# taz.de -- Nicolas Winding Refns neuer Kinofilm: Bin ich schön? | |
> Glitz und Glam und ein trauriges Märchen: Selten hat sich ein Kinofilm | |
> den Fetischen der Modewelt so hingegeben wie „Neon Demon“. | |
Bild: Total abgeklärt: Ellen Fanning als Model in „Neon Demon“ | |
Es war einmal ein junges Mädchen, Jesse (Elle Fanning), das war so schön, | |
dass es in die große weite Welt hinauswollte, in die große Stadt, zu all | |
den anderen schönen Mädchen, die sich dort für ihre Schönheit und Anmut | |
preisen ließen, auf dass atemberaubende Bilder von ihr entstehen würden, | |
die um die Welt gehen konnten, damit die Welt Notiz nehmen konnte von der | |
überirdischen Schönheit, mit der Jesse gesegnet war. | |
Doch wie sie da ankam, in der großen Stadt, mit großen staunenden Augen, da | |
schwante ihr, dass sie noch viel lernen musste über die große Stadt und die | |
schönen Mädchen, die sich dort preisen lassen. Gesäumt waren die Straßen | |
der großen Stadt von bösen Oger, die ihr nichts Gutes wollten, von Kobolden | |
des Lichts, die sie mit goldenem Staub bestäubten, wenn sie ihr denn nur | |
einmal nahe sein durften und einen Abglanz ihrer Schönheit für sich | |
erhaschen konnten, von anderen schönen Mädchen, die sie nicht preisen | |
wollten für ihre Schönheit, sondern geradezu in Stücke reißen. | |
Aber das Mädchen merkte auch, welche Macht ihre Schönheit ihr verlieh. Also | |
wurde das Mädchen hochmütig – und sah sich schon als Göttin, nichtsahnend, | |
dass es auch Religionen gibt, die ihre Götter vom Thron zu stürzen pflegen. | |
## Der Glitz und Glam der Modewelt | |
Der dänische Filmemacher Nicolas Winding Refn ist der Bad Boy und Dandy des | |
Autorenkinos im Cannes-Dunstkreis. Seine Karriere ist eine der | |
erstaunlichsten der vergangenen Jahre: Als Regisseur kleiner, dreckiger, | |
dänischer Thriller stand er lange im Verdacht, ein machistischer | |
Tarantino-Epigone fürs Videothekenregal zu sein. Mit „Bronson“ (2009), | |
einer manischen, passagenweise an Stanley Kubrick erinnernden, | |
filmkunst-essayistischen Meditation über einen nach Charles Bronson | |
benannten britischen Dauerknastinsassen gelang ihm die künstlerische | |
Emanzipation. | |
Es folgten „Valhalla Rising“, ein metaphysischer Wikingerfilm zwischen | |
Tarkowski und „Conan – der Barbar“, und schließlich sein Megahit „Driv… | |
eine elegisch-melancholische L.A.-Noir-Ballade über einen | |
ritterlich-schweigsamen Fluchtautofahrer, mit der sich Refn als Superstar | |
des Festivalcircuit etablierte und eine kühle, kristalline, an die 80er | |
gemahnende Retroästhetik als Dominante in sein Werk einführte. [1][Nach | |
„Only God Forgives“], seiner bis zur Zeitlupe entschleunigten, die | |
Dynamiken des Kampfes Mann gegen Mann fetischisierenden Variante des | |
asiatischen Kampfkunstfilms, ist diese auch in „Neon Demon“ wieder stark | |
präsent. | |
Los Angeles bei Nacht, urbane nächtliche Melancholie, der Glitz und Glam | |
einer nur Oberflächen produzierenden Modewelt – und mittendrin ein | |
trauriges Märchen von einem Mädchen, das für die Herzenskälte dieses | |
Milieus und die brutale Totalökonomisierung von Körper und sozialen | |
Kontakten, die dort walten, nicht geschaffen ist. Gewissermaßen „Der | |
Zauberer von Oz“, nur auf Ungut umgestülpt. Der melodramatische Gestus, der | |
schließlich böse Bündnisse mit den Drastiken von Horror- und | |
Exploitationkino eingeht, ist am schönen Leiden einer schönen Frau schon | |
auch merklich interessiert. | |
Selten hat es in den letzten Jahren einen Film gegeben, der sich seinen | |
Fetischen und Obsessionen so hingegeben hat wie dieser: Noch da, wo sein | |
