| # taz.de -- Iggy Pop über „Trainspotting“: „Cream Tea ist der neue Rock … | |
| > Der Autor Irvine Welsh, Iggy Pop und Underworld im Gespräch über Drogen, | |
| > Geldgier und die Verschmelzung von Punk und Techno. | |
| Bild: Ganz tief abgetaucht im Drogentrip: Ewan McGregor in „Trainspotting“ | |
| Sie kennen das Gefühl bestimmt auch: blinde Fanliebe. Iggy Pop vergöttere | |
| ich bereits seit den Siebzigern, und die Musik des britischen Duos | |
| Underworld liebe ich, seit Dance Music Ende der Achtziger explodierte. Bald | |
| danach habe ich einen Roman geschrieben, in dem alle permanent zugedröhnt | |
| sind. Genau genommen war Iggy Pop der Ghostwriter von „Trainspotting“, und | |
| Dancefloor-Beats von Underwold waren sein Schmiermittel. Der Roman wurde | |
| später auch verfilmt. Die beiden ikonischen Songs vom Soundtrack, „Born | |
| Slippy“ und „Lust for Life“, stammen just von Underworld und Iggy Pop. | |
| Nun haben die drei Künstler im stürmischen Miami zusammen an neuer Musik | |
| gearbeitet – und ich bin ziemlich stolz, dafür zumindest ein klitzekleines | |
| bisschen die Credits einzufahren. Seit ich nach Miami gezogen bin, habe ich | |
| mich mit Iggy angefreundet, der schon länger dort lebt. Für mich fühlt sich | |
| unsere Bekanntschaft ein bisschen an, als wäre ich ein Biograf der Royals, | |
| der so tut, als sei er mit der Queen per du. Obwohl Iggy mir niemals das | |
| Gefühl gibt, der verdruckste Fan zu sein, der ich nun mal bin. Aber die | |
| Alben „Raw Power“, „Kill City“, „Funhouse“ und „The Stooges“ se… | |
| Band waren Soundtrack zu meiner sinnvoll verschwendeten Jugend, und so ein | |
| klammes Teenagergefühl schüttelt man nicht mal so eben ab. | |
| Iggy war der Erlöser, der mir eine bockige Punk-Attitüde eingebleut hat, | |
| die mich bis heute begleitet: meistens ein wahrer Segen, manchmal aber auch | |
| ein Fluch. Karl Hyde von Underworld hat genau wie Iggy einst in einem | |
| Trailerpark gelebt, Iggy in Michigan, Karl in den West Midlands nahe | |
| Birmingham. Später, als Karl in London lebte, war seine Wohnung ein | |
| Auffangbecken für Druffis. In Miami haben Iggy Pop, Karl Hyde, Rick Smith | |
| ein ganzes Wochenende mit mir zusammengehockt, gelabert und Cream Tea | |
| geschlürft. Hier kommt eine gekürzte Fassung unserer tiefsinnigen | |
| Gespräche: | |
| Irvine Welsh: Jim, hast du früher im Flugzeug geraucht? | |
| Iggy Pop: Ja, das hab ich sehr genossen: Damals hatte ich eine Freundin in | |
| Cleveland, das war von Detroit mit dem Flugzeug in einer Dreiviertelstunde | |
| erreichbar, der Flug kostete 25 Dollar. Ich also nichts wie hin zu meiner | |
| Schnecke und wieder retour. | |
| Welsh: Und du konntest dir jederzeit während des Fluges eine anstecken? | |
| Pop: Ich war damals Kettenraucher, aber bei dem Vorfall, von dem unser Song | |
| „Bells & Circles“ erzählt, pfiff ich auf dem letzten Loch. Mit den Stooges | |
| bin ich nach Washington zu einem Konzert geflogen und habe währenddessen | |
| ein Gramm geschnupft. Hoffnungslos heruntergekommener 1974er-Style. | |
| Welsh: Koks? | |
| Pop: Ja, ich hab den Tisch runtergeklappt und das ganze Gramm | |
| reingerüsselt. Und da war diese wunderschöne, große Stewardess … dann hab | |
| ich angefangen zu trinken, um auszunüchtern, sozusagen. | |
