| # taz.de -- Christopher Street Day in Berlin: Wem gehört der CSD? | |
| > Was als Demonstration linker Schwulen- und später Lesbengruppen begann, | |
| > hat im Verlauf vierer Jahrzehnte viele und vieles integriert. Aber wer | |
| > darf mitlaufen? | |
| Bild: Es ist CSD-Zeit, wie man überall in der Stadt an den vielen Regenbogenfa… | |
| Am heutigen Samstag (dem 22. Juli 2017) ist eine Menge los im queeren | |
| Berlin. Vom Kurfürstendamm bis zum Brandenburger Tor wälzt sich der | |
| Lindwurm des CSD Berlin, vorne mit Fußgruppen und politischen Forderungen, | |
| hinten mit Partywagen und Tamtam. | |
| Gleichzeitig läuft ein Queer Liberation March durch den Nollendorfkiez, | |
| dessen Veranstalter gegen einen CSD protestieren, der nichts sei, als ein | |
| „Zurschaustellen des Pinkwashings von Unternehmen und staatlichen | |
| Organisationen zur Mehrung ihrer Profite und ihrer Macht“. Und wenn queeren | |
| Menschen der eine Aufzug zu kommerziell und der andere zu aggressiv ist, | |
| dann können sie in einem sicheren queer space in der Hasenheide picknicken. | |
| Vielfalt vom Feinsten also, würden die Unbedarften sagen, doch in Wahrheit | |
| verbirgt sich dahinter ein seit Jahrzehnten erbittert geführter Kampf: Wem | |
| gehört der CSD? | |
| Was in Berlin 1979 als Demonstration linker Schwulen- und Lesbengruppen | |
| begann, hat im Verlauf der Jahrzehnte viele integriert: Sportvereine und | |
| Chöre, die Aidshilfen, Parteien – zunächst die Grünen, dann all die anderen | |
| bis hin zur CDU – und seit den Neunzigern auch Unternehmen von Lufthansa | |
| bis Ebay. | |
| ## Wundersame Besitzansprüche vonseiten der AfD | |
| Und von Anfang an tobt der Streit, wer zu Recht mitläuft, wer auf dem | |
| Rücken der homo- und trans*politischen Sache sein Süppchen kocht, wer seine | |
| schmutzige Homowäsche reinwäscht und wem das Mitmarschieren verboten werden | |
| sollte. | |
| Es ist schon wundersam, wer so alles an diesen CSD Besitzansprüche stellt. | |
| Als im Februar 2017 das neue Motto bekannt gegeben wurde („Mehr von uns – | |
| jede Stimme gegen Rechts!“), erhob sich der offen schwul lebende | |
| Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, | |
| Frank-Christian Hansel. Ohne Not würden die CSD-Offiziellen mit ihrem | |
| diesjährigen Slogan gegen rechts zahlreiche Homosexuelle, Bisexuelle und | |
| Transgender ausgrenzen. Schließlich stünden viele dieser Menschen zu | |
| bürgerlichen und konservativen Werten. | |
| Uff – die jetzt also auch noch? Tatjana Meyer vom Vorstand des CSD e. V. | |
| schüttelt den Kopf. Sie ist sich sicher, dass es Grenzen braucht, „und die | |
| ziehen wir da, wo wir sehen, dass sich jemand gegen so viele Forderungen, | |
| für die wir auf die Straße gehen, positioniert“. | |
| Doch der bekannte Berliner Aidsaktivist Heiko Großer bezweifelt, dass dies | |
| nur für homosexuelle AfDler gilt. „Nach dem ganzen Theater um die Ehe für | |
| alle“, sagt er, „und der Tatsache, dass die CDU bei der Entschädigung der | |
| Opfer des Paragrafen 175 uns erneut über ein willkürliches Schutzalter | |
| diskriminiert, wäre es auch an den Lesben und Schwulen aus der Union zu | |
| sagen: Für diese Partei gehen wir nicht mehr auf den CSD.“ | |
| ## „Mit Martin Schulz in eine glitzernde Zukunft!“ | |
| Beim Veranstalter, dem CSD e. V., kennt man diese Bedenken und hat sich vor | |
| Jahren auf eine Regel geeinigt: Es sind nie Parteien oder Unternehmen | |
| selbst, die mitfahren, sondern „immer diejenigen, die sich innerhalb ihrer | |
| Kreise dafür einsetzen, dass unsere Rechte vertreten werden“. Klingt erst | |
| mal einleuchtend, aber auch da steckt der Teufel im Detail. Setzen sich die | |
| tatsächlich existenten „Homosexuellen in der AfD“ innerhalb ihrer Partei | |
| nicht auch ein? „Vielleicht ist das aus ihrer Sicht so“, sagt Meyer, „aber | |
| das wage ich zu bezweifeln.“ | |
| Aus Großers Sicht werfen nicht nur die homosexuellen AfDler | |
