# taz.de -- Neues von Wayne Kramer: Polizeigewalt und Gitarrenfeedback | |
> Wayne Kramer, überlebender Veteran der Proto-Punk-Band MC5, hat seine | |
> Memoiren geschrieben und kommt zum Konzert nach Berlin. | |
Bild: MC5 steht für Motor City 5 – Wayne Kramer ist der Zweite von rechts | |
Als die Punk-Lumpenbrigade 1976 loshumpelte, war im Mainstream der | |
Budenzauber von abendfüllenden Rockopern en vogue. Die Punks setzen in | |
Dreiminutensongs auf die Kombination aus blindwütiger Alltagsgewalt, | |
schlechten Zähnen und tödlicher Langeweile. Vorgemacht hatte ihnen das die | |
US-Band The MC5, die zwischen 1968 und 1971 drei wirkmächtige Alben | |
veröffentlichte, bevor sie in der Versenkung verschwand. | |
Rock ’n’ Roll nicht auf Hochglanz zu polieren, sondern auszuspucken wie | |
alte Kaugummis, war die Mission von MC5: „Dope, Guns and fucking in the | |
streets“, so das Motto der Band, war das musikalische Äquivalent zum | |
Gonzo-Journalismus jener Zeit. „Kick out the Jams“, das Debütalbum des | |
Quintetts, ist vor fast genau 50 Jahren bei einem Konzert in seiner | |
Heimatstadt Detroit aufgenommen worden. Nun kommt Wayne Kramer, einer der | |
beiden noch lebenden Bandmitglieder von MC5, auf Tour, um die Songs live zu | |
spielen. Und die drei MC5-Alben sind als Boxset mit Outtakes und | |
Linernotes versehen erneut erschienen. | |
Eigentlich wäre so eine Reenactement-Episode aus dem ewigen Brummkreisel | |
der Revivalkultur keine Randbemerkung wert. Andererseits, Punk sitzt nicht | |
gerade im Chefsessel der Popgeschichte, das lässt sich schon daran | |
ermessen, wie in Hochglanz-Wochenendausgaben Punk mit Vorliebe in die Tonne | |
getreten wird, um eine Ausgabe später das neue Album von Max Mutzke | |
anzupreisen. | |
## In den Griff bekommen ohne reaktionär zu werden | |
Vor solchen Moves schützt sich Wayne Kramer selbst: Vor Kurzem hat er seine | |
Memoiren veröffentlicht, „The Hard Stuff“ heißt das Buch. Er beschreibt | |
darin lakonisch, wie er sein Leben in den Griff bekommen hat. Mit | |
Erleichterung stellt man fest, dass Kramer nicht zum Reaktionär geworden | |
ist. Im Gegenteil, sachlich schildert er Dope, Guns and Fucking in the | |
Streets. | |
In den Siebzigern, stark heroinsüchtig, verlegt sich Kramer aufs Dealen und | |
wandert in den Knast. Er zerstört alles, was ihm seine Rockstarkarriere | |
ermöglicht hatte. Am Anfang von „The Hard Stuff“ stehen Knarren. Am 30. | |
April 1967 spielen MC5 live im Belle-Isle Park auf dem ersten „Love-in“ in | |
Detroit. Ein friedliches Get-Together von Rockern und Hippies, ein paar | |
sind angetörnt. Die Polizei löst das Festival mit entfesselter Gewalt auf. | |
Minderjährige werden verprügelt, MC5 werden mit gezückten Gewehren bei der | |
Heimfahrt angehalten. | |
Es reicht aus, dass sie mit Aktivisten der Black Panthers befreundet sind | |
und Marihuana legalisieren möchten. Polizeigewalt begleitet die Band auch | |
später, immer wieder werden Bandmitglieder verprügelt und festgenommen. Die | |
Kampagnen gegen MC5 sind von höchster Stelle bewilligt und Teil des | |
FBI-Programms Cointelpro. | |
## Zufluchtsort Rock'n'Roll | |
Fucking in the Streets: MC5 schallt der Ruf hinterher, sie seien Urheber | |
des phallischen Rocksongs und Verfechter eines besonders misogynen | |
männlichen Sexismus. Frauen kommen in „The Hard Stuff“ immer auf Augenhöhe | |
vor. Wayne Kramer leitet seine Zeit als Pimmelknecht aus einem Unglück in | |
der Familie ab: Als Kinder wurden Kramer und seine Schwester von ihrer | |
beider Stiefvater missbraucht. Zufluchtsort ist Rock ’n’ Roll. | |
„Johnny B Goode“, so wie der Typ in dem Song, über den Chuck Berry sang, | |
wollte Wayne Kramer werden. „Der Song ist außerweltlich, mächtig, magisch. | |
Deshalb habe ich Gitarre gespielt.“ Und Gitarre spielen, das hat er nicht | |
mal im Gefängnis aufgegeben. | |
„Brothers and sisters, the time has come for each and everyone of you to | |
decide wether you are gonna be the problem or wether you are gonna be the | |
solution.“ Mit diesem Appell beginnt das Debütalbum von MC5, dann setzt | |
Kramer das erste Riff mit seiner übersteuerten Gitarre. „The Hard Stuff“ | |
benennt Probleme und löst diese auf eindrucksvolle Weise auf. | |
28 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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