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# taz.de -- „Swiss Army Man“ im Kino: Zum Pupsen in die Büsche
> Nach Strich und Faden sonderbar: Im Film „Swiss Army Man“ erzählt das
> Regieduo Daniels von zwei Jungs auf einer einsamen Insel.
Bild: Hank (Paul Dano) und Manny (Daniel Radcliffe, im blauen Anzug) im Wald
Was wäre ein Robinson ohne seinen Freitag? Gerade legt sich Hank (Paul
Dano) den Strick um den Hals, um seinem Leben als unfreiwilliger und
einziger Bewohner einer entlegenen Insel ein Ende zu bereiten, da schwemmt
ihm das Meer in Manny (Danny Radcliffe) die Aussicht auf Gesellschaft an
den Strand.
Doch das Geschenk des Himmels entpuppt sich im Nu als galliger Treppenwitz:
Manny ist – vom ehemaligen Harry- Potter-Darsteller Radcliffe vorbildlich
regungslos verkörpert als Flummi, der äußeren Kräften nichts
entgegenzusetzen hat – mausetot. Und er ist darüber hinaus bis zum Anschlag
mit Leichengas gefüllt, das Hank in dem Moment, in dem der Enthusiasmus der
Erkenntnis des Gelackmeierten weicht, noch kräftig etwas pustet.
Macht aber schlussendlich doch nichts, denn die reichlich vorhandenen Winde
des Verstorbenen erweisen sich als so schubkräftig, dass man Hank bald
himmelhochjauzend auf Mannys Rücken über das Wasser jetten sieht, auf dem
Weg zum rettenden, von den Errungenschaften der Zivilisation allerdings
noch immer weit entfernten Festland.
## Body-Movie, Buddy-Movie
„Swiss Army Man“ ist der erste lange Film der unter dem gemeinsamen
Pseudonym Daniels arbeitenden Regisseure Dan Kwan und Daniel Scheinert. Er
beginnt tatsächlich so charmant hirnverbrannt, wie sich das oben liest.
Auch im Folgenden bleibt in diesem als Buddy-Movie getarnten Body-Movie
keine Gelegenheit ungenutzt, um nach Strich und Faden sonderbar zu sein.
Dem Leichnam zu Dank verpflichtet, lässt Hank diesen nicht am Ufer zurück,
sondern nimmt ihn huckepack mit auf seinem Weg durch einen schier endlosen,
auffällig vermüllten Wald, wo sich Manny zu Hanks aus allen Wolken
fallender Überraschung rasch als munter plaudernde Quasselstrippe zu
erkennen gibt. Von einem früheren Dasein als Mitglied der Gesellschaft hat
er allerdings keinerlei Begriff mehr.
## Zivilisation aus dem Müll lernen
Was aus dieser wahnwitzigen Prämisse folgt, ist die wohl am meisten zu
Herzen gehende Bromance der Kinosaison: Hank, vor seinem Leben als
gestrandeter Inselbewohner ein eher nerdiger und wohl auch eher
unsympathischer Außenseiter, lässt es an keinem Aufwand mangeln, um aus dem
im Wald verstreuten Zivilisationsmüll eine Vorstellung dessen zum Leben zu
erwecken, was es heißt, in einer Gesellschaft zu leben – das heißt mit
anderen Menschen zu agieren, sie zu lieben, von ihnen genervt zu sein, an
ihnen und an sich zu verzweifeln. Kompromisse zu machen.
Für den von der Aussicht auf ein Leben unter Menschen (und auf die Liebe zu
einem Menschen) zusehends in naive Ekstase versetzten Manny etwa ist es
schier unbegreiflich, dass Menschen nicht offen zu ihren Pupsen stehen. Als
er dahinterkommt, dass Hank zum Gasablassen in die Büsche geht, stellt dies
für den Adepten in Sachen soziales Miteinander einen kränkenden
Vertrauensbruch erster Güte dar.
Durch die Augen einer vergesslichen Leiche betrachtet, rücken die Facetten
menschlichen Zusammenlebens in ihrer mitunter skurrilen Dimension erst so
richtig in den Blick. Der Marsch durch den Wald wird so zu einer
gleichermaßen enthusiasmierenden wie melancholischen Lektion in Sachen
conditio humana, in deren Verlauf sich Manny immer wieder aufs Neue als
praktischer Lebensretter und Komfortspender entpuppt, der dem Filmtitel
(„Schweizer-Taschenmesser-Mann“) alle Ehre erweist: Ob als unerschöpflicher
Wasserspender oder als Barbier, dessen rasierklingenscharfe Zähne jedem
Vollbart den Garaus machen. Sogar als Kompass leistet Manny wertvolle
Dienste: Seine regelmäßig ausschlagende Erektion weist verlässlich den Weg.
## Steht zu seinen Beknacktheiten
Großartig an „Swiss Army Man“ ist, dass er seine am laufenden Meter
präsentierten Beknacktheiten an keiner Stelle augenzwinkernder Ironie
preisgibt. Der Lust am Selbstgebastelten und allen Skurrilitäten zum Trotz
ist es den Daniels sehr ernst mit ihrer auch vor Traurigkeiten nicht
zurückschreckenden Meditation über die Widersprüche zwischen der Sehnsucht
nach körperlicher Glückserfahrung und der gesellschaftsbedingten Auflage
zur Sublimierung.
Sehr offensichtlich suchen die Regisseure die Ekstase, die Momente
jauchzender Umarmungen des Lebens, denen die Melancholie als Kehrseite
immer schon untergeschoben ist. Das unterscheidet diesen, nebenbei bemerkt,
auch wunderbar queeren Film vom auch schon sichtlich in die Jahre
gekommenen Hipster-Indiekino Marke Sundance und dessen wohlfühligem
Mittelschichts-Fluff: „Swiss Army Man“ geht mitunter auch dorthin, wo es
wehtut. Sein ekstatisches, dabei immer auch zärtlich bleibendes Pathos und
sein Wille, vom Pups ausgehend übers Menschsein zu philosophieren, bedingt
den Unterschied ums Ganze. Einer der schönsten, anrührendsten und nicht
zuletzt einer der originellsten Filme des Jahres.
13 Oct 2016
## AUTOREN
Thomas Groh
## TAGS
Spielfilm
Die Linke Berlin
Animationsfilm
Mode
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