# taz.de -- Unterwäsche-Ausstellung in London: Was drüber und drunter geht | |
> Das Victoria and Albert Museum wagt sich in London mit „Undressed“ an ein | |
> delikates Modethema und verschenkt es dann ein wenig. | |
Bild: Glamour: museumsreife Unterwäsche in London | |
Stellt man am Flughafen erschrocken fest, dass man die Kreditkarte zu Hause | |
vergessen hat, kommt es einem heutzutage so vor, als sei man nicht ganz | |
angezogen, gewissermaßen im Unterrock aufgebrochen. Das passte dann, so | |
schien es mir als Person ohne Kreditkarte, sehr gut zum Anlass der Reise. | |
Es ging nach London, ins Victoria and Albert Museum, um wie jedes Jahr eine | |
der Modeausstellungen des Museums zu würdigen. Jetzt hieß sie | |
passenderweise „Undressed. A Brief History of Underwear“. | |
Obwohl der Ausstellungsparcours reichlich Vitrinen mit Unmengen an | |
Exponaten aufweist, ist die Geschichte der Unterwäsche, wie sie das V & A | |
präsentiert, wirklich eine kurze. Denn es werden in knappen vier Kapiteln | |
nur die nötigsten Fakten erzählt. Etwa, dass wir aus hygienischen Gründen | |
schon seit Langem Unterwäsche tragen, um frisch gewaschene Textilien auf | |
der Haut zu haben, die unsere Kleidung vor unserem Schweiß schützt und | |
umgekehrt unsere Haut vor womöglich gefährlichen Farbstoffen in den | |
Kleidern. | |
Ein hochgeknöpftes weißes Leinenhemd aus Großbritannien und eine | |
französische Kniehose aus weißem Leinen stehen dann für die Unterwäsche des | |
Herrn in der Zeit kurz vor und nach der Französischen Revolution. Das | |
Herrenhemd zählte übrigens bis ins 20. Jahrhundert noch zur Unterwäsche und | |
sollte nicht gesehen werden, mit Ausnahme der Hemdbrust und der | |
Manschetten. | |
Wirklich erstaunlich ist diese andere Sichtweise nicht, denn ein wichtiges | |
Kapitel in der Geschichte der Mode heißt: Was einmal drunter war, ist heute | |
drüber und umgekehrt. Ein überraschendes Ausstellungsstück des V & A ist | |
ein daunengefütterter Unterrock für den Winter aus dem Jahre 1860, den wir | |
heute sozusagen als Daunenjacke oder -mantel tragen. Die Besitzerin des | |
herrlichen Stücks hat ihr Ausgehkleid sicher öfter mal so hoch gehoben, | |
dass das wunderschöne Paisleymuster des Darunter hervorblitzte. Denn schon | |
vor dem 20. Jahrhundert ließ man die Unterwäsche gern sichtbar werden, um | |
die besondere Qualität der Stoffe, etwa ihre federleichte Transparenz im | |
Fall des Baumwollmusselins, zu zeigen – und damit seinen Reichtum. | |
Andy Warhols Unterhosen-Fetisch | |
Deswegen verrutschen seit den 1990er Jahren auch die Baggy Pants der Männer | |
so, dass die überbreiten Gummibänder mit den eingewebten Markennamen wie | |
Calvin Klein, Armani oder Versace zu sehen sind. Das V & A zeigt dazu die | |
„Brixton Boyz“, Jennie Baptistes Aufnahme aus dem Jahr 2001 von zwei Jungs | |
in typischer Rappermanier, von der man nicht sagen kann, ob es sich um eine | |
Modefotografie oder ein Plattencover-Foto handelt. | |
Einige Vitrinen davor wurde im Kapitel „Shapelifters“ anhand einer | |
Displayfigur aus den 1950er Jahren für das Schaufenster die Frage des | |
Y-Eingriffs an der Männerunterhose diskutiert. Dieser Schaukasten, in dem | |
noch eine Aufnahme von zwei ziemlich strangen Unterhosenmodels für den | |
Versandkatalog Dean Rogers Ltd., London, hervorsticht, hätte Andy Warhol | |
gefallen. | |
