# taz.de -- Ausstellung in New York: Der Modediskurs als Kleiderbeule | |
> Mit „Art of the In-Between“ würdigt das Metropolitan Museum of Modern Art | |
> das Label Comme des Garçons der Japanerin Rei Kawakubo. | |
Bild: Ausstellungsansicht von „Clothes/Not Clothes: War/Peace“ | |
Es ist schon ein Kunststück, Rihanna in einen Zellhaufen zu verwandeln. | |
2015 noch stieg sie bei der Gala zu „China: Through The Looking Glas“ in | |
einer epischen Robe der Designerin Guo Pei und Ming-Krönchen im Haar die | |
Treppe des New Yorker Metropolitan Museums empor. Eine Dragon Lady der | |
Popkultur. Das schwere, goldgelbe Gewand, dessen Herstellung zwei Jahre | |
gedauert hatte, wirkte, als ob es in einer Sekunde fallen gelassen werden | |
könne, um darunter nichts als Rihannas nackte, gepflegte Haut zu enthüllen. | |
Doch 2017 bietet sich in Rei Kawakubos Comme-des-Garçons-Kostüm aus der „18 | |
Century Punk“-Kollektion ein ganz anderes Bild. Trotz endloser, in | |
Fetisch-Stilettos verschnürter Beine scheint der rosengemusterte Cluster | |
aus Brokat- und Nylonstoffen Rihannas Körper aufzufressen. Eine flirrender | |
Blob, aus dem Kopf und Extremitäten ragen wie Überreste einer aussterbenden | |
Spezies. | |
Unter der Ägide der Vogue-Chefin Anna Wintour generiert die jährliche | |
Eröffnungsgala der Frühjahrs-Modeausstellung des Met 120 Millionen Dollar | |
und damit den gesamten Jahresetat des Costume Institute. Die Eröffnung ist | |
ein gesellschaftlicher Superbowl, der auf der ganzen Welt verfolgt wird. | |
Dass der Hauptstar der Veranstaltung nun aussieht wie eine Polle, ein Ding, | |
ist eine Sensation und verdankt sich der inzwischen 74-jährigen japanischen | |
Designerin Rei Kawakubo, die dieses Jahr mit ihrem Label Comme des Garçons | |
in der Ausstellung „Art of the In-Between“ im Metropolitan geehrt wird. | |
Nach Yves Saint Laurent, der 1983 eine Ausstellung im Met erhielt, ist sie | |
die erste noch lebende Designerin, der diese Ehre zuteil wird. Nicht ohne | |
Grund, beschäftigt sich Kawakubo doch seit Jahrzehnten damit, inwieweit | |
Kleidung Objekt ist und Mode und Material den Körper definieren, ihn | |
schützen, bloßlegen, ermächtigen oder verletzlich machen können. | |
## Ihre Kollektionen erinnern an den Pioniergeist der Moderne | |
Kaum eine andere Designerin der Welt hat dabei so die Tatsache reflektiert, | |
dass der weibliche Körper im Kapitalismus Ware und Kapital ist, permanent | |
gezeigt und wie in einer Auslage präsentiert werden muss. Und niemand hat | |
diese Idee so sehr sabotiert, umgemodelt und intellektualisiert wie | |
Kawakubo und ihr 1969 in Tokio gegründetes Label Comme des Garçons. | |
Dabei nutzt sie Mittel der bildenden Kunst: Ihre formale und konzeptionelle | |
Strenge erinnert an die Minimal Art, die stets über das Verhältnis zwischen | |
Körper, Objekt und Raum nachdenkt. Ihre Entwürfe haben eine autonome, | |
performative, skulpturale Qualität, die sich etwa mit Louise | |
Bourgeois’psychologisch aufgeladenen Skulpturen messen kann. Ihr | |
selbstbekundeter Wille, mit jeder Kollektion etwas völlig Neues zu | |
schaffen, das noch nie gemacht oder gedacht worden ist, erinnert an den | |
Pioniergeist der Moderne. | |
So ist auch die von ihr entworfene Ausstellungsarchitektur im Met ein | |
modernistisches Gesamtkunstwerk. In einen knäckebrottrockenen, | |
dekonstruierten White Cube baut sie ein aus Kuben, Kegeln und Kreisen | |
konstruiertes Denkgebäude ein, ein Ideendorf, in dem die Puppen in | |
Comme-des-Garçons-Haute-Couture ihre Welt reflektieren. | |
Den Reiseführer zu ihrer Welt hat der Chefkurator des Costume Institute, | |
Andrew Bolton geschrieben. Er erkennt in zwei Entscheidungen die | |
wesentlichen Ausgangspunkte, zwischen denen sich die Reise entfaltet. Da | |