| Legitimitätsfragen auf. Zwar gesteht er einer Gruppe wie SPDqueer zu, dass | |
| sie „Leidtragende waren, die von ihrer eigenen Partei auch 30-mal | |
| verschaukelt wurden“. Der Knackpunkt ist für ihn aber: „Wie treten sie auf? | |
| Und wenn sie mit der Person Martin Schulz kommen, dann ist es die falsche | |
| Veranstaltung, genauso wie die LSU, wenn sie mit dem Personenkult um Merkel | |
| kommen. Was anderes wäre es, wenn sie ihre nächsten Forderungen | |
| präsentieren und sagen, wir kämpfen in der SPD für diese Themen.“ | |
| Doch Großer befürchtet, dass es so nicht kommen wird: „Gerüchteweise hieß | |
| es, das Motto des SPD-Wagens laute ‚Mit Martin Schulz in eine glitzernde | |
| Zukunft!‘ – und dann kannst du nur noch Farbbeutel schmeißen, anders geht�… | |
| nicht.“ | |
| Immerhin blieb dem CSD die Anmeldung eines AfD-Wagens erspart. Doch wenn | |
| die mal käme, wäre es gar nicht so einfach, den Wagen auszuschließen. | |
| Juristisch ist die Sache recht eindeutig. Der CSD ist eine Demonstration, | |
| und da gelten Artikel 8 des Grundgesetzes und das Versammlungsgesetz, | |
| wonach alle das Recht haben, an einer öffentlichen Versammlung | |
| teilzunehmen. Unter freiem Himmel haben Veranstalter kein Hausrecht. | |
| ## Und was ist mit Unternehmen? | |
| Wem der CSD gehört, ist aber nicht nur eine juristische Frage. Der CSD e. | |
| V. hat als sein Entscheidungsgremium ein offenes CSD-Forum, doch Heiko | |
| Großer beklagt, „dass vermehrtes Interesse an den Treffen immer nur dann | |
| aufkommt, wenn der CSD wie 2014 in schweres Fahrwasser gerät, weil es um | |
| einen umstrittenen Geschäftsführer geht. Kaum läuft es rund, lässt das | |
| Interesse nach.“ | |
| Mehr noch als die Präsenz von Parteien, wirft die von Unternehmen Fragen | |
| auf. Natürlich sind es auch da die Diversitygruppen und nicht die Firmen | |
| selbst, die am CSD teilnehmen. Vor etlichen Jahren wurde außerdem eine | |
| Werbebeschränkung eingeführt. Nicht mehr als 30 Prozent Bannerfläche darf | |
| dafür genutzt werden, der Rest ist für Mottos, Forderungen und | |
| Positionierungen zum Thema reserviert. | |
| „Dadurch hat sich schon viel geändert“, sagt CSD-Vorstandsfrau Tatjana | |
| Meyer und findet, „dass auf der Demo jeder Mensch mit seinen verschiedenen | |
| Identitäten präsent sein darf. Und dazu gehört auch, dass eine | |
| Mitarbeiterin von Ebay stolz darauf ist, dass sich ihr Arbeitgeber für | |
| LSBTTIQ-Rechte einsetzt.“ | |
| Großer hingegen findet, es brauche eine schärfere Trennung zwischen dem, | |
| was Werbung für Unternehmen, und dem, was Sichtbarkeit ihrer | |
| Diversitygruppen ist. Noch lieber wäre es ihm aber, „wenn die Firmen denen | |
| sagen würden, wir bezahlen euch den Wagen und verzichten auf unsere | |
| Werbung, denn euer Engagement ist unsere Werbung“. | |
| ## Neue Farben, neue Flagge, neue Diskussionen | |
| Je größer die Community wird, umso mehr spiegeln sich die inneren | |
| Widersprüche der Gesellschaft auch in der CSD-Parade wider. Aidsaktivist | |
| Heiko Großer gibt ein Beispiel: „Die Polizei erfasst unter dem Kürzel | |
| ‚Anst‘ wie ‚ansteckend‘ ihr bekannte HIV-Positive. Natürlich habe ich … | |
| Probleme damit, wenn ich als HIV-Positiver mit einem Schild dagegen laufe | |
| und drei Wagen weiter die Polizei läuft.“ | |
| Ein anderes Beispiel ist der Kampf von People of Color gegen den Rassismus | |
| innerhalb der LSBTTIQ-Community. In den USA und Kanada haben Aktivist*innen | |
| von Black Lives Matter schon mehrfach Paraden gestoppt, um gegen den | |
| Rassismus innerhalb der queeren Szene und die Präsenz der Polizei in den | |
| Paraden zu demonstrieren. | |
| Die Präsentation einer Pride-Flag in Philadelphia, die mit zwei | |
| zusätzlichen Streifen in Schwarz und Braun auf das Problem aufmerksam | |
| machen wollte, führte zu wütenden Protesten meist weißer Männer, die das | |
