# taz.de -- Modedesignerin legt Autobiografie vor: The Great Westwood | |
> Sie hat den Punk miterfunden, die Mode revolutioniert. Jetzt will | |
> Vivienne Westwood auch noch die Welt vor dem Klimawandel retten. | |
Bild: Make-up auflegen vor der Präsentation der Kollektion in Paris. | |
Das war in London auch nicht anders als in einem Dorf. Wenn Vivienne | |
Westwood die Straße betrat in einem Latexnegligé und mit ihrem „coup | |
sauvage“, jener blondierten Zottelfrisur, die David Bowie sich als Ziggy | |
Stardust bei ihr abgucken sollte, und die Autofahrer wegen ihr anhielten. | |
Diese Exzentrik besaß sie nicht immer. Sie musste sich erst befreien aus | |
der Ehe mit einem Mann, den sie 21-jährig geheiratet hatte, weil man Anfang | |
der Sechziger nun mal heiratete, wenn es dauernd Ärger gab, weil man zu | |
spät nach Hause kam. | |
Wäre nicht kurz vorher der Rock ’n’ Roll aus den USA nach Europa | |
herübergeschwappt, wäre diese Befreiung vielleicht erst später oder gar | |
nicht geschehen, wer weiß das schon, jedenfalls hatte Vivienne Swire aus | |
einer Arbeiterfamilie in einem Londoner Vorort das Glück, zur bestmöglichen | |
aller Zeiten ein Teenager zu sein, nämlich zu der Zeit, als der Teenager | |
überhaupt erst erfunden wurde, ja, eine Identität bekam, indem Mode und | |
Musik zu etwas verschmolzen, was Befreiung verhieß. | |
Freilich war der Teenager auch die Bezeichnung für eine neu entdeckte | |
Konsumentengruppe, aber – der Ambivalenz sei Dank – es wohnte dem Ganzen | |
auch ein Freiheitsversprechen inne, das Biografien verändern konnte. | |
## Zum Glück gab es Rock'n'Roll | |
„Ich war keine Rebellin, aber es war eine großartige Zeit, um ein Teenager | |
zu sein, weil sich der Look hauptsächlich um ’rebellische Jugend gegen | |
Alter‘ drehte“, sagt Westwood und weiß, im Rock ’n’ Roll lagen die Wur… | |
für all das, was sie weltberühmt machen sollte, als sie 1965, drei Jahre | |
nach ihrer Hochzeit mit Derek Westwood, in der Wohnung ihres Bruders dem | |
durchgeknallten und genialischen Aufschneider Malcolm McLaren begegnete, | |
einem Kunststudenten, der den Situationismus aus Paris nach London | |
importieren wollte und mit dem sie in den 70ern etwas viel Populäreres | |
erfinden sollte: Punk. | |
Diese Erfindung war eine Koproduktion, wenn man überhaupt von Erfindung | |
sprechen möchte und nicht vielleicht besser von ihr und McLaren als | |
Katalysatoren einer Bewegung. Die Geschichtsschreibung konzentriert sich | |
häufig auf McLaren, „der so bedürftig war, wenn es um Anerkennung ging“, | |
wie Westwood schreibt. „Ich habe mich im Laufe der Jahre verrenkt, um ihm | |
Anerkennung zu verschaffen, oft mehr, als er verdiente, was mir jedoch das | |
Leben erleichterte.“ | |
Die Rollen zurechtzurücken ist ein Anliegen, das Westwood mit ihrer | |
Autobiografie verfolgt: „Ich habe nie viel darüber geredet, ja, ich konnte | |
bis heute gar nicht die Wahrheit darüber sagen. Aber nun, wo er tot ist, | |
kann ich es einmal loswerden: Er benahm sich unfassbar grausam.“ | |
Dem Londoner Autor und Schauspieler Ian Kelly hat sie ihr Leben erzählt. | |
Das daraus entstandene Buch wechselt zwischen langen Zitaten Westwoods und | |
Kellys Bericht hin und her, dazwischen kommen andere zu Wort: Westwoods | |
Sohn aus erster Ehe, Ben, der gemeinsame Sohn mit McLaren, Joe, der das | |
erfolgreiche Dessouslabel Agent Provocateur führt, Weggefährten von damals, | |
Kolleginnen und Freunde, die zum Teil seit Jahrzehnten die Designerin | |
begleiten. | |
## Der erste Schrei – danach war alles anders | |
Die Punkphase nimmt den größten Teil des Buches ein. Richard Hell in New | |
York, John Lydon, der 1975 in einem Pink-Floyd-Shirt mit der Aufschrift „I | |
hate“ in den Laden in der Kings Road hereinspaziert, der erste Schrei der | |
Sex Pistols und das schnelle Ende von Punk 1979 und alles, was Westwoods | |
und McLarens Traum im von Tristesse und Nihilismus gezeichneten | |
