# taz.de -- Spielfilm über rassistische Gewalt: Eine Frau beißt sich durch | |
> „Nico“ erzählt von einer rassistisch motivierten Attacke auf eine | |
> Deutschperserin und ihrem langen Heilungsprozess. Es ist das Debüt von | |
> Eline Gehring. | |
Bild: Direktes Empowerment: Nico (Sara Fazilat) lernt nach einer Attacke Karate | |
Es ist ein strahlender Morgen irgendwo in Berlin. Nico (Sara Fazilat) | |
radelt zur ersten Patientin des Tages. Sie reckt das Gesicht gen Himmel, | |
genießt den Sonnenschein, wirkt zufrieden. Die Aussicht auf den | |
bevorstehenden Arbeitstag als Altenpflegerin scheint ihre Laune nicht | |
trüben zu können. | |
Die Idylle aber hält nicht lange an. Ein paar Augenblicke später beginnt | |
eine ungeduldige Autofahrerin hinter ihr unablässig zu hupen, kurz darauf | |
schleudert sie ihr wüste Beleidigungen entgegen. Nico reagiert bestimmt: | |
Sie schwingt sich betont gelassen von ihrem Fahrrad, schlendert zur | |
Frontscheibe des Wagens und zerdrückt genüsslich einen Donut darauf. | |
Die Titelheldin des Langfilmdebüts von Eline Gehring hat gelernt, für sich | |
selbst einzustehen. Das Drama zeichnet sie allerdings als mindestens so | |
herzlich wie hemdsärmelig, wie die Szenen direkt im Anschluss an die | |
Auftaktsequenz unterstreichen. | |
Sie zeigen sie im liebevollen Umgang mit den Seniorinnen, um die sie sich | |
kümmert: Geduldig lässt sie sich von Fernandez (Isidoro Fernandez | |
Mompelier) Tanzschritte zeigen und scherzt mit Brigitte (Brigitte Kramer) | |
in der Badewanne, formt ihr das Haar zu einer Punk-Frisur. | |
## Gemeinsam konzipiertes Drehbuch | |
Weil das Drehbuch – an dem neben Gehring und Fazilat auch Kamerafrau Francy | |
Fabritz mitwirkte – Nico als überaus sympathischen Macherinnentyp angelegt | |
hat, ist der Überfall, den die Deutschperserin kurz darauf durchleben muss, | |
umso schmerzhafter mitanzusehen. Er kommt einer Zäsur, dem Ende einer bis | |
zu diesem Zeitpunkt empfundenen Selbstverständlichkeit gleich. Der, sich in | |
Deutschland als Frau mit Migrationshintergrund gänzlich sorgenfrei bewegen, | |
im Zweifel zumindest aber zur Wehr setzen zu können. | |
Auf dem Nachhauseweg von einer Party wird Nico zunächst von einer anderen | |
Frau (Sabrina Tannen) angerempelt, dann angepöbelt und schließlich mit | |
Unterstützung ihrer beiden männlichen Begleiter brutal zusammengeschlagen | |
und bewusstlos zurückgelassen. | |
Ob ihrer durchdachten Inszenierung ist die Sequenz umso eindrücklicher: Die | |
wackelige Handkamera bleibt stets nah an Nicos Gesicht und fängt so aufs | |
Genaueste ein, wie sie zunächst – ähnlich wie zu Beginn des Films – | |
versucht, souverän auf die Konfrontation zu reagieren. Und anschließend, | |
wie die betonte Gelassenheit in diesem Fall in nackte Panik umschlägt, als | |
ihre Angreiferin sie plötzlich ohrfeigt. | |
Die einnehmende [1][Darbietung Sara Fazilats – beim 42. Filmfestival Max | |
Ophüls Preis mit dem Nachwuchs-Schauspielpreis gewürdigt] – trägt auch im | |
weiteren Verlauf des nur knapp achtzigminütigen Films bedeutend zu dessen | |
Intensität bei. Trotz seiner kurzen Spielzeit ist „Nico“ kein prägnant | |
erzählter Film, und schon gar kein formelhaftes Lehrstück. | |
## Kein Lehrstück und dadurch umso wirkungsvoller | |
Als solches gerieren sich viele Produktionen mit vergleichbarer Thematik – | |
allzu oft verfallen sie in immer gleiche Erzählmuster, beschränken ihre | |
Figuren auf den Stellenwert einer austauschbaren Opfer- oder | |
Heldenkarikatur und versinken entweder in unsäglicher Melodramatik oder | |
münden in einem unglaubwürdigen Happy End. | |
Das Mäandern des Plots bewahrt ihn davor, einen ähnlichen Weg | |
einzuschlagen. Seine Protagonistin wird nach der rassistisch motivierten | |
Attacke von Flashbacks geplagt, versucht aber gegen die Angst vorzugehen, | |
anstatt sich ihr hinzugeben. Einerseits findet Nico Halt in der Beziehung | |
zur Mazedonierin Ronny (Sara Klimoska), die ebenso wenig geradlinig | |
verläuft wie ihr Heilungsprozess selbst. Andererseits versucht sich Nico | |
durch Kampftraining etwas Sicherheitsgefühl zurückzuerobern. | |
Karatelehrer Andy wird von Andreas Marquardt gespielt, der seit geraumer | |
Zeit eine eigene Sportschule in Berlin-Neukölln betreibt und der | |
Öffentlichkeit durch seine von [2][Rosa von Praunheim] verfilmte | |
Autobiografie „Härte – Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt“ bekannt | |
wurde. Auch seine Besetzung trägt dazu bei, dass „Nico“ wie aus dem Leben | |
gegriffen wirkt und gerade deswegen eine größere Wirkung entfalten kann als | |
Filme, die einen mahnend-belehrenden Ton anschlagen. | |
11 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Max-Ophuels-Nachwuchsfilmfest/!5743117 | |
[2] /75-Geburtstag-Rosa-von-Praunheims/!5463182 | |
## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Selbstermächtigung | |
Spielfilm | |
Gewalt gegen Frauen | |
Deutscher Film | |
Spielfilm | |
Kurzfilm | |
Spielfilm | |
Film | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Kinofilm von Joachim Trier: Die Sache mit Sisyphos | |
Im Kino-Drama „Der schlimmste Mensch der Welt“ betrachtet Regisseur Joachim | |
Trier die Sinnsuche einer jungen Frau, die durch Oslo treibt. | |
68. Kurzfilmtage Oberhausen: Spaß an der Überfülle | |
Die Kurzfilmtage hatten Porträts von Minderheiten im Programm. Zudem wagten | |
sie einen kritischen Blick auf die eigene Geschichte. | |
Klimawandel und das Multiversum: Letzter Ausweg Parallelwelt | |
Filme über das Multiversum haben im Kino derzeit Konjunktur. Das könnte | |
auch etwas mit Entwicklungen wie dem Klimawandel zu tun haben. | |
Film über drei Kurdinnen in Berlin: Das Dorf als Sehnsuchtsort | |
Zwischen Wahlheimat und Exil: Serpil Turhans Dokumentarfilm „Köy“ ist ein | |
vielschichtiges Porträt türkisch-kurdischen Lebens in Deutschland. |