# taz.de -- Kolumne Leuchten der Menschheit: Die Paradoxa der Mode | |
> Mode und Irrtum gehören zusammen. Aber hat das was mit Schönheit zu tun? | |
> Und kann ein Buch eine Antwort geben? | |
Bild: Schlechter Gast: Lady Gaga stiehlt bei der London Fashion Week den Design… | |
Hässlich sei ihre bunte Hose, sagte der kleine Junge zu der Frau. Nein, die | |
sei modisch, protestierte die Frau. Der Junge wollte das nicht gelten | |
lassen. Sie solle doch einmal in einem Modebuch nachschauen, dann würde sie | |
schon erkennen, dass er recht habe und die Hose gar nicht schön sei, | |
erwiderte er. Dann schwiegen beide. | |
Sie hatten aneinander vorbeigeredet, ohne es zu bemerken, denn so wenig wie | |
eine Hose schön ist, bloß weil sie modisch ist, so wenig kann man in einem | |
Buch einfach nachschlagen, was schön ist. | |
Und dennoch hatten beide ganz unfreiwillig ein grundlegendes Paradoxon der | |
Mode berührt. Wir folgen der Mode, weil wir wissen, dass sie vorübergeht, | |
behauptet die italienische Soziologin Elena Esposito – was an Mode | |
überzeugt, ist gerade das Vorübergehende: „Die moderne Gesellschaft | |
entwickelte innerhalb nur weniger Jahrzehnte eine Obsession für alles Neue, | |
das zur notwendigen Voraussetzung wurde, um etwas wertzuschätzen.“ | |
Esposito bezeichnet dieses Paradox als „Stabilität des Vorübergehenden“. | |
Und war es nicht genau der Wert des Neuen, das unserer Frau als Argument | |
genügte? | |
Doch welche Idee von Schönheit mag der Junge haben? Warum glaubt er, | |
Schönheit könnte in einem Buch definiert werden? 4,5 Kilogramm Papier sind | |
nötig, um ein repräsentatives Kompendium der Gegenwartsmode wie das des New | |
Yorker Fashion Institute of Technology herauszubringen („Fashion Designers | |
A–Z“, Taschen Verlag, 2016). | |
Aber gibt es überhaupt eine konstitutive Verbindung zwischen Schönheit und | |
Mode? Esposito zufolge zielt die Mode längst nicht mehr darauf ab, schön zu | |
sein, sondern darauf, aufzufallen, was zu einem zweiten Paradox führt, | |
nämlich der „Konformität der Abweichung“: „Wir imitieren die Weigerung … | |
imitieren, und damit sind wir gleichzeitig konformistisch und abweichend.“ | |
Auch darüber haben der Junge und die Frau implizit gesprochen. | |
21 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
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