Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Werkschau zu Joe Strummer: Immer westwärts, Klampfer-Joe!
> Tolle Ausgrabungen, selten Gehörtes: Joe Strummer, der große
> Internationalist des Pop. Das ist in der Kompilation „Joe Strummer 001“
> neu zu entdecken.
Bild: Joe Strummer (Mitte) mit Paul Simonon zur Linken und Mick Jones zur Recht…
Bevor John Graham Mellor sich von 1976 an langsam, aber sicher dem Punkrock
zuwandte, um unter dem Alias Joe Strummer („Klampfer“) mit The Clash
Musikgeschichte zu schreiben, trug er den Künstlernamen „Woody“. Nach Woody
Guthrie. Unter diesem Namen fing der britische Gitarrist und Sänger zwei
Jahre zuvor an, mit seiner Band, The 101ers, Rockabilly- und
Rhythm-and-Blues-Songs zu spielen.
Der Bezug zu dem Hobo und Proto-Protestsänger Woody Guthrie passte wie die
Faust aufs Auge – denn auch Strummer war zu Clash-Zeiten ein
Klassenkämpfer, setzte sich für Unterprivilegierte und Outlaws ein; nicht
zuletzt deshalb, weil er die Härten des Lebens – als Internatskind,
Hausbesetzer, Artschool-Drop-out, Großstadtstreuner – selbst von früh auf
kannte.
Aber auch musikalisch passte die Referenz zu Guthrie. Denn
US-amerikanischer Bluegrass, Rock ’n’ Roll und Country haben den 2002 im
Alter von 50 Jahren gestorbenen Musiker mehr geprägt, als man gemeinhin
annimmt. Sein Blick richtete sich westwärts, in diesem Fall kann man fast
sagen in doppeltem Sinne: Der berühmte Londoner Westway mit seinen
Galerien, Clubs und Kneipen war bedeutend für ihn, genauso die Musik
jenseits des Atlantiks.
Über die erste Tour mit The Clash durch die USA (1979) sagte er einmal:
„Wenn man seit seiner Kindheit amerikanische Musik liebt, dann ist es
fantastisch, dort hinzugehen, mit einem Bus quer durchs Land zu fahren und
Orte zu sehen, von denen man bisher nur in Songs gehört hat.“
## Ausschussware? Nix da
Die kürzlich erschienene Werkschau „Joe Strummer 001“ bildet erstmals die
gesamte stilistische Palette ab, die er als Songwriter draufhatte.
Überwiegend widmet sie sich seiner späten Karriere, seinen Aufnahmen nach
dem Ende von The Clash im Jahr 1986. Rare Stücke und zwölf bislang
unveröffentlichte Werke aus dem Nachlass sind darunter – und diese
Archivstücke sind alles andere als Ausschussware. Kuratiert wurde das Album
von Strummers’ Witwe Lucinda Mellor und Robert Gordon McHarg III, einem
kanadischen Künstler und Clash-Weggefährten.
Einerseits kann man darauf eben den zutiefst Americana-affizierten Strummer
(wieder-)entdecken. Stücke wie „Tennessee Rain“ (1987) oder „2 Bullets“
(gemeinsam mit US-Sängerin Pearl Harbour und samt extensivem
Pedal-Steel-Gitarreneinsatz) klingen wie ein musikalischer Roadtrip durch
die Südstaaten.
[1][„Crying On 23rd“] (1985), das Strummer mit der Londoner Band The
Soothsayers aufnahm, erinnert dagegen an Bob Dylan zu seinen
Bluesrock-Hochzeiten – die letzteren beiden Stücke sind Outtakes der
Aufnahmen für den Soundtrack von „Sid & Nancy“.
Auch „Blues On The River“ (1984), ein frühes Demo, strotzt vor Americaness:
„White clear rum and blues on the river and run/ Loveless in the darkness,
flooding through the rain and run/ Signaling with my red cigarette/ Won’t
somebody please connect?“, singt Strummer mit seiner mal leicht heiseren,
mal belegt klingenden, dann wieder nasalen Stimme. Nur seine Gitarre und
eine Drum Machine braucht er für das Stück.
## „Viva la Quince Brigada“
Aber auch der Internationalist, der musikalische Weltenbummler Strummer,
den man bereits von The Clash kannte, hat seinen Auftritt. Dem spanischen
Bürgerkrieg hatte er sich mit seiner Band ja schon gewidmet („Spanish
Bombs“), hier ist seine Version des Widerstandslieds „Viva la Quince
Brigada“ („15th Brigade“, 1989) zu hören – ein Song zu Ehren der
Internationalen Brigaden, die gegen Franco kämpften.
So, wie er es interpretiert mit Banjo, Lyra, Perkussion, klingt deutlich
der arabische Einfluss auf den Song an. Es gibt viele Versionen dieses
Schlachtgesangs (etwa von Pete Seeger) – so frisch wie hier klang es
selten.