Film wahnwitzig mäandert, entgleitet Refn nichts – seine Bilder sind | |
fixiert, hermetisch verkapselt, überhöht, kontrolliert. | |
## Hier Modefotografie, dort Kampfsport | |
Wenn „Neon Demon“ als Kritik am Modebetrieb konzipiert sein soll (es gibt | |
Gründe zur Annahme, dass er das, gelinde gesagt, nur am Rande verfolgt), | |
als eine Darstellung der umfassenden Aushöhlung von Subjektivität dieses | |
Betriebs, dann ist der Film von einem allumfassenden Defätismus | |
gekennzeichnet: Zu dieser tödlich fixierenden Welt gibt es kein Äußeres | |
mehr, von dem aus sich noch darüber sprechen ließe. | |
Bildeten „Bronson“, „Valhalla“ und „Drive“ so etwas wie eine Trilog… | |
Helden jenseits von Gut und Böse, zeichnet sich nach „Only God Forgives“ | |
mit „Neon Demon“ nun vielleicht eine Art zweite, mit der ersten lose in | |
Verbindung stehende Werkstrilogie ab: In beiden Filmen – hier | |
Modefotografie, dort Kampfsport – geht es um die Disziplinierung und | |
Zurichtung des – hier weiblichen, dort männlichen – Körpers unter den | |
inhumanen Bedingungen einer willentlich eingegangenen Selbstunterwerfung. | |
Und es geht darum, wie der Körper an diesen Systemen aufs Fürchterlichste | |
zerschellt. | |
Ein bisschen Zerschellen wäre unterdessen auch für Refns zuweilen lähmende | |
Filmästhetik nicht verkehrt. Seine jüngsten Filme kennzeichnet eine Lust an | |
der statuarischen Langsamkeit, die mitunter nervig kunstwollende Resultate | |
zeitigt. Auch in „Neon Demon“ gibt es lange nur trocken Brot zu kauen. | |
Wenn am Ende dann ein sehr prächtiges Delirium vonstatten geht, ist es | |
eigentlich schon zu spät. Ein kleiner, dreckiger, rabaukiger, von der Sorge | |
um die eigene Künstlerposition unbeleckter Thriller – das würde man sich | |
vom Maverick Refn mal wieder wünschen. | |
23 Jun 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Ryan-Gosling-in-%E2%80%9EOnly-God-Forgives%E2%80%9C/!5063046/ | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
## TAGS | |
Mode | |
Schönheitsideale | |
Kino | |
Mode | |
Mode | |
Neuer Deutscher Film | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
Bangkok | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kultur- und medienhistorische Studien: Die Gewalt des Begehrens | |
Die Zeitschrift Fotogeschichte untersucht mögliche „Grenzüberschreitungen“ | |
von Mode und Fotografie. Und auch unmögliche. | |
Das Plissee ist zurück: Das Chaos und die Ordnung | |
Neue Serie: taz.couture. Verlogenheit, Langeweile, Freiheit – die Modewelt | |
kennt ja viele Widersprüche. Das Plissee ist einer ihrer interessantesten. | |
„Swiss Army Man“ im Kino: Zum Pupsen in die Büsche | |
Nach Strich und Faden sonderbar: Im Film „Swiss Army Man“ erzählt das | |
Regieduo Daniels von zwei Jungs auf einer einsamen Insel. | |
Rückschau Filmfest München: Thriller mit Western-Qualitäten | |
Auf dem Filmfest München zeigte sich erneut, dass der deutsche Film immer | |
wieder hervorragende und aufregende Werke hervorbringt. | |
Kolumne Cannes Cannes: Wir haben die Sixties ausgelöscht | |
Fast zum Schluss gibt es die nicht ganz so guten Beiträge. Der dänische | |
Regisseur Nicolas Winding Refn musste sich sogar kräftige Buhrufe anhören. | |
Ryan Gosling in „Only God Forgives“: Ödipus in Bangkok | |
Es braucht den wohlwollenden Betrachter, damit Nicolas Winding Refns „Only | |
God Forgives“ nicht zu Boden geht. Am Ende bleibt ein fragiles Stück Kino | |
übrig. | |
"Drive"-Regisseur Nicolas Winding Refn: "Ich bin ein Fetisch-Filmemacher" | |
"Drive" ist ein Film über einen geheimnisvollen Mann, der Auto fährt und | |
dabei Popmusik hört. Regisseur Nicolas Winding Refn über L.A., Champagner | |
und grimmsche Märchen. |