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# taz.de -- Architektur der Datendemokratie: Die Politikmaschinen
> Daten sind wichtige Ressourcen. Der Ort, an dem sie gespeichert sind, ist
> jedoch unsichtbar. Niklas Maak fordert eine neue Architektur der
> Aufklärung.
Bild: Die Serverfarm als öffentlicher Ort, Zeichnung aus dem besprochenen Buch
Als im März 2021 über einem Gebäudekomplex in Straßburg eine große Rußwol…
in die Luft stieg, stand buchstäblich eine Cloud in Flammen. Zwei der vier
Rechenzentren von Europas größtem Hosting-Anbieter OVH wurden damals
zerstört. Infolge des Brandes gingen 3,6 Millionen Websites offline – und
auch die meisten der dort gespeicherten Daten verloren. Auf eine
Synchronisation ihrer Daten hatten vielen Kunden, darunter auch staatliche
Institutionen und Banken, offenbar aus Kostengründen verzichtet.
Diese Episode führt vor Augen, was inmitten der vermeintlichen Ortlosigkeit
des Internets meist unsichtbar bleibt: dass unsere Daten nicht nur
verletzlich sind, sondern auch ihren physischen Ort haben. Gleichzeitig
sind Serverfarmen architektonisch meist unscheinbar gestaltet und sie
befinden sich in der Regel abseits der Stadtzentren im Nirgendwo.
An den Rechenzentren zeige sich, wie sehr digitale Macht über eine Mischung
aus Unsichtbarkeit und Omnipräsenz funktioniert, argumentiert Niklas Maak
in seinem neuen Buch „Servermanifest“, das Rechenzentren
demokratiepolitisch, architektonisch, historisch und ökologisch in den
Blick nimmt.
Teil des knapp 100-seitigen Bandes sind ein Hintergrundinterview mit dem
Architekten Karsten Spengler sowie Entwürfe von Studierenden der
Städelschule. Dazu kommt ein Text von Francesca Bria, Chefberaterin der
Vereinten Nationen für digitale Städte. In Barcelona hatte Bria vor einigen
Jahren einen innovativen und politisch progressiven Umgang mit den Daten
ihrer Bürger:innen realisiert.
## Der Auspuff der Cloud
Entgegen weit verbreiteter Vorstellungen hat die Cloud einen „ziemlich
großen Auspuff“, betont Maak. Allein auf die aufwändig klimatisierten
Rechenzentren fallen zwei Prozent der globalen Treibhausgasemissionen.
Wegen des Strombedarfs der eigenen Server würde Frankfurt am Main seine
Energieziele für 2050 nicht erreichen. Wäre die Stadt ökologisch besser
organisiert, ließe sich jedoch der gesamte Wärmebedarf der dortigen
Privathaushalte und Bürogebäude ab 2030 mit der Abwärme der Rechenzentren
decken.
Was Maak vorschwebt, weist allerdings weit über ein Plädoyer für eine
größere ökologische Effizienz von Serverfarmen hinaus. Es geht ihm vor
allem um einen politischen, aufklärerischen Ort; um einen „kollektiven
Ort“, an dem jede:r sehen kann, was digitale Gesellschaften mit den
gemeinsam erzeugten Daten machen könnten, würden diese nicht von den
meisten Bürger:innen an private Konzerne und Plattformen verschenkt.
Rechenzentren wären demzufolge gestaltet als eine Mischung aus Rathaus,
Park, offenem Platz, Ausstellungsräumen, Forschungseinrichtungen und
öffentlicher Serverfarm. Wichtige politische Fragen unserer Zeit würden
dadurch buchstäblich ins Zentrum der Gesellschaft gerückt. Maak fordert
eine aktuelle Version des 1977 in Paris errichteten Centre Pompidou. Es
brauche ein ähnliches Symbol der Bürgerfreiheit wie einst das Rathaus als
Gegengewicht zum Schloss des Feudalherren.
Das weltweit erste Rechenzentrum entstand bereits 1946 im Kontext des
Zweiten Weltkriegs in Philadelphia, in der BRD Jahre später in Darmstadt.
Auch die DDR-Machthaber schufen 1968 ein zentrales Rechenzentrum für
planwirtschaftliche Berechnungen. Platziert in der Ruine der
geschichtsträchtigen Potsdamer Garnisonkirche, zeigte sich an seiner
Architektur der realsozialistische Fortschrittsoptimismus. Noch heute ist
dort das mehrteilige [1][Glasmosaik „Der Mensch bezwingt den Kosmos“] zu
sehen.
## Serverfarm-Architekturen
Die Versuche des britischen [2][Kybernetikers Stafford Beer in Chile unter
Salvador Allende] sind ebenfalls Thema in „Servermanifest“. Derartige
Ausflüge in die Geschichte der Rechenzentren lesen sich faszinierend.
Zusammen mit Beispielen für zeitgenössische Serverfarm-Architekturen aus
Amsterdam, Leeds oder Barcelona sowie inspirierenden Architekturen
demokratischer, öffentlicher Orte aus Berlin, São Paulo oder California
City zeigen sie, wie sehr Macht und Politik – wohl oder übel – auch mit
Architektur zusammenhängen.
„Servermanifest“ stellt daher dezidiert auch die Frage nach politischen
Machtverhältnissen. Es gehe um nichts weniger als die digitale Souveränität
Europas, die zerrieben werde zwischen dem Überwachungskapitalismus
chinesischer Prägung und den Datenmonopolen der Tech-Giganten.
„Servermanifest“ ist ein inspirierendes und unbedingt lesenswertes Buch!
10 Jul 2022
## LINKS
[1] https://www.potsdam.de/glasmosaik-der-mensch-bezwingt-den-kosmos-fritz-eise…
[2] https://jungle.world/artikel/2021/45/alle-macht-den-menschen
## AUTOREN
Till Schmidt
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