| # taz.de -- Kunst und Medienwelt: Lasst alle Hoffnung fahren! | |
| > Der Fluss der Daten wäre nicht möglich ohne ressourcenfressende | |
| > Maschinen. Davon erzählt auch die Transmediale-Ausstellung in Berlin. | |
| Bild: Annäherung an die Hölle mit „Tianzhuo Chen: The Dust (2021)“ | |
| Irland hat in der Geschichte der globalen Telekommunikation eine wichtige, | |
| doch wenig bekannte Rolle gespielt. Im Jahr 1858 wurde das erste | |
| transatlantische Telekommunikationskabel von Valentia Island, einer dünn | |
| besiedelten Insel vor der Küste des Landes, nach Neufundland gelegt. Und | |
| plötzlich verbreiteten sich Nachrichten aus Irland schneller in Nordamerika | |
| als im benachbarten Großbritannien. Aus der kleinen Insel, auf der zuvor | |
| nur Landwirtschaft betrieben wurde, war über Nacht ein Knoten in einem | |
| rasant wachsenden Netz aus Leitungen und Verbindungen geworden, welche die | |
| reale Geografie um ein unsichtbares Terrain aus Signalen und Daten | |
| erweiterte und das kleine Eiland mit dem globalen Informationsraum | |
| verschränkte. | |
| Wenn wir uns heute per Computer oder Smartphone an diesen globalen | |
| Informationsraum anschließen, mag uns vielleicht noch auffallen, dass | |
| dieser viel von dem utopischen Glanz verloren hat, der ihn beim Aufkommen | |
| der globalen Telegrafie oder später des Internet illuminierte. Aber dass da | |
| nach wie vor diese Unterseekabel und diese ganze andere sperrige | |
| Technologie sind, die den ganzen Datenfluss am Laufen halten, daran denken | |
| wir nie. | |
| Die Installation „Entangled“ von der irischen Künstlergruppe Annex erinnert | |
| uns genau an diese Verstrickung von physischer Hardware und virtueller | |
| Realität. Ein Serverrack wie die, die normalerweise die Tausende von | |
| Computern in einem Internet-Rechenzentrum beinhalten, ist hier wie ein | |
| großer Scheiterhaufen aufgebaut. | |
| Der gemahnt auch daran, dass Irland dank seines kühlen Klimas ein | |
| bevorzugter Standort für genau die Art von Rechenzentren geworden ist, ohne | |
| die die globale Dateninfrastruktur der Gegenwart nicht denkbar wäre: | |
| [1][2019 hat Dublin London als Rechenzentrumshauptstadt Europas abgelöst;] | |
| diese Rechenzentren sollen bis zum Jahr 2027 31 Prozent des gesamten | |
| irischen Strombedarfs verbrauchen – der größte Teil davon erzeugt aus | |
| fossilen Brennstoffen. | |
| Entsprechend sind in der riesigen Installation zwischen den Monitoren, die | |
| schnell wechselnde Luftaufnahmen und Computerprosa zeigen, Kohlebecken | |
| installiert. Der Fluss der Daten und die glatten Oberflächen des Netzes | |
| wären nicht möglich ohne ressourcenfressende Maschinen, die mit einer | |
| Energiequelle aus der Zeit der industriellen Revolution angetrieben werden. | |
| ## Das düster pochende Herz | |
| Die Installation, die 2021 schon auf der Biennale in Venedig zu sehen war, | |
| ist das düster pochende Herz der Ausstellung der diesjährigen Transmediale, | |
| dem Berliner Festival für Medienkunst und -kultur, das diesmal in der alten | |
| Akademie der Künste im Tiergarten stattfindet. | |
| Die Transmediale präsentiert auch sonst keinen freundlichen Rundblick in | |
| die Medienwelt, wie schon der Titel „abandon all hope ye who enter here“ | |
| vermuten lässt. Wenn man wie die armen Seelen in Dantes Inferno alle | |
| Hoffnung hat fahren lassen, findet man sich in einem Ausstellungslabyrinth | |
| wieder, in dem man sich selbst dann kaum zurechtfindet, wenn man mit der | |
| alten Akademie der Künste gut vertraut ist. | |
| Gleich neben „Entangled“ ist ein weiterer Haufen von Technikschrott zu | |
| sehen, den das Künstlerkollektiv Lo-Def Film Factory aus Südafrika | |
| aufgehäuft hat, um daran zu erinnern, dass viele der Geräte, mit denen wir | |
| uns umgeben, über kurz oder lang in Afrika landen. Eingebunden ist der | |
| Schrotthaufen in eine komplexe Installation mit drei Animationen und einer | |
| Virtual-Reality-Komponente, die sich mit dem Uran für die erste Atombombe | |
| beschäftigt, das aus dem damaligen Belgisch-Kongo kam. Aus Archivmaterial | |
| und Interviews mit Zeugen haben Amy Louise Wilson und Francoise Knoetze | |
| eine komplexe Arbeit collagiert, bei der selbst der VR-Teil einmal | |
| sehenswert ist. | |
| ## Archive des Krieges | |
| Ebenfalls mit Archivmaterial arbeitet die libanesische Künstlerin Alaa | |
| Mansour, die in ihrem Video „The Mad Man’s Laughter“ Material aus der | |
| Library of Congress, dem US-Nationalarchiv, vom Bilderdienst des | |
| Verteidigungsministeriums und aus dem Deep Web zu einer bedrückenden Folge | |
| von Kriegsbildern und Material aus Computerspielen zusammengesetzt hat. | |
| Diese Arbeiten wie auch die raumfüllende Installation „Remaining Threads“ | |
| von Ibiye Camp aus Sierre Leone eröffnen der Transmediale den globalen | |
| Süden, der in vorangegangenen Präsentationen der Medienkunstveranstaltung | |
| oft keine Rolle spielte. | |
| Als [2][Kuratorin Nora O Murchú] vor anderthalb Jahren die Leitung der | |
| Transmediale übernahm, wollte sie diese aus der Routine des Betriebs | |
| befreien und statt einer Großveranstaltung ein Festival machen, das das | |
| ganze Jahr lief. Auch als Reaktion auf die Einschränkungen, die Corona für | |
| Kulturveranstaltungen bedeutete, gab es Freiluftkino, gestreamte Vorträge, | |
| die Onlinepublikation „Almanac“ und ein Residency-Programm. Doch auch wenn | |
| der Ausstellungsraum der Transmediale im Silent Green im Wedding weiterhin | |
| ganzjährig für Veranstaltungen und Ausstellungen genutzt werden soll, wird | |
| die Transmediale selbst im kommenden Jahr wieder wie gewohnt als | |
| mehrtägiges Festival mit Ausstellung in Februar abgehalten. | |
| 28 Jan 2022 | |
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| [1] /Stromversorgung-in-Irland-gefaehrdet/!5804119 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tilman Baumgärtel | |
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