| Welsh: Erstaunlich, was bei dir so geht nach einem Gramm … | |
| Pop: Als ich im Hotel ankam, stellte ich fest, dass ich ihre Telefonnummer | |
| verloren hatte. Aber dann ging was mit einem berüchtigten Groupie. Die | |
| hatte einen Freund dabei, der mir Angel Dust angedreht hat. Das hab ich vor | |
| dem Auftritt auch noch genommen. | |
| Welsh: War Koks damals kein Problem an Bord eines Flugzeugs? | |
| Pop: Also, für mich nicht! | |
| Iggy und ich tauschen Kokain-Storys aus, kommen dann überein, dass es eine | |
| fürchterliche Droge ist – man sie aber eingehend testen muss, um sich | |
| dessen ganz sicher zu sein. | |
| Welsh: Jetzt aber mal zu den Songs. Wie gestaltete sich eure Kollaboration? | |
| Rick Smith: Danny Boyle hat mich gebeten, ihm beim Soundtrack seines Films | |
| „T2 Trainspotting“ zu helfen. Wir waren erpicht darauf, mit der Musik | |
| anders an die Sache heranzugehen. Beim ersten Film war ja kein Komponist | |
| involviert. Wir überlegten, wie es wohl wäre, wenn in einer bestimmten | |
| Szene ein eigens von Iggy komponierter Song zu hören wäre? Also hat mein | |
| Manager Iggy kontaktiert. Gutes Timing, denn er war gerade in London, um | |
| Konzerte zu spielen … | |
| Pop: Ich war da mit Josh Homme auf „Post Pop Depression“-Tour. | |
| Smith: Du warst im Savoy-Hotel abgestiegen und hast gütigerweise einem | |
| Treffen zugestimmt. „Trainspotting“ ist uns beiden enorm wichtig gewesen, | |
| und ich dachte, jetzt hab ich die Chance, diesen Gentleman unter vier Augen | |
| davon zu überzeugen, zusammen ein Stück zu komponieren. Also schleppte ich | |
| mein halbes Studio an, mietete mir ein Zimmer im Hotel, baute die Geräte | |
| auf und wartete. | |
| Pop: Ich war ja auf Tour mit Typen, die 25 Jahre jünger sind als ich und | |
| diese Rock-Chose durchgezogen haben. Echt traumatisch. Und dann kriege ich | |
| eine verführerische Nachricht: „Danny Boyle möchte gern mit dir über eine | |
| Filmmusik sprechen.“ Ich dachte, okay, super, leider bin ich gerade auf | |
| Tour. Aber sie hatten diesen Song „Shotgun Mouthwash“ [Anm. d. Übers.: ein | |
| Track, der später auf den Soundtrack „T2 Trainspotting“ kam]. Den habe ich | |
| mir angehört und dachte, wofür brauchen sie mich jetzt? Auf keinen Fall | |
| könnt ihr Iggy Pop für das verfickte „Shotgun Mouthwash“ engagieren, aber | |
| das hab ich nicht gesagt. Ich sagte: „Na mal sehen, was ich tun kann.“ | |
| Nicht nur die Verschmelzung von Punk und Techno fand im Savoy Hotel statt. | |
| Das noble Haus nahe der Themse war auch der Ort, wo Winston Churchill einst | |
| Kabinettssitzungen abhalten ließ. Und es ist auch ein Wahrzeichen des Rock | |
| ’n’ Roll: Das berühmte Video zu Bob Dylans Song „Subterranean Homesick | |
| Blues“ entstand in einer Seitenstraße direkt hinter dem Hotel, um | |
| Straßenfeeling zu erzeugen. | |
| Pop: Ich saß im Savoy und bereitete mich auf das Konzert in London vor. | |
| Dann traf ich Rick, dessen Höflichkeit ich immer sehr ansprechend fand. Er | |
| spielte mir einige fertige Tracks vor. Und mein Kopf fing an zu schwirren. | |
| Wenn du nämlich mit einem Typen zu tun bekommst, der in seinem Hotelzimmer | |
| ein verdammtes Studio aufgebaut hat und dir 30 extrem geschliffene Tracks | |
| vorspielt, willst du kein Wimp sein, der nur „uh uh“ rausbekommt. | |
