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# taz.de -- Nachdenken über Mode: Was ist Eleganz?
> Elegant ist man nie, wenn man es sein soll. Nie auf Kommando. Eleganz ist
> flüchtig und ungehorsam. Gedanken zu einem großen Begriff.
Bild: „Isn’t elegance forgetting what one is wearing?“ In Form einer Frag…
Spätestens seit [1][Hedi Slimane] sich für Dior zwischen 2001 und 2007 dem
spindeldürren Chic des Mannes gewidmet hatte, war der Anzug als Chiffre
männlicher Eleganz wieder Teil eines zeitgenössisch-jugendlichen Styles.
Dieser Trend hat sich weiter verstärkt, das konnte man jüngst in der
Fachpresse lesen. Kaum eines der großen Label, heißt es, selbst jene, die
sich wesentlich mit Sport befassen, versäume es, dem männlichen Publikum
eine Kombination aus Sakko und Hose zu bieten. Wobei der Umgang mit der
klassischen Form äußerst spielerisch und selbstbewusst sei. Man habe sich
von dem Bild des Anzugs als Uniform männlicher Eleganz beinahe vollständig
gelöst.
Um ehrlich zu sein: Das Wort Eleganz kommt gar nicht vor. Vielleicht, dass
es zu müde wirkt, schließlich geht es um Business-Anzüge, ums
Tagesgeschäft. Um einen großen Körperstolz, der die Slim-Fit-Nähte fast zum
Platzen bringt. Mir fällt ein anderer Anzug ein.
## Eleganz als persönliche Erfahrung
Schlecht geschnitten, in den Schultern zu breit. Ein Freund trug ihn, am
Grab seiner Mutter stehend. Nie zuvor hatte ich diesen 30-jährigen Sohn
eines Matrosen weinen gesehen, geschweige denn in einem schwarzen Jackett.
Es mag seltsam klingen, aber von dieser Szene einer Beerdigung auf dem Land
aus scheint es mir naheliegender, nach der männlichen Eleganz zu greifen,
als von den hyperalerten Businessvariationen des zeitgenössischen
Prêt-à-porter.
Mit der eigenen Sehnsucht hat das zu tun, mit jenen Momenten, in denen sich
die Eleganz als persönliche Erfahrung in die Nervenbahnen schreibt. Man
solle ihm sagen, was Musik ist, dann werde er versuchen, Eleganz zu
definieren. So zitiert der New Yorker 2015 den Physiker Edward Witten. Die
großen Lexika versuchen es trotzdem und verweisen auf die Harmonie und die
Einheit als die zwei wesentlichen Prinzipien der Eleganz. Eine Geste könne
betroffen sein, die Einrichtung einer Wohnung, die Mode selbstverständlich,
die lateinische Grammatik, ein mathematischer Beweis oder eine moralische
Handlung. In jedem Fall merke man sofort, wenn man sie trifft.
In Gestalt Walter Matthaus etwa, der sich als erfolgloser Anwalt für
betrügerische Schadenersatzfälle in Billy Wilders „Glückspilz“ einen
Maßanzug leistet und aus einem, heute würde man wohl sagen geleasten,
Sportwagen steigt. Oder mit dem Spiel Roger Federers, der einen dieser
Halbvolleys schlägt, die kein Trainer der Welt einem beibringen kann. Oder
man liest etwas und könnte vor Staunen und Rührung „da“ oder „sieh mal�…
sagen und mehr eigentlich nicht.
## Ohne Imponiergehabe
„Ich kann kein Instrument spielen. Ich kann keine Fremdsprache. Ich habe
den Vermeer in Wien nie gesehen. Ich habe nie einen Toten gesehen. Ich habe
nie geglaubt. Ich war nie in Amerika. Ich stand auf keiner Bergspitze. Ich
hatte nie einen Beruf. Ich hatte nie ein Auto. Ich bin nie fremdgegangen.
Fünf von sieben Frauen, in die ich in meinem Leben verliebt war, haben es
nicht erfahren. Ich war fast immer allein. Die letzten drei Jahre waren die
besten.“
Als Fragment 10 findet sich dieser vollendet-elegante Absatz in Wolfgang
Herrndorfs „Arbeit und Struktur“. Wie es die Eleganz verlangt, kommt er
ohne jedes Imponiergehabe aus, er tut sogar vollkommen anspruchslos. In
Wahrheit ist er ausbalanciert bis aufs Gramm. Die Stereotypen des
(männlichen) Erfolgs ruft er auf, nur um sie abzuweisen und sich am Ende
ritterlich zu verbeugen. Als sei sich selbst zurückzulassen die einfachste
Sache der Welt.
„Isn’t elegance forgetting what one is wearing?“ In Form einer Frage und
nicht als Behauptung definierte [2][Yves Saint Laurent] die Eleganz. Auch
das ist nicht ohne Ironie. Ein Meister der Mode schickt die Kunden weg. Die
Eleganz sei dort, wo die Kleider nicht oder nicht mehr sind. Sicher, man
kann das als Snobismus deuten. Wer schließlich kann sich am Ende diese
Ignoranz gegenüber den eigenen Kleidern leisten? Das Paradox der Eleganz
aber damit für erledigt zu halten? Das wäre wahrscheinlich doch zu bequem.
