| # taz.de -- Klimawandel und das Multiversum: Letzter Ausweg Parallelwelt | |
| > Filme über das Multiversum haben im Kino derzeit Konjunktur. Das könnte | |
| > auch etwas mit Entwicklungen wie dem Klimawandel zu tun haben. | |
| Bild: Eine Welt, in der die Leute Würste statt Fingern haben: Das Multiversum … | |
| „There is no planet B“, lautet der berühmteste Slogan der | |
| Klimaschutzbewegung. Er soll zum Ausdruck bringen, was in der Merkel-Ära | |
| mit dem Wort „Alternativlosigkeit“ beschrieben worden wäre: Es gibt nur | |
| diese eine Erde. Wenn sie kaputt ist, Pech gehabt. Ausweichziele im Weltall | |
| bieten sich derzeit zumindest keine. Aber stimmt es, dass die Welt keinen | |
| Ausweg hat? | |
| Die Theorie der Parallelwelten bietet eine andere Perspektive. Schon bei | |
| den Vorsokratikern machte man sich Gedanken über die Existenz vieler | |
| Welten, von 183 kósmoi bis unendlich gingen die Überlegungen. In der | |
| Quantenphysik hat sich dann der Begriff „Multiversum“ etabliert, wobei er | |
| unterschiedliche Dinge bedeuten kann. In einer Interpretation bezeichnet er | |
| die Gesamtheit aller Parallelwelten. | |
| Was eine attraktive Idee sein kann: Bin ich in dieser Welt nicht ganz | |
| zufrieden mit dem, was oder wie ich bin, habe ich noch potenziell unendlich | |
| weitere Möglichkeiten, in anderen Welten zu sein. Mein Scheitern hier kann | |
| durch Glück oder Erfolg in zahllosen anderen Welten ausgeglichen werden. | |
| Gleich zwei Filme spielen derzeit im Kino mit den Vorzügen des | |
| Multiversums: „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ von Sam Raimi, | |
| der am Donnerstag gestartet ist, und „Everything Everywhere All at Once“ | |
| von [1][Dan Kwan und Daniel Scheinert], eine Woche zuvor angelaufen. In | |
| beiden Fällen lösen die Protagonisten, einmal der titelgebende Dr. Strange | |
| (Benedict Cumberbatch), im anderen Fall die kalifornische | |
| Waschsalonbetreiberin Evelyn Wang (Michelle Yeoh) ihre Schwierigkeiten | |
| durch Reisen von einer Parallelwelt in die nächste. | |
| Und beide Male geht das so rasant wie kunterbunt zu, bei [2][„Doctor | |
| Strange“] etwas sinnbefreiter, bei „Everything Everywhere“ mit weniger | |
| Budget, aber mehr Fantasie und überzeugenderen Charakteren: Neben Michelle | |
| Yeoh lohnt der Film allein schon für Jamie Lee Curtis, versteckt hinter | |
| einer echt bösen Maske, in der Rolle als Finanzbeamtin. | |
| ## Unbehagen in der Welt | |
| Dass das Thema Multiversum aktuell so gern zum Geschichtenerzählen | |
| herangezogen wird, könnte mit einem allgemeinen Unbehagen in der Welt zu | |
| tun haben. Der Klimawandel engt in der Wahrnehmung vieler Menschen den | |
| Horizont der Zukunft ein. Überhaupt hat das Wort „Zukunft“ unter jüngeren | |
| Leuten anscheinend seinen neutralen Klang verloren und reimt sich bevorzugt | |
| auf „Angst“. | |
| Der Eskapismus von früher, ausweichen in die fiktiven Welten, die Künste | |
| oder Drogen verheißen, hat gegenüber den Parallelwelten den entscheidenden | |
| Nachteil, dass man von der Fiktion, vorausgesetzt man bleibt nicht auf | |
| einem Trip hängen, irgendwann wieder zurück muss in die Realität. | |
| Parallelwelten hingegen sind einfach da. Immerhin ein trostreicher Gedanke. | |
| Die Erzählungen von „Doctor Strange“ und „Everything Everywhere“ sind | |
| allerdings zugleich so aufgebaut, dass eine unmittelbare Gefahr für die | |
| hiesige Welt stets aus einer anderen Welt droht. Ganz so einfach ist es mit | |
| der Flucht in die Parallelwelten dann vielleicht doch nicht. Die Probleme, | |
| die man hat, muss man am Ende immer hier lösen. Steuererklärung, Welt(en) | |
| retten oder was sonst gerade ansteht. | |
| 6 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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