische Klicks übersetzt. Es
befindet sich im Park des alten Athener Wetterobservatoriums, dem zweiten
Ausstellungsort von „Weather Engines“, errichtet auf dem Terrain eines
antiken Nymphenheiligtums. Das ist vielleicht der Ort mit der schönsten
Atmosphäre von ganz Athen – wo immer noch (Zwergohr-)Eulen rufen.
12 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.onassis.org/art/collections/weather-engines
[2] https://www.onassis.org/culture/publications/words-of-weather-a-glossary
[3] /Archiv-Suche/!5543366&s=James+Bridle&SuchRahmen=Print/
[4] https://www.hypercomf.com/
## AUTOREN
Astrid Kaminski
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