# taz.de -- Sampler „Junk“ aus Paris: Befreit von allen Dogmen | |
> Der britisch-kanadische Künstler Brion Gysin war ein Multiplikator von | |
> Literatur, Musik und Subkultur. Nun wird das Album „Junk“ | |
> wiederveröffentlicht. | |
Bild: Ramuntcho Matta und Brion Gysin 1984 im Casino de Paris | |
Wenn von der stilprägenden US-amerikanischen Beat Generation die Rede ist, | |
fällt der Name Brion Gysin (1916–1986) oft nicht als Erstes. Dabei war der | |
britisch-kanadische Allroundkünstler einer der Vordenker der literarischen | |
Bewegung. Als Freund und Mentor von Schriftstellern wie William S. | |
Burroughs und Paul Bowles erneuerte er gemeinsam mit Ersterem die | |
Cut-up-Technik der modernen Avantgarden: Worte werden dabei ausgeschnitten, | |
neu angeordnet und bekommen so andere Konnotationen. | |
Wie Bowles und Burroughs lebte auch Brion Gysin in den 1950er Jahren im | |
marokkanischen Tanger. Dort lernte er unter anderem Musiker des | |
Sufi-/Folkensembles The Master Musicians of Jajouka kennen, das später nach | |
einer Zusammenarbeit mit Rolling Stone Brian Jones weltberühmt werden | |
sollte. | |
Brion Gysin hat auch selbst Musik gemacht. Er liebte Jazz und Funk, | |
vertonte Anfang der Achtziger in Paris unter anderem einige seiner | |
„Permutation Poems“-Gedichte, die er zwischen 1958 und 1982 verfasst hatte. | |
Auf dem Album „Songs“ (1981), das er mit dem Jazzsaxofonisten Steve Lacy | |
einspielte, sind diese Gedichte in schrägen, frei flottierenden Versionen | |
zu hören. | |
Tanzbarer und spektakulärer aber sind die Aufnahmen, die in der ersten | |
Hälfte der Achtziger unter anderem mit dem französischen Produzenten | |
Ramuntcho Matta und dem legendären US-Free-Jazzer Don Cherry entstanden. | |
Gysin veröffentlichte sie 1985 auf dem Album „Junk“ – das nun | |
erfreulicherweise von dem Pariser Label We Want Sounds neu aufgelegt wurde. | |
## Polyrhythmische Drums | |
Zentral auf dem Album sind die Songs „Kick“ und „Junk“ (beide 1983). �… | |
beginnt mit einer Art Call-and-Response zwischen Gitarre und Trompete, auf | |
groovige Gitarren- und Bassläufe (von Ramuntcho Matta und Fil Mong) | |
antwortet Don Cherry mit einer Tonfolge auf der Taschentrompete. Dazu | |
ertönen polyrhythmische Drums von Abdoulaye Prosper Niang, dem Mitgründer | |
der senegalesischen Jazz-Fusion-Band Xalam, man hört Scat-Gesang, der an | |
Tierlaute erinnert. | |
Im Refrain spricht Brion Gysin wieder und wieder die Worte „Kick that Habit | |
Man“, nur in unterschiedlicher Reihenfolge, wie bei einem Cut-up-Gedicht. | |
„Junk“ funktioniert textlich ähnlich, die Zeile „Junk Is No Good Baby“… | |
variiert und umgestellt: „Baby Junk Good Is No“ usw. Dazu pendelt eine | |
Gitarre zwischen Funk-Licks und Offbeat-Reggae-Akkorden, die Rhythmik | |
verweist auf karibische Musik. | |
Das Weltläufige und Welt(zu)gewandte, das Gysin und vielleicht die Beat | |
Generation insgesamt auszeichnete, ist auch in anderen Tracks präsent. In | |
„Stop Smoking“ steuert die uruguayische Schauspielerin und Sängerin Elli | |
Medeiros (bekannt als Hälfte des französischen New-Wave-Duos Elli & Jacno) | |
einen Gesangspart bei; ihr Landsmann, der Perkussionist Jorge Trasante, | |
spielt dazu tripplige, repetitive Drums. Der Humor, der Spaß und der Vibe, | |
der bei den Sessions präsent gewesen sein muss, klingt in dem Stück an. | |
So singt Brion Gysin zunächst im Refrain vom guten Vorsatz, mit dem Rauchen | |
aufzuhören („Stop smoking“), bricht dann aber in ein Gelächter aus, das in | |
Raucherhusten übergeht – und weist dieses Vorhaben als schlechten Witz | |
zurück („You’re joking!“). | |
## Kulturszenen treffen aufeinander | |
Es finden sich auch Stücke auf „Junk“, an denen Gysin nicht direkt | |
beteiligt war, die aber damals im gleichen Dunstkreis entstanden sind. Eine | |
gute Entscheidung des Labels, denn so wird deutlich, wie Kulturszenen wie | |
die (ältere) Beat Generation und die (jüngeren) Punks in Paris | |
aufeinandertrafen. | |
Hier zu hören ist das im Stück „V.V.V.“, d[1][as Lizzy Mercier Descloux, | |
eine zentrale Figur der Pariser Punk-Szene], gemeinsam mit der | |
Schauspielerin und Sängerin Caroline Loeb, singt. Es ist eines der am | |
deutlichsten von Disco geprägten Stücke, und es hat einen starken | |
feministischen Einschlag („V. V. V. / We’re the girls of victory“). | |
„Junk“ ist insofern ein klassisches Postpunk-Album, als es den | |
Zusammenprall von Punk mit vorherigen Popgenres, von Disco zu Krautrock, | |
Dub und Reggae abbildet. [2][Der Song „Sham Pain“ erinnert daher wohl nicht | |
zufällig an The Clash in den frühen Achtzigern, standen die Briten um Joe | |
Strummer] doch für eine ähnliche Integration globaler Klänge in den | |
Punk-Sound. Die Songs von Gysin und Co. wirken frei und befreit von allen | |
Dogmen, sei es von denen des Jazz oder denen des Punk. Eine überfällige | |
Wiederveröffentlichung. | |
3 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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