# taz.de -- Bundestagsabgeordneter zu grüner Politik: „Ich komme ja vom Dorf… | |
> Erhard Grundl ist der neue kulturpolitische Sprecher der Grünen – ein | |
> Quereinsteiger wie aus dem Bilderbuch. Ein Gespräch über Musik, Armut und | |
> die AfD. | |
Bild: „Den Blick von außen will ich mir bewahren“, sagt Erhard Grundl | |
taz am wochenende: Erhard Grundl, Sie sitzen als Grüner für den Wahlkreis | |
Straubing, dem Texas von Bayern, im Bundestag. | |
Erhard Grundl: Als Texas kann man Niederbayern durchaus bezeichnen. | |
US-Kultur ist Ihnen vertraut, Sie sind mit einer Amerikanerin verheiratet, | |
haben in einer Band gesungen. Kennen Sie diese Zeilen: „Vor einiger Zeit | |
hatte ich einen wüsten Traum / Ich träumte, ich geriet in den Dritten | |
Weltkrieg“? | |
Die stammen aus dem Song „Talkin' World War III Blues“ vom Album „The | |
Freewheelin’ Bob Dylan“. | |
Wann kamen Sie auf Dylan? | |
1971 habe ich im Radio seine Songs „Mr Tambourine Man“ und „Blowin’ in … | |
Wind“ gehört. Vom ersten Moment dachte ich, Dylan singt zu mir. | |
Wie war Ihr Aufwachsen in der Provinz? | |
In meinem Dorf erzielte die CSU stets 90 Prozent. Dazu gab es drei verirrte | |
Sozialdemokraten, einen Liberalen und einen, der für den KBW stimmte. Meine | |
Mutter ist dort gebürtig, ihr Vater war Bauer. Mein Vater war ein | |
Vertriebener und galt als Habenichts. Er hatte nichts für die CSU übrig. | |
Was hat Sie politisch geprägt? | |
Bei der Bundestagswahl 1972 wurde gegen Willy Brandt im Klassenzimmer | |
Stimmung gemacht. Je mehr über ihn geschimpft wurde, desto interessanter | |
fand ich ihn. Ich war der Erste in der Familie, der aufs Gymnasium ging, | |
ein Profiteur des sozialliberalen Aufbruchs. | |
Für linke Bayern war der Protest gegen die Wiederaufbereitungsanlage in | |
Wackersdorf von 1985 bis 1988 bedeutsam. Auch für Sie? | |
Ich habe damals in Regensburg studiert, wobei ich nicht aktiv am Widerstand | |
beteiligt war. Es gab viele Protestkonzerte, auf die ich gegangen bin. | |
Wichtiger war meine Antipathie gegen die CSU. Was die bayerische | |
Kulturszene angeht, entsteht viel aus der Antihaltung gegen die CSU heraus. | |
Nach der Uni haben Sie beim Musikvertrieb Efa gearbeitet. Hat Ihre | |
Künstlerexistenz die Berufswahl beeinflusst? | |
Ja, es war mir wichtig, in Bezug auf meine Musik keine Kompromisse zu | |
machen, deshalb passte der Job. Mit unserer Band Baby You Know ging es zwar | |
am Mainstream vorbei, dennoch spielten wir in New York vor 100 Leuten, | |
genauso viele wie in Regensburg. | |
Wie viele waren es bei der ersten Versammlung der Grünen, zu der Sie 2004 | |
kamen? | |
Versammlung ist ein Euphemismus. | |
Wofür? | |
Es gab keinen Ortsverband in Straubing. Damals hatte der Stadtrat den Bau | |
eines Einkaufszentrums beschlossen. Da habe ich festgestellt, es tagt ein | |
Stammtisch mit fünf Grünen. Dazu bin ich als sechster Mann gestoßen und | |
dachte, es wäre gut, Kräfte zu bündeln, um das nächste Einkaufszentrum zu | |
verhindern. | |
Ihr Einstieg verlief gegenläufig zur Politikverdrossenheit. | |
Solche Situationen reizen mich. Die Grünen waren in der Regierung Schröder, | |
mit Hartz IV und den Auslandseinsätzen, die ich kritisch beurteilt habe. | |
Grüne Ideen haben mich dennoch überzeugt. Außerdem: Der SPD-Ortsverband war | |
eine Clique von Alten, bei der ich nichts zu sagen gehabt hätte. Die Grünen | |
haben mir dagegen die Welt aufgesperrt und gesagt: Mach was draus! 2008 | |
wurde ich bei der Kommunalwahl zum ersten Grünen-Stadtrat gewählt. | |
Seit der Jahrtausendwende tragen selbst bayerische SPD-Politiker Trachten | |
auf Wahlplakaten. Wie lässt sich dieser aufdringlichen Heimatverbundenheit | |
Einhalt gebieten? | |
Allgemein denke ich nicht viel über den Begriff Heimat nach. Allerdings | |
machen sich auch Leute das Wort Heimat zu eigen, um andere auszugrenzen – | |
nicht mein Ding. | |
Wie ist es, als gewählter Volksvertreter die Interessen der | |
StraubingerInnen zu vertreten? | |
Es ist ein bewegendes Gefühl, auch, weil wir in Zeiten leben, in denen | |