| Ende des Regenbogens fürchteten. Die Gruppe Showing Up for Racial Justice | |
| wird dieses Jahr mit ebendieser Fahne die Debatte nach Berlin tragen. | |
| Queeren intersektionalen Gruppen ist das noch viel zu wenig. Für sie sind | |
| die verschiedenen Formen der Unterdrückung unweigerlich miteinander | |
| verknüpft. Wenn ein internationaler Konzern in Lateinamerika sämtliche | |
| Wasserrechte aufkauft, dann richte sich das automatisch auch gegen queere | |
| People of Color, und somit habe ein solcher Konzern auf keinem CSD etwas | |
| verloren, Diversitygruppe hin oder her. | |
| ## Wäre so etwas auch in Berlin vorstellbar? | |
| Vielleicht ist die Zeit ja wirklich vorbei, in der die LSBTTIQ-Community | |
| sich darüber freuen musste, wenn überhaupt irgendwelche Unternehmen, | |
| Parteien und Institutionen bereit waren, zu ihr zu kommen. Das zeigt ein | |
| Blick in Berlins Partnerstadt Los Angeles. Dort war es vor allem die Wahl | |
| Donald Trumps zum US-Präsidenten, die ein Umdenken in Gang gesetzt hat. | |
| In der Folge wagte der L. A. Pride einen kompletten Neustart: keine großen | |
| Paradewagen mehr, keine Firmenlogos, keine elektronischen Beats. | |
| Stattdessen ein Protestmarsch Zehntausender mit Dykes on Bykes, selbst | |
| gemalten Schildern, Trommelgruppen, skandierten Forderungen und Gesängen. | |
| Aus dem Pride von gestern wurde der Resist March von heute – nicht ohne | |
| Widerstände. | |
| Geschäftsinhaber*innen an der Wegstrecke fürchteten um ihre Umsätze. Aber | |
| viele Teilnehmende berichteten von dem beschwingten Gefühl, dass diese | |
| Demonstration wieder denen gehöre, die mitmarschierten, und nicht jenen, | |
| die ihn finanzierten. | |
| Wäre so etwas auch in Berlin vorstellbar? Hier fand 2014 ein Schnitt statt, | |
| als Parteien und andere Organisationen wie die Aidshilfen sich vom CSD e. | |
| V. und damit von den Unternehmen und Partyveranstaltern trennten. Danach | |
| gab es einen Personalwechsel im Verein. | |
| ## Die Verhältnisse haben sich umgekehrt | |
| Aidsaktivist Heiko Großer findet erst mal gut, was nach dem Schock | |
| entstanden ist, nämlich der politische Block der Fußgruppen, die vorne | |
| marschieren, bevor dahinter die Partywagen dröhnen. Dennoch ist ihm die | |
| massive Präsenz von Politiker*innen auf dem CSD ein Dorn im Auge: „Letztes | |
| Jahr standen bei der Eröffnung der amerikanische Botschafter und die | |
| deutsche Politik am Band, rundherum die Security, und die Community kam | |
| nicht mehr ran. Das war die perverseste Nummer, die ich bisher erlebt | |
| habe.“ | |
| Tatsächlich lässt sich feststellen, dass die Verhältnisse sich umgekehrt | |
| haben. Heute profitiert Berlin vom CSD weit mehr als der CSD von der | |
| Berliner Politik. „Wir sollten uns doch mittlerweile so weit emanzipiert | |
| haben, dass wir auch ohne Politiker in der ersten Reihe eine Demonstration | |
| machen können, die von den Medien wahrgenommen wird“, sagt Großer. „Schön | |
| wäre es, wenn sie in der zweiten Reihe laufen und sich einreihen.“ | |
| Wie also soll er werden, der CSD, der allen gehört? Tatjana Meyer sagt: | |
| „Ich wünsche mir, dass der CSD noch politischer und inklusiver wird. Viele | |
| machen seit Langem wieder oder sogar erstmalig mit, seit wir die ruhigeren | |
| Fußgruppen nach vorne gezogen und ihnen mehr Raum gegeben haben. Der | |
| Glitzer und das Bunte ist wie Fastfood, Botschaften auf Schildern brauchen | |
| mehr Zeit, um sie zu verdauen.“ | |
| Heiko Großer aber denkt, dass es einen CSD für alle nicht geben kann: „Die | |
| alltäglichen Diskriminierungen müssen wir im Alltag bekämpfen, da würde mir | |
| eine neue Graswurzelbewegung gut gefallen.“ | |
| Der Text ist Teil eines Schwerpunktes zum CSD in der Printausgabe der | |
| taz.Berlin am Wochenende 22./23. Juli 2017. | |
| 22 Jul 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Dirk Ludigs | |
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