# taz.de -- Zum Gedenken an Punkikone Joe Strummer: Sicher, dank Bullshit-Detek… | |
> Vor 20 Jahren verstarb Joe Strummer. Mit seiner Band The Clash wurde der | |
> Brite weltberühmt. Erinnerung an einen widersprüchlichen Künstler. | |
Bild: Punkpionier und Reggaefan, aber auch früher HipHop-Adept: Joe Strummer i… | |
Wenn am Anfang einer Erinnerung an die britische Punkikone Joe Strummer | |
ein berühmtes Zitat seines hassgeliebten Bandkollegen Mick Jones aus dem | |
Film „Rude Boy“ steht, ist das kein Sakrileg, sondern eine verbale | |
Backpfeife, nach der hoffentlich alle noch mal die Fingernägel an den | |
Heckflossen ihrer Straßenkreuzer schärfen: „Ich bin Kommunist. | |
Aber ich stehe nicht für eine Staatsform, in der die Leute in Overalls und | |
Arbeitsschuhen rumlaufen, in meiner Version fahren Kommunisten | |
[1][Cadillac].“ Als er nach einer Wette gegen einen BBC-Moderator im Jahr | |
1980 einen Cadillac gewann, überließ Joe Strummer die Karre den Einwohnern | |
der kleinen englischen Stahlstadt Corby, die durch die Wirtschaftsreformen | |
des Thatcherismus verarmt waren. | |
Mit Jones und dem Bassisten Paul Simonon bildete Joe Strummer den Kern der | |
1976 [2][in London gegründeten Punkband] The Clash. Als Hauptsänger wurde | |
Strummer bald in die Rolle eines „Sprechers der Punkgeneration“ gedrängt. | |
Eine Verantwortung, vor der er sich in den Wunsch nach mehr Anonymität | |
flüchtete, obwohl er als ekstatischer Performer das Rampenlicht suchte, wie | |
sein Biograf Chris Salewicz festgestellt hat. | |
## Debatten um Parolen | |
Um die Ernsthaftigkeit der linken Parolen und Aussagen von The Clash | |
entspannten sich kontroverse Debatten. Und sie begleiteten Strummer auch | |
nach dem eher traurigen Ende der Band als Zweimann-Straßenmusikkapelle | |
Mitte der 1980er über seine erstaunliche Solokarriere bis zum 22. Dezember | |
2002, dem Tag seines unerwarteten Todes im Alter von 50 Jahren. | |
Kein Künstler wird so schmerzlich vermisst wie Strummer, der wüste | |
Schimpfer und unverbesserliche Romantiker. Als Songtexter gab er den | |
straßenbewährten Visionär. Für die Wohnungsnot in London fand er eine | |
simple Lösung: „We’re just a Garage band / We come from Garageland“, rei… | |
er in dem Song „Garageland vom Debütalbum, veröffentlicht im April 1977. In | |
dem Text kommt auch der berühmte [3][„Bullshit Detector“] zum Einsatz, mit | |
diesem Gerät navigierten Strummer und die Seinen durch die toxische | |
gesellschaftliche Atmosphäre Englands zu jener Zeit. | |
Damals zogen Strummer und Simonon aus einem besetzten Haus in den | |
Übungsraum, der in einer Kfz-Werkstatt untergebracht war. Sein Songtext | |
gibt eine lakonische Antwort auf einen Kritiker, der den vitalen Krach der | |
Clash mit den Worten verunglimpft hatte, die Band solle zurück in die | |
Garage, aus der sie gekrochen kam. Wenn es bis heute heißt, Joe Strummer | |
sei der ultimative „Frontmann“, dann stimmt es insofern, als er die Songs | |
auf der Bühne verkörperte, seine anspielungsreichen Texte verhehlen nie Wut | |
und Verzweiflung, dieses Rumoren brachte er überzeugend rüber. | |
## Als London brannte | |
In „London’s Burning“ brennt London vor Langeweile, zugleich zitiert der | |
