# taz.de -- Neuer Roman von Niklas Maak: Zu rational, um wahr zu sein | |
> Was verführt Ingenieure? In dem Roman „Technophoria“ erkundet Niklas Maak | |
> das Projekt des Fortschritts und die Tücken des Objekts. | |
Bild: Die Ironie: Am Schluss landen alle Pläne hier, als Datenstrom in Kabeln … | |
Man befinde sich an einem euphorischen Punkt der Weltgeschichte, sagt | |
Driessen, der Smart Cities erst in Berlin und dann im Rest der Welt baut | |
und einer der Protagonisten in Niklas Maaks Roman „Technophoria“ ist. Denn | |
wenn Fliegen ein Problem für die Umwelt sei, müsse man eben nicht aufhören | |
zu fliegen, sondern wasserstoffbetriebene Flugzeuge erfinden, und habe man | |
Angst um seine Daten, dann müsse man eben neue Filtermechanismen erfinden. | |
Jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, ist es nur vernünftig, Angst um die | |
eigenen Daten zu haben. Immerhin versuchte Gesundheitsminister Spahn ja die | |
schlechteste, weil zentrale statt dezentrale Verwaltung der Daten | |
durchzusetzen. Auch wenn er damit gescheitert ist, entgegen Driessens | |
Versprechen bestmöglicher Lösungen lässt sein Gebaren wenig Raum für | |
Euphorie. | |
Aber natürlich rechnet Driessen, das hat ihn sein Mentor Daniel L. | |
Doctoroff gelehrt, Investmentbanker bei Lehman, danach rechte Hand von New | |
Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg und in dieser Funktion der Mann | |
hinter den Hudson Yards und jetzt CEO bei Googles Sidewalk Labs, mit genau | |
derlei Politikern. Sie machen ihm den Job leicht, wollen sie doch genau wie | |
er, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen, die Bürger entmündigen und | |
kontrollieren. | |
Nein, die Sache mit der Euphorie ist eine ziemliche theoretische | |
Angelegenheit, was sie aber nicht uninteressant macht – und schließlich, | |
ist sie nicht Teil jeder Utopie? | |
Niklas Maak, vor allem [1][für seine Architekturkritiken bekannter | |
Feuilletonredakteur der FAZ], setzt nun geschickt mit seinem zweiten Roman | |
(der erste hieß „Fahrtenbuch“ und handelte von einem Mercedes 350 SL) genau | |
an jenem Kipppunkt an, wo die Utopien von morgen gerade zur Realität von | |
heute werden. Dabei erweisen sich die großen Erwartungen an die technische | |
Machbarkeit, an KI und den smarten Alltag, als einigermaßen ambivalente | |
Angelegenheit. | |
## Wie bei Jacques Tati | |
Und da erinnert dann eine der irrwitzigsten Szenen an [2][Jacques Tatis | |
Monsieur Hulot] und dessen Kampf mit den Tücken des Objekts, wenn Driessen | |
in sein neues rundum sprachgesteuertes Smart Home einlädt, wo der Befehl | |
„Auto!“ zu einer – auch Fischli Weiss lassen grüßen – nicht enden wol… | |
Kaskade von unglücklichen, gleichwohl erfrischend überraschenden Reaktionen | |
von Dingen, Tieren und Menschen führt. | |
Der Befehl kommt von Turek, Driessens Cheflobbyisten. Selbst ihn aber | |
erstaunen die Maßstäbe, in denen sein Chef plant: „Sie würden nicht nur | |
eine, sondern viele Smart Cities bauen, und sie würden nicht nur Smart | |
Cities bauen, sondern dazu gleich Meere, Ozeane. Die Meeresspiegel wieder | |
senken. Das Klima verändern. Die Sonne attackieren.“ | |
Das Projekt der Flutung der ägyptischen Qattara-Senke, erstmals 1912 | |
angedacht, in den 1970er Jahren in einer vom deutschen Bundesministerium | |
für Wirtschaft und Technik beauftragten Machbarkeitsstudie der ägyptischen | |
Regierung angedient, aber nie realisiert, soll Driessens Meisterstück | |
werden. Was sind schon die Hudson Yards? | |
## Verführerische Rationalität | |
Qattara ließe in der Wüste ein Meer entstehen, darüber Wolken, Regen, die | |
Sahara würde grün, das Klima mitteleuropäisch angenehm. Es würden Städte | |
gebaut, es entstünden Arbeitsplätze, Nordafrika entwickelte sich zur | |
Wohlstandsregion, und die Migration nach Europa wäre kein Thema mehr. Dazu | |
würde das neue Meer die weltweit steigenden Meeresspiegel entlasten, die | |
sänken, weil das Wasser in die Wüste läuft. Klingt natürlich zu schön, um | |
wahr zu sein. Und hat doch genügend verführerische Ingenieurs- und | |
Planerrationalität. | |
Turek jedenfalls zieht mit, versucht es zumindest, und scheitert. | |
Allerdings nicht an der Gigantomanie des Projekts, Niklas Maaks | |
„Technophoria“ ist kein dystopischer Entwurf drohenden technologischen | |
Unheils, sondern recht besehen ein kühler, ironisch literarisierter | |
Tatsachenbericht. Turek stürzt ganz konkret wegen seiner romantischen | |
Verzauberung durch die digitale Technik ab. | |
Kein wirklicher Digital Native – er fährt einen Retro-Porsche –, durchfäh… | |
Turek beim Anblick der Serverracks im blauen Dämmerlicht der | |
Kontrolllämpchen der Schrecken des Erhabenen. | |
## Gesicherte Datenströme | |
Sein Zufluchtsort wird die Serverfarm und die kalte, schöne Ästhetik der | |
Architektur für die mit hohem energetischem Aufwand gekühlten und mit nicht | |
minder hohem Aufwand physisch gesicherten Datenströme, in denen alles, was | |
den Menschen ausmacht, seine letzten und klügsten Gedanken genauso wie | |
seine Blutdruckwerte, prozessiert und zu neuen Datensätzen verbunden und | |
verwandelt wird. | |
Und hier liegt vielleicht die tiefere Ironie des Romans, das historische | |
Menschheitsprojekt des Fortschritts, das seine Protagonisten, jeder auf | |
seine unzulängliche Art und Weise, in seiner Faszination und seiner | |
Monstrosität auszuloten versuchen, hier ist es letztlich auch nur: ein | |
Datensatz. | |
13 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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