# taz.de -- Fashion Week in Berlin: Strumpfband und Ziegelstein | |
> Avantgarde, Idiotie und Baumarktcharme: Bei der „18. Mercedes-Benz | |
> Fashion Week“ zeigten Designer Entwürfe ihrer neuen Kollektionen. | |
Bild: Esther Perbandt und Models bei der Fashion Week. | |
Berlin taz | Eine einzige Fashion Week genügt, um den Unterschied zwischen | |
Stilist und Fashion-Victim zu verstehen. Das Fashion-Victim, und da ist es | |
wirklich egal, ob Mann oder Frau, zuppelt ständig an sich rum und wirkt | |
fremd im eigenen Körper. | |
Kein Fenster, keine Handykamera, keine Passantin, die nicht zur | |
Bespiegelung herhalten muss. Und triebe es sich nicht auf Schauen herum, | |
auf denen Fußballerfrauen in der Front Row sitzen, man könnte es auch | |
lustig finden. Und wirkte seine ständige Überprüfung dessen, wie es im Raum | |
steht und wer mit ihm im Raum ist, nicht gar so existenziell, es erschiene | |
nicht so erbärmlich. | |
Und dennoch sind sie irgendwie süß, die Victims, weil ihre Anstrengungen | |
immer etwas mit der Idee, ein anderer zu sein als der, der man gerade ist, | |
zu tun haben. Zudem ist die Vorstellung, dass irgendwer einfach nur Opfer | |
von irgendwas ist, ohnehin total daneben. Aber so eine Fashion Week stimmt | |
nicht gerade milde. | |
Bedeutend ist sie nicht, die Berliner Mercedes-Benz Fashion Week, aber es | |
gibt immer wieder Newcomer zu entdecken, was wiederum zu Berlin passt. Weil | |
viele talentierte Designerinnen oft wieder in der Versenkung verschwanden, | |
haben zwölf Branchenexpertinnen und -experten um Vogue-Chefredakteurin | |
Christiane Arp vor einem Jahr den Fashion Council Germany gegründet, um | |
Lobbypolitik für junge Talente zu betreiben. Nobieh Talaei, eine der ersten | |
zwei Mentees des Councils, war mit ihren Entwürfen, in denen sie | |
Minimalistisches mit Folkloreelementen kombiniert, der Shootingstar dieser | |
Fashion Week. | |
Keine Newcomerin mehr, sehr talentiert und charmant ist die Berlinerin | |
Esther Perbandt, die seit 2004 stringent Avantgardemode macht und deren | |
androgyne, monochrome und manchmal uniformhafte Entwürfe an den Japaner | |
Yoji Yamamoto und die großen belgischen Avantgardedesigner um Ann | |
Demeulemeester und Martin Margiela erinnern. Damit ist Perbandt fast schon | |
wieder traditionelle Avantgarde. | |
## Dekonstruktion des Runway? | |
Perbandt zeigte ihre Entwürfe im Radialsystem, vier Tänzer der | |
Sasha-Waltz-Kompanie tanzten zu wummernden Bässen, die gegen sphärische | |
Klänge ankämpften. Ihre Models liefen rechts und links der Publikumstribüne | |
die Treppen hinauf, um auf dem eigentlichen mittigen Runway dem Publikum | |
den Rücken zuzukehren. War das schon die Dekonstruktion des Runways selbst? | |
Oder sollten die spektakulären Rückenansichten der Entwürfe zur Geltung | |
gebracht werden, wenn von Stoffteilen umflatterte Hosenröcke von hinten | |
einsehbar waren und Harnesses, Bänder sich am Rücken kreuzten? | |
Perbandt ist der coole Underground zur Fashion-Idiotie. Bei ihren Schauen | |
sitzen Berghain-Türsteher Sven Marquardt und Veruschka Gräfin von Lehndorff | |
in der ersten Reihe. Die Models, einige sind um die 50, 60 Jahre alt, sehen | |
nicht einfach gut aus - diese Vorstellung kommt einem plötzlich total | |
langweilig vor –, nein, sie strahlen. Der Schauspieler Alexander Scheer | |
läuft regelmäßig für Perbandt und flachste rum. | |
Schauspieler Sabin Tambrea gab in einem Karomantel mit unvernähten Nähten | |
den perfekten Dandy. Die Kniestrümpfe mit Strumpfhaltern, die Perbandt an | |
Frauen wie Männern zeigte, sind sensationell. Weich fließende Stoffe | |
kombinierte sie mit schweren Materialien in Schwarz, Weiß und Offwhite. | |
Perbandt selbst sah mit ihrer Kappe und den flachen Lackschuhen wieder aus | |
wie die Mischung aus einem Zinnsoldaten und einem General Officer aus „Star | |
Wars“. | |
## Im Baumarkt | |
Johanna Perret und Tutia Schaad, die seit 2009 zusammen Perret Schaad sind | |
und bei Givenchy in Paris gelernt haben, hatten den wohl originellsten | |
Runway dieser Modewoche. Sie luden in den Baumarkt Hellweg an der | |
Yorckstraße ein. Karl Lagerfeld fiel einem ein, der für Chanel im | |
Herbst/Winter 2014/15 seine Models in einem Supermarkt einkaufend | |
inszenierte, die Modewelt fand das damals ganz aufregend. | |
Aber Perret Schaad inszenierten ihre Models nicht im Raum, sondern | |
improvisierten zwischen Ziegelsteinen, Infodesk und Bierbänken einen | |
Laufsteg. Die Models kamen unterm Rolltor hervor und zeigten klare | |
Silhouetten in aufregenden Farb- und Materialkombinationen: tannengrünes | |
Wollgeorgette mit pastelligem Crepe de Chine, raschelndes Gold oder | |
flauschiges Angora mit metallischen Highlights. | |
Ein Baumarktmitarbeiter, bei Hellweg heißen sie Ideengeber, bestätigte, | |
dass vor allem Frauen gern im Baumarkt einkaufen und fand‘sgut, an diesem | |
Tag mal ganz andere Leute zu sehen. „Nach so vielen Jahren hier kennste | |
halt jeden Schwanz.“ Und dass die Besucher an diesem Tag mal im weißen | |
Fake-Fur-Mantel in den Markt kamen, war dann eben doch allein der Fashion | |
Week zu verdanken. | |
22 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
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