# taz.de -- Kolumne Air de Paris: Schrecklich. Und faszinierend. | |
> Wenn jemand auf die Idee kommt, ein ernstes Thema anzusprechen, geht ein | |
> Alarm los. Eindrücke von der Pariser Woche der Haute Couture. | |
Bild: „Wir haben 15 Mädchen dabei“, meint die Freundin, die in einer Modea… | |
Vielleicht gibt es kaum etwas Gruseligeres als sogenannte Fashion Weeks. | |
Vergangene Woche fand in Paris wieder einmal ein solcher Event statt. Es | |
war diesmal nicht die klassische, nicht die einfache Fashion Week für | |
jedermann, also nicht das nur noch nach Marktforschungsergebnissen | |
entwerfende Prêt-à-porter, sondern die gehobene Variante des Genres: die | |
Woche der Haute Couture, der Schneiderkunst, der wahren, der großen. | |
Eigentlich ganz schön, möchte man meinen, denn was dort gezeigt wird, was | |
die Models ein paar Tage lang an den schönsten Orten von Paris in einem | |
ständigen Auf und Ab und Auf und Ab vorführen, ist oft so fein und | |
kunstvoll und mit so vielen Stunden präzisester Arbeit verbunden, dass man | |
gern mal mit offenem Mund vor einem Kleid stehen bleiben würde, einfach | |
weil es immer wieder erstaunt, was mit ein paar Metern Stoff so alles geht. | |
Trotzdem ist die Veranstaltung ein Grauen. Am vergangenen Dienstag zum | |
Beispiel lud ein großes Pariser Modehaus abends ins Palais de Tokyo. Es | |
ging um Mode, und es ging um Duft, denn besagtes Haus, dessen Namen ich | |
lieber nicht nennen möchte, bringt erstmals nach vielen Jahren, wie die | |
sehr freundliche Pressedame immer wieder erwähnte, ein neues Parfüm heraus. | |
Das sei ein Ereignis, hieß es immer wieder, das sei, man könnte fast sagen, | |
spektakulär. | |
Also ließ man den Champagner fließen, viel Champagner, man besprühte den | |
Betonbau mit dem neuen Duft und berief ein paar bekannte Leute zur Party: | |
Katy Perry und Tilda Swinton (gibt es eine Modeparty, auf der die Swinton | |
nicht erscheint?), Pharrell Williams, die unglaublich tolle und erstaunlich | |
kleine Kristen Stewart, die Über-Parisiennes Inès de la Fressange und | |
Caroline de Maigret und viele andere. | |
## I love your bag | |
Um sie herum standen zahlreiche ModebloggerInnen, also Menschen, die es | |
sich offenbar zum Ziel ihrer Existenz gemacht haben, wandelnde Litfaßsäulen | |
zu sein, und viele Models, die extra angeschafft wurden, um den Platz mit | |
ihren schmalen Körpern zu füllen. | |
Eine Freundin, die in einer bekannten Pariser Modelagentur arbeitet, | |
meinte, sie haben „fünfzehn Mädchen dabei“; so, als wenn sie sagen würde, | |
ich habe zehn Flaschen Champagner mitgebracht, also irgendeine Ware, die | |
hier dringend gebraucht wird. | |
Von Kopf bis Fuß eingekleidet mit der einladenden Marke sind die Models | |
tatsächlich mindestens so wichtig wie die gute Beleuchtung; sie sollen | |
erfreuen und unterhalten mit ihrer abstrakten Schönheit, ein bisschen | |
lächeln, aber bloß nicht zu viel, ein bisschen tanzen, aber auf keinen Fall | |
zu wild, kein allzu dummes Zeug erzählen, aber auch unter gar keinen | |
Umständen so etwas wie ein „Thema“ anschneiden (falls sie denn überhaupt | |
Lust dazu hätten). Denn das kommt hier gar nicht gut. | |
Man kann sich fast vorstellen, es würde ein Alarm losgehen, sollte jemand | |
auf die Idee kommen, es zu tun, denn keiner will wissen, dass Simone Veil | |
gerade gestorben ist oder in Hamburg G20-Radau herrscht. | |
Alles soll locker und weich fließend fallen, wie ein Stück Musselin. | |
Immerhin ist Sommer! Immerhin ist Fashion Week! Und da schaut man sich eben | |
lieber von oben bis unten an, mustert jedes Detail mit einem breiten | |
Lächeln auf den Lippen und leichtem Ekel im Blick und sagt Dinge wie „I | |
love your bag“ oder „your shoes“ oder was man eben halbwegs glaubwürdig | |
„loven“ kann. Oder man bewirft sein Gegenüber gleich rundum mit einem: „… | |
look amazing!“, worauf immer ein „No, you look amazing!“ und dann wieder | |
ein „No, you!“ und so weiter folgt, bis einer von beiden weggeht, weil so | |
ein Smalltalk sich ja relativ schnell erschöpft. | |
Es ist faszinierend. Und schrecklich. Und faszinierend. Und wahnsinnig | |
leer. Und natürlich wäre es idiotisch, sich darüber aufzuregen. Trotzdem | |
fragt man sich am Ende eines solchen Abends, was es wohl für Frankreich | |
bedeutet, dass die Modeindustrie, noch vor der Automobil- und | |
Luftfahrtindustrie, eine der wichtigsten und prosperierendsten des Landes | |
ist. Hier werden noch Arbeitsplätze geschaffen. Die Restrealität | |
überschüttet man dann einfach mit ein paar Schalen Champagner. | |
Annabelle Hirsch ist freie Autorin und lebt in Paris | |
12 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Annabelle Hirsch | |
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