Text einen Abzählreim über die Londoner Feuersbrunst im 17. Jahrhundert. | |
Strummers Hohn ist glaubwürdig, genau wie sein Mitgefühl; ein linker | |
Melancholiker fern jeder Parteidisziplin. | |
Bürgerlich heißt Joe Strummer John Mellor und kommt als Sohn eines | |
Diplomaten und einer Krankenschwester zur Welt. Schon in der Jugend, die er | |
teils als Internatsschüler in Surrey verbrachte, nennt er sich Woody, um | |
dem linken Folksänger Woody Guthrie zu entsprechen. Zu [4][Strummer dem | |
Schrammler] wurde John Mellor in den frühen 1970ern. Als Linkshänder | |
spielte er die Gitarre mit rechts. Die schwächere rechte Hand kriegt nur | |
rudimentäre Riffs hin. | |
Das vermeintliche Handicap wird zum Signatursound: Strummers Powerchords | |
schneiden bei The Clash die Leadgitarre von Mick Jones wie mit der | |
Rasierklinge. Strummer muss am rechten Arm Bandagen anbringen, weil er vom | |
Schrammeln regelmäßig Schnittverletzungen davonträgt. | |
## Oberster Widerspruch | |
Er bleibt der oberste Widerspruch in einer Band, die aus diesem wandelnden | |
Widerspruch extrem griffige Songs formt. Anders als die berüchtigten Sex | |
Pistols, die nach ihrer Eintagsfliege, dem Album „Never Mind the Bollocks“, | |
das Handtuch werfen, feiert The Clash in den USA kommerzielle Erfolge. Weil | |
sie als sozialkritische Band gilt, hagelt es Proteste: „Wir möchten so | |
viele Menschen wie möglich erreichen, deshalb haben wir beim Majorlabel CBS | |
einen Vertrag unterschrieben. Wir spielen mit, aber wir spielen nach | |
unseren Regeln“, sagt Strummer dem Melody Maker 1978. | |
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „CBS promote The Clash / But | |
it ain’t for revolution / It’s just for cash“, reimt die Anarchoband Crass | |
in ihrem Song „Punk is Dead“ im selben Jahr. Von 1977 bis 1983 | |
veröffentlicht The Clash fünf Alben. Bei ihrem Doppel- und Tripelalbum | |
setzt die Band jeweils durch, dass diese zum Preis von Einzelalben in die | |
Läden kommen. | |
Die Musik von The Clash lässt sich gegen den Vorwurf des Boring Old Fart | |
Sounds auch heute verteidigen: Das eng geschnürte Korsett des Punk | |
zerlöchern The Clash mit Reggae, den sie in exakt gewählte Coverversionen | |
integrieren und in Namechecks immer wieder aufrufen. Ähnlich wie Kingston | |
in den Songs von Bob Marley mythologisiert wird, ist auch der Londoner | |
Stadtteil Notting Hill beständiges Thema in der Vorstellungswelt Strummers: | |
„Westway to the World“, ein Stück Stadtautobahn, parallel zu einer | |
U-Bahnlinie, ist Ausgangspunkt mehrerer Songs, verewigt in dem Titel eines | |
Dokumentarfilms von Strummer-Kumpel Don Letts. | |
## Frühe Gedanken zum Klimawandel | |
Mit dem Doppelalbum „London Calling“ (1979) verlassen The Clash das Genre | |
endgültig. Unter dem Eindruck ihrer ersten US-Tour untersucht die Band die | |
Welt von Americana und deren unglaublich seltsame Musik. Gleich nach dem | |
Titelsong nimmt sie sich der primitiven Wurzeln von Rock ’n’ Roll an und | |
covert „Brand New Cadillac“, einen Song des Rockabilly-Sängers Vince | |
Taylor. Wenige Takte zuvor, im Titelsong „London Calling“, macht sich | |
Strummer Gedanken zum Klimawandel: „Engines Stop Running / And the wheat is | |
growing thin.“ | |