„postindustriellen Trümmerfeld“ England auf dem Höhepunkt der Krise des | |
fordistischen Kapitalismus ausmacht, wird nachvollziehbar erzählt. | |
Die ganze Entstehung des „Look der Enteigneten“, wie ihn McLaren und | |
Westwood nannten, die romantischen und heldenhaften Gesten von Leuten, die | |
keinem Versprechen mehr trauten und nur noch gegen das System rebellieren | |
wollten, als das System noch starr genug war, um sich dafür zu | |
interessieren, dass jemand gegen es rebellierte. All diese Geschichten | |
machen das Buch zu einem Stück Punkgeschichtsschreibung. | |
„Kleidung für Helden“ wollte Westwood machen, und das Interessante an ihrer | |
Autobiografie ist, dass es ständig um Heldenhaftes geht, egal ob sie von | |
ihrer Kindheit, von Punk, ihren Kreationen oder ihrer neuen Passion | |
Klimaschutz spricht. | |
Das hat manchmal etwas sehr Selbstzufriedenes bis Peinliches, etwa dann, | |
wenn sie Politik noch immer mit der simplen Schablone „Trau niemals der | |
Regierung“ betreibt oder eine wahre von einer falschen Kultur zu | |
unterscheiden versucht und man als Leser fürchtet, dass diese wunderbare | |
Kämpferin, die die Mode revolutionierte, als sie gerade zu einer | |
Männerdomäne geworden war, die Frauen mit ihren Kleidern Haltung geben | |
wollte, die sich immer wieder aus bitterster Armut freigekämpft hat und so | |
wunderbar kompromisslos war, dass diese Frau zu einem Bono der Modewelt | |
werden könnte. | |
## Alles Helden | |
Im Punk sind alle Helden, das macht seinen tiefen Romantizismus aus. Noch | |
2004 stritt McLaren anlässlich der Retrospektive, die Westwood im Victoria | |
& Albert Museum bekam, um Urheberrechte und bezeichnete Westwood als seine | |
Näherin. Und Johnny Lydon alias Johnny Rotten macht sich noch heute | |
Gedanken darüber, weshalb Westwood, die aus Punk Couture gemacht hat, den | |
doch so antikapitalistischen Punk ausverkauft habe. | |
Dabei war es die Designerin Zandra Rhodes, die bereits 1977 zum ersten Mal | |
Punk auf den Laufsteg brachte und „die Bewegung sowie Vivienne für ihre | |
zerrissenen Kleider, Ketten und Sicherheitsnadeln“ lobte. | |
Lydon, McLaren und irgendwie ja auch Westwood geht es um Details, etwa um | |
die Frage, wer die Sicherheitsnadel entdeckte, wer als Erster eine | |
zerrissene Jeans trug, wer welches Bandmitglied entdeckt hat oder an | |
welchem Songtext der Sex Pistols mitgearbeitet hat. Alles Helden, die | |
naturgemäß umso heftiger um Authentizität streiten müssen, je mehr Punk nur | |
noch als postmodernes Zitat interessiert. | |
Irgendwann, „als ich mich auf den Barrikaden umdrehte, war keiner mehr da“, | |
sagt Westwood, „die Leute tanzten nur noch Pogo“, und viel später habe sie | |
begriffen, dass es nicht darum gehe, gegen das „Establishment“ zu kämpfen, | |
sondern ihm voraus zu sein, bessere Ideen zu haben. Und dennoch spricht sie | |
noch immer von einem „Kreuzzug“, wenn sie über ihre Arbeit spricht. Ein | |
Kreuzzug, der mit Punk begann und in dem es wie damals darum geht, dass die | |
Leute sich besser fühlen. Damit Veränderung geschehen kann. | |
14 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
## TAGS | |
Autobiografie | |
Sex Pistols | |
Mode | |
Mode | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf auf Punkikone Vivienne Westwood: Abschied von der Queen of Punk | |
Sie verstand viel von Provokation und bewunderte das Schneiderhandwerk. Die | |
Designerin und Modeikone Vivienne Westwood ist gestorben. | |
Kolumne Leuchten der Menschheit: Die Paradoxa der Mode | |
Mode und Irrtum gehören zusammen. Aber hat das was mit Schönheit zu tun? | |
Und kann ein Buch eine Antwort geben? | |
Tod von Malcolm McLaren: Vielen Dank für den Punk! | |
Als Manager der Sex Pistols verband Malcolm McLaren Kunst und Mode, Pop und | |
Gesellschaftskritik. Am Donnerstag ist er 64-jährig einer Krebserkrankung | |
erlegen. |