Immerhin befand er in „The Philosophy of Andy Warhol (From A to B and Back | |
Again)“: „Am liebsten kaufe ich Unterhosen. Unterhosen kaufen ist meiner | |
Meinung nach das Allerpersönlichste, was man überhaupt machen kann. … Ich | |
würde lieber zusehen, wie einer seine Unterhosen kauft, als dass ich ein | |
Buch lesen wollte, das er geschrieben hat.“ Und: „Ich kann verstehen, wenn | |
einer keine tragen will – aber keine kaufen?“. | |
Andy Warhol wird in „undressed“ leider so wenig angeführt wie Hugh Heffner | |
oder Julian Schnabel, obwohl sich in der Ausstellung selbstverständlich der | |
eine oder andere herrliche Pyjama und seidene Morgenmantel finden, Teile, | |
in denen der Playboy-Herausgeber und der Malerstar ihrer Arbeit nachgehen | |
und ihre Geschäfte machen, kurz: die ihre Alltagsuniform sind. | |
## Vivienne Westwoods Feigenblatt-Leggings | |
Es hätte den Charme der Ausstellung beträchtlich erhöht, hätte die | |
Inszenierung ihre modetechnische und modehistorische Systematik | |
überschritten und stärker kulturhistorisch argumentiert. Einfach, um die | |
Geschichte der Unterwäsche nicht ganz so kurz angebunden, dafür etwas | |
bunter und anekdotenreicher, mithin anschaulicher zu erzählen. Dass das V & | |
A in seiner Sammlungsgeschichte verfolgt, wie David Beckham und H & M 2012 | |
über Bodywear (wie Unterwäsche heute heißt, weil sie sich ja von Sport- und | |
-Funktionswäsche oft nicht mehr wirklich unterscheidet) ins Geschäft kamen, | |
ist interessant und richtig. | |
Trotzdem vermisst man gerade im V & A Diane Vreeland und ihre apokryphe | |
Behauptung, sie habe in ihrem Wäschegeschäft nahe dem Berkeley Square 1933 | |
Wallis Simpson drei luxuriöse Nachtgewänder verkauft, just vor deren erstem | |
Wochenende mit dem Prince of Wales. Existiert die Wäsche noch irgendwo, die | |
Vreeland, die Grande Dame des Mode- und Magazinjournalismus im 20. | |
Jahrhundert, einstmals verkauft hat? | |
Da Wäsche wie die Kuratorin der Ausstellung, Edwina Ehrman, sagt, gern aus | |
sentimentalen Gründen aufbewahrt wird oder wegen ihrer einstmals hohen | |
Anschaffungskosten, müsste da doch noch etwas zu finden sein. Die Stücke | |
von Gaultier, Dolce & Gabbana oder Agence Provocateur jedenfalls, die sich | |
am Ende der Ausstellung finden, nachdem man die alten Mieder und Korsetts, | |
die Unterrockgestelle für die weit ausragende Kleider und Röcke ebenso | |
hinter sich gelassen hat wie die mid century design BHs, die Strapshalter | |
und die moderne Shapewear – diese Stücke werden bestimmt aufbewahrt. | |
Die transparente Feigenblatt-Leggings für Mann und Frau von Vivienne | |
Westwood ist wirklich ein Schaustück. Herrlich auch ein Petticoat mit | |
Abendkleid von Lanvin aus den 50er Jahren, sein lässiger schwarzweißer | |
Tupfenlook findet ein großartiges Echo im schwarzrot getupften Body von | |
Fifi Chachnil, die in Paris sündteure Spezialanfertigungen herstellt. Hier | |
möchte man zuschlagen! Können! – wobei einem natürlich die Kreditkarte | |
einfällt. Und wie angenehm es war, sich im Jumeirah Carlton Tower nicht | |
nackt zu fühlen, weil es überhaupt kein Problem war, sie nicht vorweisen zu | |
können. (Ganz anders, als ich einmal meine Chipperfield-Grabkammer, genannt | |
Westminister Suite, im Café Royal beziehen wollte.) | |
23 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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