Die Weltreise der Sounds setzt sich fort in [2][„Afro-Cuban Be-Bop“], das
mit seinen swingenden Conga-Rhythmen daran erinnert, dass Strummer als
Musiker über den Rhythmus kam – ein Grund, warum schon The Clash Dub,
Reggae, Ska und Funk in ihren Sound integrierten. Und auch nach deren
Auflösung spielten diese Stile für den Strummer-Sound weiterhin eine Rolle:
mit den Mescaleros, die er 1999 ins Leben rief und mit denen er bis zu
seinem Tod spielte, schrieb er diesen Global-Pop-Entwurf fort. Aus dieser
Phase finden sich hier sechs Stücke – „Coma Girl“ zum Beispiel ist eines
seiner stärksten überhaupt, eine Bonnie-und-Clyde-mäßige Liebeserklärung an
Outsider-Gangs: „Coma Girl and the excitement gang/ Mona Lisa on the
motorcycle gang/ Coma Girl was beating with the Oil Drum gang“, heißt es
darin.
Das Motorrad als Synonym für Freiheit, Vagabundentum, Rastlosigkeit spielt
auch in „The Cool Impossible“ (1993) eine Rolle – das jazzige Stück ist
eine der großen Entdeckungen des Albums. Ein Song, der von Sehnsucht,
Aufbruch und Aufruhr handelt und bei dem einem zwischendurch die Augen
feucht werden: „Because you’re sick about hearing about it all/ surrender
your motorcycles /piss against the walls“, singt Strummer, der rüde,
romantische Rebell.
Und, apropos Augen feucht werden: Das gemeinsam mit Johnny Cash gesungene
Bob-Marley-Cover [3][„Redemption Song“] fehlt zum Glück ebenfalls nicht.
2002 eingespielt, klingt es heute wie ein Farewell zweier Pop-Giganten, die
beide kurze Zeit später starben. Wobei Strummers Tod am 22. Dezember 2002
nach einem Herzinfarkt im Gegensatz zu Johnny Cashs Ableben völlig
überraschend kam.
Für Fans ist „Strummer001“ ohnehin ein Must-have, aber auch jenen, die sein
Solowerk nicht so gut kennen oder es als bloßes Clash-Addendum abtun, sei
die 32-Song-Kompilation – die es, klar, auch in einer Deluxe-Variante mit
Buch gibt – nahegelegt. Seinen Weg von den 101ers über The Clash bis zu
verschiedensten Solo-Geschichten findet man nirgends so komprimiert wie
hier.
Die Sammlung bringt auch die Erkenntnis, dass Strummer – kein Wunder
angesichts seines frühen Todes – als Solomusiker ein Unvollendeter
geblieben ist. Der große Klampfer Joe Strummer, er hatte noch jede Menge
Musik in sich.
13 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=uzUOVBNGBUc
[2] https://www.youtube.com/watch?v=lQhGRJq_ECw
[3] https://www.youtube.com/watch?v=ulZP8RUqpF4
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Joe Strummer
The Clash
Punk
Rock'n'Roll
Americana
Joe Strummer
Schwerpunkt Berlinale
Bilderbuch
Punk
Punk
Detroit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zum Gedenken an Punkikone Joe Strummer: Sicher, dank Bullshit-Detektor
Vor 20 Jahren verstarb Joe Strummer. Mit seiner Band The Clash wurde der
Brite weltberühmt. Erinnerung an einen widersprüchlichen Künstler.
Dokumentarfilm auf der Berlinale: Fegt die Rechten von den Straßen!
Die Initiative Rock Against Racism bekämpfte in den 70ern den Rassismus in
Großbritannien. Rubikah Shahs „White Riot“ zeichnet ihre Geschichte nach.
Neues Album von Bilderbuch: Update mit Sandwishes
Größter Pop-Appeal seit Falco: Bilderbuch aus Wien hat überraschend ein
neues Album veröffentlicht. Es ist vielseitig, verspielt und groovt.
Punkrocker Jürgen Engler: „Du brauchst deine Feindbilder“
Stumpfe Punks und Drogenabstinenz: Male war eine der ersten deutschen
Punkbands. Jetzt spielt sie beim Düsseldorfer „Lieblingsplatte-Festival“.
Punklegende Pete Shelley ist tot: Die glockenhelle Stimme des Punk
Einfach, schnell, roh und schön. Pete Shelley, der Gitarrist, Songwriter
und Sänger der Punkband Buzzcocks, ist gestorben.
Neues von Wayne Kramer: Polizeigewalt und Gitarrenfeedback
Wayne Kramer, überlebender Veteran der Proto-Punk-Band MC5, hat seine
Memoiren geschrieben und kommt zum Konzert nach Berlin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.