Was würde aus dem Moment jenseits der Strategie?
Einen ähnlichen Gedanken wie Saint Laurent drückte die Choreografin und
Tänzerin Pina Bausch mit ihrer Bemerkung aus, dass es sie nicht
interessiere, wie sich Menschen bewegen, sondern was sie bewegt. Auch das
trifft ins Herz der Eleganz, das für ein Nichtverhältnis zum Spiegelbild
schlägt. Es pocht eine winzige, souveräne Sekunde lang zu Ungunsten des
Ego, und zu unterscheiden wäre es damit von jenem Cool, über das es vor
Jahren hieß, die Grausamkeit zähle zu seinen „zentralen Merkmalen“. Für …
Eleganz darf man das getrost bezweifeln.
Historisch gesprochen ist mit ihr etwas Altes im Spiel, das zurückgeht bis
in die Texte der Renaissance, die den Begriff der sprezzatura prägten, das
Ideal der eleganten und liebenswürdigen Gefälligkeit. Der Historiker Peter
Burke hat darauf hingewiesen, indem er das im Italien des 16. Jahrhunderts
deutlich gesteigerte Interesse an der Gestik betonte. Die Gesten der
Eleganz, so Burke, seien zunächst den Frauen zugewiesen, dann auf den
Klerus und auf die männlichen Angehörigen der oberen Klassen ausgedehnt
worden.
Demnach hat die Eleganz (und mit ihr der nach Burke damals und weit vor
Bourdieu geläufige Begriff des Habitus) gesellschaftliche Unterschiede
stärker als solche der Geschlechter betont. Jede Beflissenheit meidend, hat
sie androgyne Qualität. Die Kunst des Gefallens schließt den kleinen Fehler
ein. Sollte man den Gegenpol zu dieser Haltung finden, müsste man ins 19.
Jahrhundert, das besessen vom Dualismus der Geschlechter war.
Der Herr trägt Hosen. Die Dame sehr viel Tüll. Das gesellschaftliche
Schicksal verpflichtet die Frau zur Eindeutigkeit. Sie ist der schöne, der
ausstaffierte Besitz. Ein Körper, dem die Eleganz als Kraft der Verführung
zum Risiko wird. Die Eleganz verträgt sich schlecht mit dem Status des
(weiblichen) Objekts. Anna Karenina und Madame Bovary müssen sterben.
## Der Dandy als Meister des Details
Und auch der Dandy, eine andere Gestalt des 19. Jahrhunderts, begibt sich
in Gefahr und provoziert den Argwohn der ordentlichen Leute. Gegen die
bürgerliche Idylle hält er die Erinnerung an jenes alte androgyne
Eleganzideal wach. Ein Meister des Details und ein Pionier der Mode,
verdeutlicht er die Zäsur in der Geschichte der Eleganz. Paradoxerweise
wird nämlich ausgerechnet mit ihm, einem Außenseiter, die Eleganz zur
Möglichkeit der bürgerlichen Mode. Dem Dandy genügen wenige Vokabeln (Hose,
Mantel und Krawatte), um virtuos damit zu spielen. Winzigste Nuancen
entscheiden und jedes Mal muss es so aussehen, als habe er nicht ein
Fünkchen Mühe darauf verwendet.
Diese Einfachheit ist nun bis ins 20. Jahrhundert hinein ein Privileg der
Männer. Und eines der extravaganten Frauen. Cary Grant und Katharine
Hepburn zum Beispiel waren elegant, weil alles an ihrer makellosen
Aufmachung absolut unmotiviert wirkte. Keine Gesellschaft, kein Vater,
keine Mutter schien ihnen je diktiert zu haben, wie sie sich zu kleiden
haben, und selbst im tollsten Frack und Abendkleid schien niemand auf
Zustimmung aus zu sein.
## Rettung vor Platzanweisungen des Patriarchats
Man könnte diesen Erben des Dandys Herrschaftswissen vorwerfen, ähnlich wie
dem Yves Saint Laurent’schen Vergessen. Aus der Perspektive der Diskurse
über Sex und Gender allerdings bedeutet diese Eleganz ein Schweben, eine
Rettung vor den kruden Platzanweisungen des Patriarchats.
Elegant ist man eben nie, wenn man es soll. Nie auf Kommando und nicht vor
dem Spiegel der Mode, der einem sowieso nur helfen kann, wenn man nichts,
aber auch gar nichts, was man darin sieht, mit der Eleganz selbst
verwechselt. Ein Trend, ein sogenanntes Must-have, kann also gar nicht
elegant sein. Ebenso wenig wie Desinteresse und Verachtung es sein können
oder schlicht jede Art der Selbstgerechtigkeit. Mut und Großzügigkeit
dagegen sind äußerst elegant. Diese Lücken der Lässigkeit. Vermutlich sind
sie das Eleganteste überhaupt.
5 Jul 2017
## LINKS
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[2] /Yves-Saint-Laurent-ist-tot/!5181250
## AUTOREN
Elisabeth Wagner
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