ist zunächst der Entschluss, sich von der japanischen Folklore abzuwenden, | |
den Kawakubo 1979 fasst, um völlig neuartige Kleidung zu schneidern. | |
## Kawakubo deformierte die Körpersilhouette radikal | |
Von da an verstößt sie gegen alle Konventionen der Mode, dekonstruiert | |
Männer- und Frauenkleidung, japanische Tradition und westliche Einflüsse, | |
19. Jahrhundert und moderne Abstraktion. So schafft sie die | |
schwarz-minimalistischen Arbeitsuniformen für die Frauen des Kunstbetriebs | |
und der kreativen Industrie. Die experimentell um den Körper drapierten, | |
formlosen Gewänder sind in den 1980ern mönchische, bewusst „arme“ Antwort… | |
auf den schultergepolsterten Power-Dressing-Look der Reagan-Ära. | |
Dreißig Jahre später verabschiedet sie sich dann gänzlich von der Idee, | |
überhaupt noch Kleider zu machen, und fokussiert sich stattdessen auf | |
„Objekte für den Körper“. Doch anstatt chronologisch durch diese | |
Entwicklung zu führen, thematisiert Bolton das „In-Between“ in Kawakubos | |
Mode. | |
Kawakubo selbst gibt kaum Interviews und verweigert sich jeder | |
Interpretation. Aber sie hat einmal gesagt, dass ihre Entwürfe den Koanen | |
des Zen gleichen, die wie absurde Scherze funktionieren, um die Aussage des | |
Meisters darzustellen. Für Bolton bilden der Koan Mu(Leere) und das | |
Ma(Raum) zentrale Motive ihrer Arbeit, aus deren sich ein permanentes | |
„Dazwischen“ ableitet, etwa zwischen Objekt und Subjekt, Selbst und dem | |
Anderem, Mode/Anti-Mode usw. | |
Der Kurator dekliniert diese Gegensatzpaare mit 140 Kostümen aus Kawakubos | |
revolutionären Kollektionen durch, wie „Body Meets Dress – Dress Meets | |
Body“ von 1997, die von Kritikern „lumps and bumps“, also „Knoten und | |
Beulen“ getauft wurde. Sie meinten damit die ausgestopften, tumorartig | |
wuchernden Buckel, Busen, Bäuche und Hintern, mit denen Kawakubo die | |
Körpersilhouette radikal deformierte. | |
## Kawakubo prägte die wohlhabende New Yorker Kunstwelt | |
Da sind Kleider aus geknülltem Packpapier, die anmuten wie die Skulpturen | |
des Pop-Künstlers Claes Oldenburg, Kostüme wie „Ceremony of Separation“ | |
(2015), die Proust’sche Empfindsamkeit mit futuristischem Gothic-Flair | |
verbinden. Da ist das berühmte pink-türkise Kleid aus der Kollektion von | |
2012, die flachgedrückte Version einer Niki-de-Saint-Phalle-Skulptur, in | |
die Lady Gaga demonstrativ schlüpfte, wobei sie im Internet als zu „fett“ | |
beschimpft wurde. | |
Boltons theoretisch brillantes Konzept stilisiert Kawakubo allerdings | |
weiter als geheimnisvolle Zen-Künstlerin, wofür er einige Gegensatzpaare | |
wie Mode/Kunst und Kunst/Kommerz weglässt. Comme des Garçon macht jährlich | |
einen Umsatz von 250 Millionen Dollar. Schon mit der Eröffnung ihrer | |
Boutique 1983 im Galerien-Distrikt SoHo prägte Kawakubo den Stil der | |
wohlhabenden New Yorker Kunstwelt. | |
Von da an definiert sie über Jahrzehnte hinweg den Look einer kreativen | |
Elite, die genug Geld hat, um ihre Entwürfe zu erwerben und deren Grammatik | |
auch lesen kann. Doch Kawakubo reichen eigentlich Andeutungen, Oberflächen, | |
Intuition. Sie braucht keine Theorie. Wäre es nach ihr gegangen, wäre im | |
Met nicht eine Werkschau zu sehen gewesen, sondern nur ihre Kollektionen | |
der letzten Jahre – ohne Puppen und Erklärungen. | |
Boltons zenmäßig-assoziative Reinwaschung ist brillant. Sie verbindet | |
kuratorischen Anspruch mit der fluffigen, schlagwortartigen Sprache der | |
Mode. Kawakubos ästhetische Sensibilität, schreibt er, schaffe „eine | |
beunruhigende Zone visueller Ambiguität und Unbestimmtheit“. Diese Lesart | |
lässt außer Acht, wie nah die ewig unzufriedene und perfektionistische | |
Modehexe Kawakubo an der Wirklichkeit dran ist. | |
