Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Das Plissee ist zurück: Das Chaos und die Ordnung
> Neue Serie: taz.couture. Verlogenheit, Langeweile, Freiheit – die
> Modewelt kennt ja viele Widersprüche. Das Plissee ist einer ihrer
> interessantesten.
Bild: Das Laszive zwischen Versteck und Triumph: Valentinos Herbst-/Winterkolle…
Auf dem Tennisplatz in Wimbledon könnte man anfangen oder im Casino auf der
französischen Seite des Ärmelkanals. Einen gepflegt bürgerlichen
Sonntagsspaziergang im Park von Versailles könnte man machen oder eine der
Lunchpartys der Fotografenlegende Cecil Beaton im Jahr 1968 besuchen und
bei dieser Gelegenheit hören, wie die US-amerikanische Schauspielerin Irene
Worth darüber plaudert, dass sie zu Solo-Performances persönlich nie etwas
anderes trage als die plissierten Kleider des Spaniers Mariano Fortuny.
Eine Reise wäre nett, um über das Plissee zu sprechen, um seinem Zauber und
seiner Langeweile, seiner Verlogenheit und seiner Freiheit auf die Spur zu
kommen. Man muss sich nur bald entscheiden, die Zeit drängt. Schon länger
sieht man das Plissee auf den Laufstegen der großen Fashion Weeks, auch auf
der Straße oder im Café, und in wenigen Wochen wird es überall zu
beobachten sein.
Wer sich also einen Plisseerock kauft, der dürfte auf gar keinen Fall etwas
falsch machen. So eindeutig muss man es wohl sagen. Ein Kleid könnte es
ebenfalls sein, am besten geschlitzt und mit asymmetrisch verlaufendem Saum
über Beine und Knie. Bei Christopher Kane findet man für den Frühling
ziemlich aufregende Kombinationen aus plissiertem Lamé und Tüll. Bei Stella
McCartney und Dion Lee trifft man das Plissee, bei Chloé und Adam Selman.
Das Problem ist nicht, wo man es herbekommen, sondern eher, wie man diese
plissierte Wirklichkeit überhaupt verstehen soll.
Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Sache wäre klar. Woran lässt
ein in Falten gezwungener Stoff denken, wenn nicht an Macht und Prestige.
An Königsgewänder und Tudor-Kragen. An bürgerliche Wohnzimmer an einem
Sonntagnachmittag. In der französischen Zeitung Libération war vor einigen
Jahren eine Reportage zu lesen, wonach der Plisseerock (kniebedeckend und
von blauer Farbe) neben einer Perlenkette und einem breiten Haarreifen zu
den unverzichtbaren Ausstattungsstücken der konservativen, katholischen
Versailler Bourgeoisie gehört.
Die Ehefrau geht neben dem Ehemann und den fünf Kindern von der
sonntäglichen Messe nach Haus. Ihr Plissee ist ohne jeden Tadel. Es sagt,
„ich bin kultiviert“, „ich mache keine Fehler, und wenn es Streit gibt in
der Familie oder so, wird davon niemand etwas wissen“.
## Trost der schönen Fassade
In diesem Sinne hätte die nicht abreißende Schwärmerei für das Plissee
etwas Neobürgerliches. In Zeiten der Krise würde sie an den Glanz der
glatten Oberflächen appellieren, an den Trost der schönen Fassade. Doch die
Mode wäre nicht die Mode, wenn es so einfach wäre. Das Plissee selbst trägt
die Widersprüche in sich.
Gierig verschluckt es Unmengen an Stoff, ohne davon dick zu werden, und
wenn es nicht gerade als dekoratives Element an Hals oder Handgelenk
funktioniert, kann es sich gehen lassen. Regelrecht exzessiv kann es werden
und danach sofort wieder zurückkehren zur Form.
Wie ein Heuchler, der nach fremdgegangener Nacht in strahlender Laune am
Frühstückstisch der Familie sitzt, kann es die repräsentative Ruhe wahren.
Das Chaos und die Ordnung. Die Anpassung und die Überschreitung. An der
Kante des Plissees stoßen beide aneinander.
Das ist trickreich und elegant, der Stoff wird mit dem Plissee
gewissermaßen vieldeutig. Das Prinzip Plissee – das übrigens bereits den
Altbabyloniern und im ägyptischen Altertum bekannt war – findet sich
überall in der Geschichte: Im 18. Jahrhundert an höfischen Roben à la
française, an Schuluniformen und den unglaublich schicken,
bürgererschreckenden Kostümen Yves Saint Laurents in den 1970ern.
Ein It-Girl wie Alexa Chung trägt ihren Plisseerock heute mit Stiefeletten
und einem jadefarbenen Angorapulli. Die Falten kombinieren sich mit dem
Flauschigen, dem Sanften. Ist das nun exzessiv oder brav? Oder heißt es,
dass sich das Styling des Plissees immer besser, sprich: lässiger dem
allgegenwärtigen Wettbewerb anpasst?
## Geld und Verlust
Ein berühmtes Foto Richard Avedons führt aus dieser Ambivalenz hinaus. Es
führt zum Spieltisch, also dorthin, wo der Zufall regiert, und zeigt das
sagenhafte Model Sunny Harnett in einem schulterfreien Plisseekleid der
Madame Grès. Alles, was das bürgerliche Plissee sorgsam versteckt,
triumphiert in diesem Bild: der Sex. Das Geld. Der Verlust.
