# taz.de -- Debütalbum von Pariserin Suzane: Kampfsport gegen Technologiesucht | |
> Die Musikerin Suzane hat eine bewegte Vita. All ihre Leidenschaften | |
> kommen auf dem elektronischen Chansonalbum „Toï Toï Toï“ zum Tragen. | |
Bild: Rhythmus hinter Glas: Océane Colom alias Suzane | |
Nicht umsonst trägt Océane Colom alias Suzane bei all ihren Auftritten | |
einen blau-weißen Overall, der an einen Kampfanzug im Peter-Pan-Stil | |
erinnert. Mit ihrem Vater, einem Boxer, schaute die 30-jährige Französin in | |
ihrer Jugend ausgesprochen gern Martial-Arts-Filme. Besonders hoch stand | |
Bruce Lee bei ihr im Kurs – wegen seines Durchhaltevermögen und natürlich | |
wegen seines Kampfgeistes. | |
Diese Eigenschaften hat die Künstlerin von ihrem Idol übernommen. Ihre | |
eigene Energie entlädt sich auf ihrem Debütalbum „Toï Toï Toï“ | |
vollumfänglich. Als Musikerin legt sie den Finger in die Wunde. Ihre Songs | |
sind nicht unbedingt extrem, aber sie bewegen sich zwischen den Extremen. | |
Genauer: zwischen sozial- und gesellschaftskritischen Texten auf der einen | |
und Dancebeats auf der anderen Seite. | |
Musikalisch haben allerdings nicht nur [1][Daft Punk] und [2][Stromae] | |
Impulse gegeben. Suzane lässt Elektronikklänge mit dem Sound ihrer Kindheit | |
kollidieren. Damals bewunderte sie Edith Piaf und Jacques Brel, eben das | |
klassische Chanson. Mit dem nachdenklichen Stück „Novembre“, das einen | |
Bogen zu den [3][Pariser Terroranschlägen von 2015] schlägt, abstrahiert | |
Suzane dieses Genre, sie entwickelt es mit Synthesizern zeitgemäß weiter. | |
„Pas beaux“ öffnet sich musikalisch mit durchweg tanzbaren Rhythmen mehr | |
der Ausgelassenheit, ohne sich in Oberflächlichkeit zu verlieren. | |
## Kleidergröße 40 meets Umweltschutz | |
Suzane prangert in diesem Stück die gängigen Schönheitsideale an. Ihrer | |
Ansicht nach ist es keineswegs in Ordnung, mit Kleidergröße 40 als | |
übergewichtig abgeschrieben zu werden. Alles an ihren Liedern sagt: Hier | |
ist eine Feministin am Werk, die sich aus tiefster Überzeugung für | |
Gender-Pluralismus und Umweltschutz einsetzt. Aus ihrer Homosexualität hat | |
Suzane nie einen Hehl gemacht. | |
Es war ihr wohl eine Herzensangelegenheit, in „P’tit Gars“ von einem Jung… | |
zu erzählen, der seinen entsetzen Eltern offenbart, dass er schwul ist. In | |
diesem melancholischen Song macht Sprechgesang das Gefühl der Verlorenheit | |
perfekt. „Es wird heiß, il est où le SAV“ wiederum leitet ein | |
zweisprachiges Plädoyer für den Klimaschutz ein, für das Suzane den | |
Wuppertaler Rapper Horst Wegner ins Boot geholt hat. | |
Selbstverständlich hatte sie diesen Titel im Gepäck, als sie im September | |
in Berlin vor dem Brandenburger Tor bei einer [4][„Fridays For | |
Future“-Demonstration auftrat]. Dabei stand sie keine Sekunde still. Ein | |
Blick auf ihre Biografie belegt, wie wichtig ihr Bewegung ist. Mit fünf | |
nahm sie Ballettunterricht, zwei Jahre später besuchte sie bereits die | |
Tanzstunden am Konservatorium ihrer Heimatstadt Avignon. Bis sie im | |
letzten Schuljahr alles hinwarf: ihre Ballettausbildung, ihr bac (Abitur). | |
Ohne Abschluss zog sie nach Paris, wo sie sich als Kellnerin durchschlug. | |
## Ein Sack voller Geschichten | |
Aus dieser Zeit trägt sie einen Sack voller Geschichten mit sich rum. | |
„L’Insatisfait“ zum Beispiel, ein junger Mann war ganz offensichtlich | |
chronisch frustriert, jedes Gericht schickte er in die Küche zurück. Sein | |
Verhalten warf bei Suzane die Frage auf: Wie viel Unzufriedenheit ist | |
normal? Schlussendlich kam sie zu dem Ergebnis, dass sich Unmut im 21. | |
Jahrhundert längst zu einer Volkskrankheit ausgeweitet hat. | |
Dicht gefolgt von Technologiesucht, der „Monsieur Pomme“ gewidmet ist. Bei | |
ihren Schichten im Restaurant begegnete Suzane dauernd irgendwelchen | |
Leuten, die sich bloß mit ihren Handys beschäftigten – selbst wenn sie mit | |
einer anderen Person am Tisch saßen. Diesem Trend zur Abschottung setzt sie | |
ihre Musik entgegen, mit der sie die Menschen wieder näher zusammenbringen | |
will. | |
11 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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