Die am Ende jeder Strophe gesungene Zeile „And I live by the river“ | |
erinnert an die braune Brühe, die als Themse durch London fließt. Offen | |
bleibt, ob der Fluss ein geeigneter Fluchtweg für den Vortragenden ist oder | |
zur Falle wird. | |
Er sei Sozialist, sagt Strummer, aber habe kein Verständnis für den real | |
existierenden Sozialismus des Ostblocks. „Karl Marx and Friedrich Engels / | |
Came to the Checkout at the 7-11 / Marx was skint, but he had sense / | |
Engels lend him the necessary pence“: Strummers Protorapsong „Magnificent | |
Seven“ (1980) ist nicht nur einer der allerbesten Songtexte, die je über | |
die Monotonie der Arbeitswelt geschrieben wurden, [5][„Magnificent Dance“], | |
sein Danceremix, produziert von dem New Yorker DJ Frankie Crocker, wird im | |
selben Jahr der Soundtrack für einen heißen New Yorker Sommer, wo er sich | |
zum vielgesampelten Dokument der frühen HipHop-Szene entwickelt. | |
Im Mai 1980 erlebt die in New York gefeierte Band ihr Waterloo: In der | |
Hamburger Markthalle kommt es nach dem Aufruf, das Konzert der | |
„Kommerzschweine“ zu stürmen und „Punk is dead“-Chören zur Saalschlac… | |
Strummers Gesangsmikrofon landet später im Übungsraum der Hamburger Band | |
Slime. Weil er aus dem Zuschauerraum bespuckt und körperlich attackiert | |
wird, zimmert Strummer einem 18-Jährigen seine Telecaster-Gitarre über den | |
Schädel. | |
Scheinbar unbeeindruckt spielt die Band das Konzert routiniert zu Ende. Joe | |
Strummer wird festgenommen und verbringt die Nacht auf einer Polizeiwache. | |
Obwohl er hierzulande viele Fans hat, Strummers Verhältnis zu Deutschland | |
blieb immer gespalten. | |
17 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=aFnmWkr5A8s | |
[2] /Wozu-es-Punk-gibt/!5322328 | |
[3] /Bundestagsabgeordneter-zu-gruener-Politik/!5487917 | |
[4] /Werkschau-zu-Joe-Strummer/!5553699 | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=7l3AQZJ_Trg | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
## TAGS | |
Joe Strummer | |
The Clash | |
Punk | |
GNS | |
Film | |
Reggae | |
Joe Strummer | |
Reggae | |
Punk | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bob Marley Biopic „One Love“: Rastas, Musik und Glaube | |
Das Biopic „One Love“ setzt dem Reggae-Musiker Bob Marley ein Denkmal. Es | |
idealisiert den Star, der inmitten einer von Gewalt geprägten Zeit lebte. | |
Soloalbum-Debüt von Don Letts: Selbstzufriedenheit in Dub | |
Don Letts ist als DJ und Filmemacher einer der Pioniere der Londoner | |
Punkszene. Mit 67 veröffentlicht er nun „Outta Sync“, sein Solodebüt. | |
Werkschau zu Joe Strummer: Immer westwärts, Klampfer-Joe! | |
Tolle Ausgrabungen, selten Gehörtes: Joe Strummer, der große | |
Internationalist des Pop. Das ist in der Kompilation „Joe Strummer 001“ neu | |
zu entdecken. | |
Don Letts über den Einfluss von Dub: „Reggae war jamaikanischer Punk“ | |
Reggae war in England mehr als nur ein musikalischer Einfluss. Für | |
jamaikanische Musiker bedeutete er auch Identitätsfindung, erzählt DJ Don | |
Letts. | |
Wozu es Punk gibt: Seit 40 Jahren dagegen | |
Im Sommer 1976 erschien die erste britische Punksingle. Wie die | |
Jugendrevolte losging, was sie änderte und warum sie nach wie vor bedeutsam | |
ist. |