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# taz.de -- Boyband in China mit fünf jungen Frauen: Zwischen Realität und Sp…
> Die Band FFC-Acrush erobert chinesische Frauenherzen. Warum das Phänomen
> kein Zeichen für einen Wandel der Geschlechterpolitik Chinas ist.
Bild: Lu Keran, An Jun Xi, Min Junqian, Peng Xichen und Lin Fan verlassen die B…
Sie sind jung, sie sehen gut aus, und ihre Fans liegen ihnen zu Füßen –
Chinas neueste Boyband FFC-Acrush. Auf der chinesischen
Social-Media-Plattform Weibo hat die Gruppe fast eine Million Follower –
und das obwohl sie erst ein Lied veröffentlicht haben. Auch internationale
Medien stürzen sich nur so auf die Band. Warum? Die Boyband besteht aus
fünf androgynen Frauen zwischen 18 und 24 Jahren.
Die Bandmitglieder identifizieren sich als weiblich, wollen aber, dass in
ihrer Anrede auf Personalpronomen verzichtet wird. „Mei shao nian“ wollen
sie stattdessen genannt werden, „schöne Jugendliche“. Dass diese
Beschreibung zutrifft, finden vor allem ihre mehrheitlich weiblichen Fans,
die Lu Keran, An Juxi, Min Junqian, Peng Xichen und Lin Fan
hinterherreisen, ihnen Liebesbriefe schreiben und sie ihre Ehemänner („lăo
gng“) nennen – ein Begriff, der sonst für männliche Popstars reserviert
ist.
Obwohl die Mädchen sich laut Vertrag nicht zu ihrer Sexualität äußern
dürfen, feiert die internationale Presse ihre Existenz als mögliches
Zeichen für einen Wandel konservativer Geschlechternormen in China. Die
Genderwissenschaftlerin Jamie J. Zhao forscht zu queerer Popkultur in
chinesischsprachigen Ländern.
Sie sieht die Entwicklungen um FFC-Acrush nicht ganz so enthusiastisch:
„Solche ‚Transgender‘-Bands sind definitiv nicht überraschend oder neu�…
sagt sie und verweist unter anderem auf die androgyne Gruppe MissTer aus
Taiwan, deren Sängerin Jin Tai sich 2014 als lesbisch outete, aber im
chinesischen Kontext sei es doch besonders, dass sie sich explizit als
„Boyband“ bezeichnen.
## Sie erinnern an koreanische Boygroups
Eine Überraschung ist die Popularität von FFC-Acrush vor allem deshalb
nicht, weil die Gruppe nach einem Erfolgsmodell gecastet wurde. Bereits
2005 gewann eine kurzhaarige, burschikose Frau die Talent-Show „Super Girl“
und wurde damit zum Star: Li Yuchun, die sich auch Chris Lee nennt, hat
mittlerweile zahlreiche Singles veröffentlicht, Preise gewonnen und in
einigen Filmen mitgespielt. Spätestens seit ihrem rasanten Aufstieg ist
klar: Androgyne Popstars lassen sich in China gut vermarkten.
Ende letzten Jahres suchte das Unterhaltungs-Startup Zhejiang Huati Culture
Communication in einem landesweiten Aufruf nach den passenden Mitgliedern
für eine Boyband – dass es sich bei den Gewinnerinnen des Castings um
Frauen handelte, soll angeblich erst nach ihrem Sieg herausgekommen sein.
In ihrem Musikvideo „Action“ geben sich die fünf Mitglieder lässig: In
engen Röhrenjeans und stylischen Jacken tanzen sie in synchroner Formation
zwischen hängenden Leuchtstäben, in den Strophen wird gerappt. Sound,
Kleidung und Moves erinnern an koreanische Boygroups wie JJCC, die in China
sehr populär sind.
Doch seitdem Südkorea im letzten Jahr trotz Kritik vonseiten Chinas dem
Aufbau eines US-Raketenabwehrsystems zustimmte, bleibt der Kulturimport
aus. Koreanische Fernsehsendungen werden nicht mehr ausgestrahlt,
Onlineplattformen sind gesperrt.
## Queere Popkultur ist entpolitisiert
Zu Beginn des Jahres wurden zwei von langer Hand geplante Tourneen
koreanischer Musiker abgesagt, weil den Künstlern kein Visum gewährt wurde.
Auch wenn die Regierung in Beijing Repressionen gegenüber koreanischen
KünstlerInnen dementiert, sind die Auswirkungen in China spürbar. Dort
setzt man jetzt auf Eigenproduktionen. Dass FFC-Acrush vor allem bei jungen
Frauen ankommen, dürfte der Band und ihrem Management bewusst sein.