Es ist, als blicke die Verführung selbst auf das Geschehen, in Gestalt
dieser platinblonden und mit einem, ja man muss wohl sagen: göttlichen
Körper lebenden Frau. Das Kleid verbündet sich mit ihrer Fremdheit, ihrer
Kraft. Der Kunsthistoriker und ehemalige Direktor des Victoria & Albert
Museum in London, Roy Strong, hat einmal eine wunderbar treffende
Formulierung für diese Ausstrahlung gefunden.
Als Gast der eingangs erwähnten Party hatte er von den Plissee-Kleidern
Mariano Fortunys erfahren und sehr viel später über deren zugleich nahes
und entspanntes Verhältnis gegenüber dem Körper geschrieben. Der Körper
erscheine in diesem Plissee implizit als ein perfekter Körper, sagte
Strong. Zu ergänzen wäre: als ein Körper, der sicher ist vor jedem
Vergleich.
Von hier aus ließe sich sicher lange nachdenken. Über das Heroische in der
Mode, über deren Sinn für die Bühne und das Drama. Zu einem kleinen Knoten
gebündelt, passte das Kleid jedenfalls in den Reisekoffer der großen Diven
des beginnenden 20. Jahrhunderts und zwischen die Romanseiten der Belle
Epoche.
Die Duse und Sarah Bernhardt, Luisa Casati, die spanische Mezzosopranistin
Mercedes de Córdoba, die künstlerische Mehrfachbegabung und erotische
Großtäterin Natacha Rambova, sie alle führten die „Robe Delphos“ wie den
Beweis der eigenen Abenteuerlust bei sich.
## Wohin will ich reisen?
Die Silhouette verschlankt sich in diesem Plissee. Sie erscheint
ebenmäßiger. Der Körper gewinnt an Größe. Man muss sich vor ihm in Acht
nehmen wie vor dem Schicksal. Ganz plötzlich kann er sich ausdehnen, kann
springen, um sich schlagen, tanzen – was an den letzten Schauplatz dieser
kleinen Reise führt.
Auf den Tennisplatz nach Wimbledon, ins Jahr 1921. Die Siegerin Suzanne
Lenglen trägt den ersten Plisseerock des Sports, dazu eine ärmellose Bluse
und ein Stirnband in leuchtendem Orange. Es muss ein erhaben skandalöser
Augenblick gewesen sein. Im plissierten und von Modeschöpfer Jean Patou
persönlich erfundenen Outfit hechtet Lenglen nach dem Ball. „Action
pleats“.
In diesem Begriff, der eigentlich das Plissee einer kurzärmeligen Golfbluse
aus den USA der 30er meint, schwingt die Freude über das Risiko mit. Es
klingt wie ein Zuruf, eine Aufmunterung. Die Frau im Plissee trifft den
Ball. Sie hat Hunger nach Lebendigkeit und nimmt sich, so lässt es sich in
der 1959 erschienen „Story of Tennis“ des Lord Aberdare nachlesen, „die
Freiheit der Bewegung, die sie für ein männliches Spiel braucht“. Von hier
aus führt kein Weg zurück.
Oder doch? Da wäre ja noch das Plissee der Schicklichkeit, das Plissee der
Ehefrauen von Versailles, das versucht, unter allen Umständen eine gute
Schülerin zu sein. Der Sprung soll unterbleiben oder höchstens heimlich
unterlaufen. Dieser Widerspruch bleibt. Ein Sprung ist ein Sprung ist ein
Sprung …, weshalb es wie jedes Mal in der Mode eine Entscheidung ist.
Auch dieser Trend, nein, besonders dieser Trend zum Plissee gibt sie auf:
Was will ich selbst damit sagen? Wohin will ich reisen?
7 Mar 2017
## AUTOREN
Elisabeth Wagner
## TAGS
Mode
Fashion
taz.couture
Museen
taz.couture
Influencer
Yves Saint Laurent
Fashion
Mode
Fashion Week
Fashion Week
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kulturmanager Martin Roth gestorben: Gier nach Welt und Gegenwärtigkeit
Martin Roth erfand jedes Museum, dem er vorstand, neu. Er verteidigte die
Kunst unarrogant gegen Bürokraten und Banausen. Jetzt ist er gestorben.
Nachdenken über Mode: Was ist Eleganz?
Elegant ist man nie, wenn man es sein soll. Nie auf Kommando. Eleganz ist
flüchtig und ungehorsam. Gedanken zu einem großen Begriff.
Influencer auf Youtube und Instagram: Die Ich-Ich-Ich-AG
Sogenannte Influencer kriegen Geld, indem sie Produkte in den sozialen
Medien präsentieren. Ihr Erfolg steht für einen Wandel der Werbebranche.
Kolumne Air de Paris: Féminisme grotesque
Über die Modemarke Yves Saint Laurent und die von der Firma in Szene
gesetzten dünnen, jungen Models gab es jede Menge Empörung. Zu Recht?
The renaissance of socks: Hand-knitted by the Queen
Gucci socks at 190 euro, Alexander McQueen socks for 245 euro – the sock
inflation brought us socks for the 1%. Or actually, they're accessoires.
Nicolas Winding Refns neuer Kinofilm: Bin ich schön?
Glitz und Glam und ein trauriges Märchen: Selten hat sich ein Kinofilm den
Fetischen der Modewelt so hingegeben wie „Neon Demon“.
Fashion Week in Berlin: Patchwork Deutsche Mode
Die Deutsche Mode muss nicht international werden. Sie ist es schon, denn
ihre Protagonisten kommen aus aller Herren Länder.
Fashion Week in Berlin: Strumpfband und Ziegelstein
Avantgarde, Idiotie und Baumarktcharme: Bei der „18. Mercedes-Benz Fashion
Week“ zeigten Designer Entwürfe ihrer neuen Kollektionen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.