# taz.de -- Nachruf auf Punkikone Vivienne Westwood: Abschied von der Queen of … | |
> Sie verstand viel von Provokation und bewunderte das Schneiderhandwerk. | |
> Die Designerin und Modeikone Vivienne Westwood ist gestorben. | |
Bild: Gutes Gespür für Provokation und Business: Vivienne Westwood auf der Fa… | |
Wer streckt der englischen Königin den nackten Hintern entgegen? Natürlich | |
Vivienne Westwood, die vor der Entgegennahme ihres Order of the British | |
Empire der Weltpresse in einem weitschwingenden Rock demonstrierte, dass | |
nicht nur Schotten auf Unterwäsche gut verzichten können. Es ist die | |
Quintessenz Westwoods: Das Spiel mit Medien und Establishment, der Bruch | |
mit Konventionen, stets im Rahmen dessen, was sich vermarkten lässt und zur | |
Relevanz der eigenen Marke beiträgt. | |
Westwood war Agent provocateur par excellence; einmal fuhr sie mit einem | |
Panzer auf das Wohnhaus des ehemaligen britischen Premierministers David | |
Cameron zu – nun ist sie verstorben, im Alter von 81 Jahren. Dabei steckte | |
so viel Vitalität und Streitlust in der Modeikone, dass man hätte glauben | |
können, sie reiche für hundert und mehr Erdenjahre. Immerhin brachte es die | |
1941 geborene Westwood zu Lebzeiten von der Tochter einer Weberin und eines | |
Schuhmachers zu der wohl bedeutendsten Designerin der Gegenwart. | |
Sie benutze Mode nur als eine Ausrede, um über das zu sprechen, was sie | |
bewegt, politisch und kulturell. So sagte es Westwood in einem Interview. | |
[1][Das beherrschende Thema ihres letzten Lebensjahrzehnts waren | |
Umweltschutz und Klimawandel und die Rolle, die Mode und Konsumenten dabei | |
spielen]. Designermode ist per definitionem das Gegenteil von Fast Fashion | |
– teuer und ein Luxusprodukt, ist sie das Thema der Wenigen, nicht der | |
Massen. | |
Insofern konnte sie es sich leisten, Konsumenten dazu aufzurufen, weniger | |
und nachhaltiger zu konsumieren, zu reparieren und umzufunktionieren, statt | |
wegzuschmeißen. Trotzdem blieb die Frage der Kommerzialisierung der Marke | |
Westwood ein Thema, das nicht selten zu Auseinandersetzungen führte. Auch | |
mit ihrem Ehemann Andreas Kronthaler, der als Designer an ihrer Seite | |
arbeitete. | |
## Quintessenz der Provokation | |
Westwoods Oeuvre ist ein Nicken in Richtung der großen Vorbilder, zugleich | |
aber auch eine freche Parodie. Imitation is the sincerest form of flattery, | |
sagen die Engländer, doch bei Westwood tritt das Element der Karikatur | |
hinzu: Etwa wenn die Brüste ihrer Models aus Brustheben und Korsetts | |
herausfallen und damit an eine kokette Mode des 17. Jahrhunderts erinnern. | |
Oder wenn sie Po-Polster auf ihre Kleider setzt, statt sie unter der | |
Konstruktion des Rockes zu verstecken. | |
In ihrem legendären SEX Shop – die Lettern prangten, aus rosafarbenem | |
Schaumgummi gefertigt, an der Front des Ladengeschäftes – verkauften | |
Westwood und ihr kongenialer [2][Partner Malcolm McLaren] zwischen 1974 und | |
1976 neben den selbstgeschneiderten Outfits Westwoods auch Fetisch-Marken. | |
Don't be told what you want/ Don't be told what you need. Was Westwood und | |
McLaren brauchten, war die Quintessenz der Provokation, das Aufschrecken | |
des Spießbürgers; zugleich steckt dahinter ein echtes Gespür für Business. | |
Über die Feier der [3][ikonischen Punk-Looks, die Westwood in den 70er | |
Jahren kreierte], sollte nicht vergessen werden, dass ihr Designerleben | |
beherrscht war von der Faszination für Schneiderhandwerk, insbesondere der | |
Konstruktionsweise klassischer Korsetts, Kostüme und historischer Kleider. | |
Und sie verehrte Christian Dior, dessen Kleider bis heute Inbegriff des | |
Schneider- und Designhandwerks sind. | |
Ob man es glaubt oder nicht: Auch in den Punk-Looks trat ihre Faszination | |
für die Konstruktion von Kleidung zum Vorschein, buchstäblich sogar. Die | |
Shirts und Hosen zeigen ihre Nähte, tragen ihr Innerstes nach außen; | |
Sicherheitsnadeln werden zum Dekor. | |
## Brüste und Pobacken entblößt | |
Die Bilder aus jener Zeit sind roh, Westwoods Models brechen mit den | |
Konventionen des Schönseins – jedenfalls wenn man darunter Gefälligkeit | |
versteht. Brüste und Pobacken werden entblößt, Strapse und Brustwarzen in | |
Szene gesetzt. Es sind die 70er Jahre in England, das Land geht den Bach | |
herunter, die Wirtschaft liegt am Boden, zugleich frönt das englische Volk | |
einer Faszination für die Royals, deren Stellung unangetastet bleibt. | |
Bereits seit Anfang der 70er war der Shop Westwoods und McLarens unter | |
wechselnden Namen zum Tummelplatz der jungen Punkszene geworden. [4][Dann | |
treten 1975 die Sex Pistols auf die Bühne] – oder besser: Sie werden von | |
McLaren auf die Bühne gestellt. | |
God save the Queen / the fascist regime. Das ist noch heute harter Tobak. | |
Obendrein aus dem Munde eines Rotzlöffels wie Johnny Rotten. Im Video zum | |
Song trägt Rotten ein an den Armen überlanges Shirt, es sieht aus, als wäre | |
es aus Mesh gefertigt, ist halb durchsichtig, und die Ärmel sind an den | |
Handgelenken leicht gepufft. Wenig maskulin ist das, und ein harter | |
Kontrast zu seinen eng sitzenden Lederhosen. Es ist ein Unisex-Look, | |
Westwood trägt damals dieselben Outfits; Punk versprach die Sprengung der | |
Geschlechtergrenzen. | |
Welch seltsame Ironie, dass die Queen of Punk und die echte Queen im selben | |
Jahr, im Abstand nur weniger Monate, verschieden sind. We love our queen. | |
God saves. | |
30 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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