| Welsh: Dein Verständnis von Freundschaft, wie du es in dem Track „I’ll See | |
| Big“ formulierst, hat sich über die Jahre nicht verändert, du lebst und | |
| schreibst in diesem Sinne. Wenn du an „I’m Bored“ vom Album „New Values… | |
| denkst und den Text „I’m free to bore well bought friends“ – hat dich d… | |
| Thema alte Freundschaften in dem Sinne beschäftigt, dass du dir deines | |
| Erfolgs bewusst bist und die Verwerfungen, die das möglicherweise bei alten | |
| Kumpels hervorrufen könnte, zum Problem werden? | |
| Pop: Ich bin hin und her gerissen. Manche sind unverändert, andere agieren | |
| extrem, sind dominant, übergriffig, manipulativ. Ich konnte darüber | |
| sprechen, weil ich das Thema immer vor Augen hatte. Das passt auch | |
| irgendwie zu den glücklosen Helden in „Trainspotting“. Ungefähr so, wie | |
| wenn der Krieg vorbei ist und die alten Kameraden der Army nichts mehr | |
| miteinander zu tun haben wollen. | |
| Welsh: „I’ll See Big“ kam nicht auf den Soundtrack. Warum nicht? | |
| Pop: Wir haben es erst probiert, dann kam Danny und meinte: „Du hast diese | |
| außergewöhnliche Stimme … ich werde keinen dieser Tracks nehmen.“ Punkt. | |
| Und ich dachte nur: Dich kauf ich mir, Freundchen. | |
| Welsh: Ja, Regisseure sind echt geübt darin, einem schlechte Nachrichten | |
| unterzujubeln. | |
| Pop: Ganz genau. Er so: „Können wir den Remix nehmen?“ Ich so: „Jaaa. Den | |
| finde ich großartig.“ Im Remix ist die Stimme lauter. Da ist mehr von mir | |
| zu hören! | |
| Wir unterhalten uns noch ein bisschen über „T2 Trainspotting“, kommen dann | |
| wieder auf den ersten Film zurück. | |
| Karl Hyde: Beim ersten „Trainspotting“-Film haben unsere Freunde gesagt: | |
| „Cool, das ist doch dieser krasse Film über Drogensucht.“ Und wir haben nur | |
| gesagt: „Unsere Musik im Film handelt nicht von Drogensucht.“ Dann haben | |
| wir ein paar Szenen des Films gesehen. Du weißt schon, auf die Toilette | |
| gehen und diese Sachen, und dann haben wir gesagt: „Okay, das lösen wir | |
| anders.“ | |
| Welsh: Als sie mich wegen der Rechte an „Trainspotting“ angerufen haben, | |
| lebte ich gerade in Amsterdam. Ich hatte keine Ahnung vom Filmbiz, außer, | |
| dass jeder die Rechte haben wollte. Aber ich mochte Danny Boyles Film | |
| „Shallow Grave“ und dachte, dass die Charaktere in „Trainspotting“ gut … | |
| dieser filmischen Energie funktionieren würden. Dann traf ich diesen | |
| Typen, der meinte: „Ich geb dir ’nen Batzen Geld für Trainspotting“ und | |
| „Du weißt, dass Danny Boyle der richtige Regisseur für die Verfilmung | |
| wäre.“ Ich so: „Ja“. Ich dachte natürlich, dass er Dannys Produzent sei. | |
| Aber er war irgendein Typ, der Geld hatte, weshalb ich ihm die Rechte auf | |
| der Stelle verkauft habe. Dann meldete sich Danny bei mir: „Du Arsch, ich | |
| dachte, du wolltest die Rechte mir verkaufen!“ Ich sagte: „Oh, | |
| Entschuldigung, ich dachte, du hättest ihn geschickt? Er hat mit einem | |
| dicken Scheckheft gewedelt!“ So hab ich es irgendwie vermasselt, aber wir | |
| haben dann doch Kontakt zu dem Typen aufgenommen, und er war gnädig und | |
| hat Danny Boyle und seinen Produzente die Rechte abgetreten. Die Sache wäre | |
| also wegen meiner Turbo-Geldgier beinahe geplatzt. | |
| Pop: Irv, du Knallkopf bist auf einen Betrüger reingefallen? | |