## Modeindustrie kommerzialisierte die Sprache der Kunst | |
Selbstverständlich sind ihre Entwürfe deutbar. Und das gilt nicht nur für | |
den Einfluss der Haute-Couture-Ikonen Madeleine Vionnet und Paul Poiret. | |
Schon in ihren frühen Kollektionen spürte sie, wie Blade-Runner-mäßig | |
unsere Welt werden wird, aufgerieben zwischen grenzenloser materieller Gier | |
und spiritueller Sehnsucht. | |
Es ist kein Wunder, dass Neuköllner Hipster oder modische muslimische | |
Mädchen heute aussehen wie Comme-des-Garçons-Modelle aus den 1980ern. Ob | |
Genforschung, Postfeminismus, Transgender, Diskussionen über Verschleierung | |
und religiöse Identität – die Debatten der letzten Jahrzehnte sind fast | |
wortlos in Kawakubos Werk verpackt. | |
Auch Rihannas Met-Kostüm ist an einen aktuellen Diskurs gebunden – über den | |
Abschied von der narzisstischen, anthropozentrischen Weltsicht, die | |
Intelligenz von Bienen, das Gedächtnis von Steinen und eine zukünftigen | |
Welt, in der der Mensch keine Rolle mehr spielt. Der Buddhismus lehrt, ganz | |
im Moment zu leben, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Tatsächlich gleicht | |
Kawakubos Werk der Meditation einer modernen, neurotischen Person, die sich | |
ihren ungelösten Widersprüchen, Ängsten, der Realität stellt. | |
Dabei macht „The Art of the In-Between“ radikal sichtbar, wie sehr sich die | |
Modeindustrie die Sprache der Kunst bereits angeeignet und sie perfekt | |
kommerzialisiert hat. Rihannas Auftritt als Kunst-Polle war nur ein Anfang. | |
Vielleicht sollte man sich damit anfreunden, dass dieselbe Industrie, die | |
Frauen gnadenlos objektiviert, auch ihre eigenen, sehr kraftvollen | |
Gegenbilder schafft – und Diskurse aus der Kunstwelt wie Beulen über den | |
roten Teppich getragen werden. | |
5 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Oliver Koerner von Gustorf | |
## TAGS | |
Mode | |
Rihanna | |
Lady Gaga | |
Yves Saint Laurent | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
taz.couture | |
Yves Saint Laurent | |
Kunst | |
China | |
Transmediale | |
Mode | |
Paris | |
Expats | |
taz.couture | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Museum Yves Saint Laurent in Marokko: Lang gehegter Traum | |
In Marrakesch eröffnet am Donnerstag das Museum Yves Saint Laurent. Zu | |
sehen sind 50 seiner Kleider – und die unglaublichsten Accessoires. | |
Chinesische Kunst in Deutschland: Lost in Darmstadt | |
Die Kunsthalle Darmstadt zeigt Werke aus Chongqing. Auch wenn der Kontext | |
fehlt, lohnt sich der Besuch von „Zoom-In Chongqing“. | |
Boyband in China mit fünf jungen Frauen: Zwischen Realität und Spielerei | |
Die Band FFC-Acrush erobert chinesische Frauenherzen. Warum das Phänomen | |
kein Zeichen für einen Wandel der Geschlechterpolitik Chinas ist. | |
Transmediale Ausstellung in Venedig: Plötzlich auf der Bühne von „Lulu“ | |
Anna Viebrock, Thomas Demand und Alexander Kluge verwandeln die Fondazione | |
Prada in ein Theater, in dem die Besucher auch selbst auftreten. | |
Webserie über Modemetropole Kinshasa: Eine nicht endende Performance | |
Die Serie „Kinshasa Collection“ beleuchtet die Verflechtungen des | |
Textilhandels zwischen der DR Kongo, China und Europa. | |
Kolumne Air de Paris: Schrecklich. Und faszinierend. | |
Wenn jemand auf die Idee kommt, ein ernstes Thema anzusprechen, geht ein | |
Alarm los. Eindrücke von der Pariser Woche der Haute Couture. | |
taz-Serie Neu-Berlinern: Modenschau oder was? | |
Bei Stilfragen kann in Berlin nachgebessert werden, meint Sofie | |
Tarp-Hauser. Ein Treffen von zwei Däninnen im zweiten Teil der | |
„Neu-Berlinern“-Serie. | |
Nachdenken über Mode: Was ist Eleganz? | |
Elegant ist man nie, wenn man es sein soll. Nie auf Kommando. Eleganz ist | |
flüchtig und ungehorsam. Gedanken zu einem großen Begriff. |