einige einen Rollback in Richtung rechtsaußen versuchen. Lange war für mich | |
unvorstellbar, Mitglied einer Partei zu sein, da bin ich zu sehr | |
Normalbürger. Den Blick von außen will ich mir bewahren. Mich erdrückt mein | |
Beruf nicht, ich spüre eine erfrischende Streitkultur im Plenarsaal. | |
Obwohl die AfD eingezogen ist? | |
Ich scheue keine Auseinandersetzung mit der AfD über ihre Ziele und ihr | |
Menschenbild. Diejenigen, die die rechtsradikalen Positionen nicht | |
mittragen, werden wir dazu zwingen, sich von den anderen abzugrenzen. | |
Im Sommer haben Sie in Deggendorf zeitgleich mit dem neurechten AfDler | |
Björn Höcke bei einer anderen Veranstaltung gesprochen. Wie war das? | |
Es war zwei Tage nach dem Mordanschlag auf die Labourpolitikerin Jo Cox in | |
Leeds. Ihr Mörder hat „Britain first“ geschrien, Höcke brüllte „Deutsc… | |
zuerst“. Das muss uns bestärken, dagegen aufzustehen. Die Rechten haben uns | |
gar nichts anzubieten. | |
Was setzen Sie dem entgegen? | |
Die deutsche Sprache sei vom Aussterben bedroht, behauptet die AfD. Falsch: | |
Unsere Sprache ist quicklebendig und es ist toll, dass sie sich verändert, | |
weil sie Ausdruck dafür ist, was Menschen heute bewegt. | |
Ihnen liegen Künstler und Kreative am Herzen, Sie tragen aber auch Sorge | |
dafür, dass Menschen in Pflegeberufen anständig entlohnt werden. Wo sehen | |
Sie Ihre Schwerpunkte? | |
Wichtig ist mir die Frage, wie die Arbeit der Kulturschaffenden für mehr | |
Menschen zugänglich gemacht wird, wie Kreative besser unterstützt und | |
sozial abgesichert werden können. Mit ein Grund, warum die Rechten erstarkt | |
sind, ist eine verfehlte Sozialpolitik. Es gibt auch in Straubing eine | |
Tafel, vor ein paar Jahren kamen da wenige hundert Bedürftige, inzwischen | |
sind es über tausend. | |
Man sollte die zunehmende Armut nicht auf die Flüchtlingskrise schieben. | |
Auf keinen Fall. Mein Sohn macht eine Ausbildung im sozialen Bereich. Wenn | |
ich sehe, wie schlecht seine Kollegen bezahlt werden, da muss dringend mehr | |
Geld ins System. | |
Wie wollen Sie für den Erhalt der Landwirtschaft sorgen? | |
In der Straubinger Gegend gibt es große Höfe mit besten Böden und Bauern, | |
die davon profitieren, dass EU-Subvention die Großen bevorzugt. In einer | |
Politik, die den Verbraucher in den Mittelpunkt stellt, ist es aber | |
unabdingbar, dass man gute Qualität stärker fördert. Durch Subventionen | |
müssen kleinere Höfe ebenfalls gefördert werden. Es gibt auch in unserer | |
Region ein Bauernhofsterben. | |
Hat sich Landwirtschaft dem nachhaltigen Konsum schon angepasst? | |
Mit schonender Landwirtschaft lässt sich gut Geld verdienen. Die Nachfrage | |
in der Bevölkerung ist da. Eins noch, ich komme ja vom Dorf. Gerade wenn | |
man sich das Tierwohl anschaut, weiß ich sehr wohl, dass man auch fünf Kühe | |
katastrophal halten kann. Was unstrittig ist, je mehr Tiere man hält, desto | |
höher ist der Einsatz von Medikamenten. Das muss für Verbraucher | |
transparenter werden. | |
Wie vermitteln Sie demokratische Grundwerte? | |
Dass wir frei und selbstbestimmt leben, ermöglicht uns die parlamentarische | |
Demokratie. Wer zulässt, dass andere bestimmen, wer dazugehört und wer | |
nicht, gibt diese Demokratie preis. | |
Hinter Ihnen hängt ein Poster des Punksängers Joe Strummer. Was hat er Sie | |
gelehrt? | |
Von Strummers Musik habe ich gelernt, dass die Gegenwart immer was zu | |
bieten hat. Das Alte kommt nicht wieder. | |
Politik ist Inszenierung. Wie wappnen Sie sich gegen die Härten des | |
Betriebs? | |
Wie Strummer gesungen hat: „Back in the garage with my bullshit detector.“ | |
Man braucht Bullshit-Detektoren. Das sind Freunde und Familie, auch | |
Menschen, die Grünen-fern sind. Ich kenne einen Journalisten mit dem ich | |
oft streite, ein guter Bullshit-Detektor. Ich mag mich nicht mit Jasagern | |
umgeben. | |
11 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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