| Welsh: Ich sag’s mal so: Ich habe die Rechte einem Typen verkauft, der | |
| sagte, er hätte Geld. Und er hat mir auch was ausgegeben. | |
| Hyde: Einigen wir uns doch auf einen ehrlichen Banditen, einen, wie wir ihn | |
| mögen. Stellt euch mal vor, du hättest es mit einem richtig üblen Typen zu | |
| tun gehabt. Mannomann, dann müsste jetzt eine ganze Generation ohne den | |
| Film „Trainspotting“ leben … | |
| Wir amüsieren uns noch ein Weilchen und kommen dann wieder auf ihre Musik | |
| zu sprechen. | |
| Welsh: Wie kam es zu dem Song „Get Your Shirt“? | |
| Pop: Ist mir der rausgerutscht? | |
| Smith: Würde sagen, ja. Der Titel war, glaube ich, von Karl, wir titeln | |
| immer wieder Songs, die nichts bedeuten, und das Stück hieß „Get Your | |
| Shirt“, und du hast nur dein Shirt gesehen und meintest: „okay“. | |
| Pop: Vielleicht hab ich mein Shirt ja ausgezogen? Das mache ich öfter. | |
| Welsh: Ist mein Lieblingstrack. | |
| Hyde: Einig gute Songzeilen sind auf jeden Fall drin. | |
| Pop: Ja, das ist wirklich ein schönes Stück Musik, einfach erhebend und | |
| voll eingängig. Ich konnte mir auch vorstellen, dass nervige Tussis das | |
| mögen, aber das ist toll, denn wenn es dir gelingt, die Nervbratzen zu | |
| beflügeln, wirst du gottähnlich. Die Musik anzuhören ist auf jeden Fall ein | |
| großer Spaß. | |
| Smith: Ihr seid alle auch Sprachakrobaten. Ich gehe Songs eher von der | |
| musikalischen Seite an und habe diesen Flow gespürt. Iggy hat auch etwas | |
| gemacht, das war so, wie wenn ein Traum wahr wird. Er hat spontan auf die | |
| Musik reagiert, sich ganz dem Moment hingegeben, das war’s. Ich hab mir | |
| über den Text keine Gedanken gemacht. Es hat sich einfach nur gut | |
| angefühlt. | |
| Pop: Ich vermische immer Privates mit Dingen, die ich gehört oder gelesen | |
| habe. „Bells and Circles“ basiert einerseits auf persönlicher Erfahrung und | |
| andererseits auf einem Buch, das ich sehr gern gelesen habe, „The Golden | |
| Age of Skyjacking“ [Anm.: „The Skies Belong to Us: Love and Terror in the | |
| Golden Age of Skyjacking“ von Brendan I. Koerner]. Ich könnte jetzt nur | |
| noch über erstaunliche Dinge reden, die Leute mit Flugzeugentführungen | |
| bezwecken wollen. Ich sollte lieber die Klappe halten! | |
| Welsh: Zugegebenermaßen hab ich eure Verschmelzung von Punk und Techno | |
| überhaupt nicht kommen sehen, bin aber ganz entzückt, dass ich falsch lag. | |
| Hyde: Ahn das mal! Jetzt sitzen wir hier, verbunden durch deinen Roman – | |
| und durch wirklich guten Cream Tea! | |
| War mir ein Vergnügen, mit diesen Typen abzuhängen. Cream Tea ist der neue | |
| Rock ’n’ Roll! Ich fühle mich so, als wäre ich der Aufstrich, der ihr | |
| Sandwich aus Punk und Dance-Music zusammenhält. Ich weiß ja, dass das im | |
| digitalen Zeitalter ständig passiert, wo Technologie alle Grenzen einreißt | |
| und Kollaborationen, die früher absolut undenkbar waren, fast schon | |
| zwingend sind. Aber Lügen bringt nichts: Es klingt verdammt gut! | |
| Das Gespräch ist zuerst im britischen Magazin Q erschienen. Nachdruck mit | |
| freundlicher Genehmigung. | |
| Aus dem Englischen von Sylvia Prahl | |
| 30 Jul 2018 | |
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| Irvine Welsh | |
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