Homosexualität ist in China zwar nicht verboten, wird vom Staat aber kaum
anerkannt. Es existieren keine Gesetze gegen Diskriminierung, und in den
Medien kommt es immer wieder zur Zensur queerer Repräsentationen.
In einer jüngeren Umfrage unter 18.650 Lesben, Schwulen, Bisexuellen und
Transmenschen beschrieben sich nur 3 Prozent der Männer und 6 Prozent der
Frauen als vollkommen geoutet. 80 Prozent der Befragten haderten vor allem
damit, ihre Familien einzuweihen.
Zhao beschreibt den Umgang chinesischer Medien mit Homosexualität als eine
Art „queerer Sensationshascherei“: Homoerotik werde in der Populärkultur
zur Kommerzialisierung von Kleidungsstilen oder Stars genutzt. Diese
entpolitisierte queere Popkultur richte sich vor allem an ein Publikum
verschiedenster Geschlechter und sexueller Identitäten, die im Alltag des
„immer noch sehr homophoben Staats China“ selbst jedoch keine Akzeptanz
fänden.
## Homoerotik spielt bei der Band eine wichtige Rolle
Auf dem offiziellen YouTube-Kanal von FFC-Acrush finden sich zahlreiche
Beispiele dafür, wie die verbotene Begierde vermarktet wird. In einem Video
dürfen die Fans ihren Angebeteten so nah kommen, dass sich ihre Gesichter
berühren – ohne dass es zu tatsächlichem Kontakt kommt.
Ein anderes Video zeigt die Boygroup bei einem ihrer Auftritte. Auf einer
Bühne müssen sie, angeleitet von einem Moderator, eine Süßigkeit
weitergeben – ohne Hände. Von der süßen Stäbchen brechen immer weiter
Stücke ab, bis sich die letzten beiden in der Reihe beinahe küssen müssen,
um die Aufgabe zu erfüllen. Aber eben nur beinahe. Das Publikum jauchzt
vor Begeisterung.
Homoerotik spielt bei FFC-Acrush also eine wichtige Rolle. Die
Selbstdarstellung der Band und die Reaktionen darauf bewegen sich aber
immer in der Grauzone zwischen Realität und Spielerei. Die Akteure können
sich immer darauf berufen, nur eine Fantasie auszuleben oder in einen
„einzigartigen Style, eine Schönheit oder Persona verknallt zu sein“,
erklärt Zhao. Dadurch würden die alltäglichen Probleme „echter“ Lesben, …
nicht in der Welt der Unterhaltungsmedien, sondern in einem immer noch
größtenteils heteropatriarchalen China leben, marginalisiert.
Für die heteronormative chinesische Bevölkerung spielen sich queere
Praktiken ausschließlich im Fiktiven ab: auf Bühnen, in Videos und auf
Fotos. Öffentliche Bekenntnisse zu sexuellen Orientierungen gibt es kaum.
## Die, die nicht in die Norm passen, werden ausgegrenzt
Zhao befürchtet, dass Queerness oft als experimentelle Phasen junger Leute
abgetan werden. Nicht die Akzeptanz unangepasster Identitäten sei die
Folge, sondern eher die Trivialisierung queeren Begehrens.
Nicht nur in der breiten Bevölkerung führt ein Phänomen wie FFC-Acrush zu
reaktionären Entwicklungen. Homoerotische Fantasien in der Popkultur können
homonormative Strukturen in queeren Communitys bestärken: Wenn die einzige
queere Repräsentation im Land von jungen Menschen stammt, die gängigen
Schönheitsidealen entsprechen, kommt es schnell zur Ausgrenzung derer, die
nicht in diese Normen passen.
Nicht ohne Grund steht das „A“ in „Acrush“ für den griechischen Gott
Adonis, der heute noch als Synonym für männliche Schönheit gilt. Das
vorangestellte „FFC“ hingegen steht für „Fantasy Football Confederation�…
einen Sportartikelhersteller.
Die Mädels sollen nämlich nicht nur singen und tanzen, sie sollen auch
Fußball spielen, um die Sportart in China populärer zu machen – ein Ziel
das sich Präsident Xi Jinping schon länger auf die Fahne geschrieben hat.
Bisher beschränkten sich die fußballerischen Ambitionen von FFC-Acrush aber
auf das Posieren mit Ball bei Fototerminen.
10 Aug 2017
## AUTOREN
Maxie Römhild
## TAGS
China
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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