# taz.de -- Debatte CSD und „Ehe für alle“: Die schiere Existenz hilft | |
> Die „Ehe für alle“ ist beschlossen – braucht es dann noch den Christop… | |
> Street Day? Natürlich! Und noch viel mehr davon. | |
Bild: Mehr Einhörner! Christopher-Street-Day-Parade in Köln am Sonntag | |
Dass selbst Bayern nicht im Bundesrat vorigen Freitag zumindest symbolisch | |
aus Protest gegen das Gesetz zur „Ehe für alle“ den Vermittlungsausschuss | |
anrief, war nur ein Zeichen der Ergebenheit der Traditionsehemoralisten vor | |
den libertären Stimmungen in der Gesellschaft. Bis in rechtspopulistische | |
Kreise hinein waren die Befürworter*innen der Integration von | |
Gleichgeschlechtlichen in das klassisch heteronormative Eherecht in der | |
Mehrheit. | |
Aber braucht es dann noch queere Volxparaden wie den Christopher Street | |
Day, jüngst in Köln und in zwölf Tagen in Berlin? Ist es denn wirklich | |
nötig, diese Umzüge schwuler und lesbischer Performance im Massenmaßstab | |
abzuhalten? Ist es nicht langsam mal gut, diese Catwalks der Schrillen und | |
Grellen zu zelebrieren? Muss es denn sein, dass mit lärmender Musik und | |
überbunten Kostümen etwas gezeigt wird, was, bitte schön, Privatsache zu | |
sein hat – das Sexuelle? Andere, aus eher queerlinker Sicht, sagen, CSDs | |
seien doch Kommerzgeschichten, angeberische Körpershows, die alle | |
ausschlössen, die nicht so hartgesotten frohgesinnt sind? | |
Jene, die dies – im Internet, in Gesprächen – sagen, standen schon beim | |
Kampf für die Bürgerrechte von Nichtheterosexuellen auf einer Seite. Hier | |
die Konservativen der alten Sorte, denen alles Reden über Schmuddeldinge | |
peinlich ist, dort die Queerlinken, die kein Interesse an rechtlichen | |
Geländegewinnen haben und keinen Sinn für den Kampf um gleiche bürgerliche | |
Teilhabe aufzubringen vermochten. Die Gegner der „Ehe für alle“ kamen | |
insofern aus zwei Milieus – dem ultrakonservativen wie dem queeristischen, | |
und beide Seiten erkennen im Homosexuellen eine Wesenheit, die sie vom | |
heterosexuellen Rest fundamental unterscheidet. Und das war der wichtigste | |
Denkfehler beider Seiten: Schwules und Lesbisches insgesamt für eine ganz | |
und gar andere, hie bessere, da defizitäre Form der menschlichen Sexualität | |
zu halten. | |
Die „Ehe für alle“ ist insofern der bedeutendste Schritt zur nicht nur | |
förmlichen Gleichberechtigung mit den heterosexuellen „Privilegien“ auch im | |
Personenstandsrecht: Die Entbiologisierung der Ehe ist faktisch in | |
Deutschland vollzogen. In zwei Generationen, nach Jahren der Gewöhnung, | |
wird man dann auf die Frage von irgendeine*m, er (oder sie) wolle heiraten, | |
fragen: Mann oder Frau? Der Bundestagsbeschluss zur „Ehe für alle“ hat, mit | |
anderen Worten, Lesben und Schwulen ein wichtiges Stück zum aufrechteren | |
Gang ermöglicht und darüber das heteronormative Monopol auf bürgerliche | |
Teilhabe zerstört. | |
## Um weiter öffentlich zu bleiben | |
Dass in diesem Gesetz auch ein ergreifend emotional stimmendes Dementi | |
liegt, eine Entschuldigung auch für Tyrannei und Entwertung – vom bis 1994 | |
geltenden § 175 zu schweigen –, liegt auf der Hand. Aber braucht es dann | |
wirklich noch diese karnevalesken Paraden, diese, wie Übelmeinende sagen, | |
Saufgelage mit heftigem Besinnungslosigkeitsanteil? Wäre es nicht | |
politischer, überhaupt die Ehe abzuschaffen, das Ehegattensplitting, dafür | |
Vier-Menschen-Ehen einzuführen oder gleich polyamouröse Bindungsformen zu | |
stärken, wenigstens moralisch zu feiern? | |
Wer so redet, lenkt ab. Will nicht über die zivilisatorische Errungenschaft | |
der „Ehe für alle“ sprechen. Davon abgesehen, dass polyamouröse | |
Lebensformen schon vor Jahrzehnten gelebt (und meist als lebensunpraktisch | |
verworfen wurden), ohne dass dies ein Gesetz benötigt hätte, birgt der | |
Fingerzeig auf die Unzulänglichkeit der Ehe überhaupt ein Moment von | |
Entwertung des Fortschritts gegen das heteronormativ-religiöse Ehemonopol: | |
Im „Ach, das ist ja viel zu wenig“ steckt Verachtung für die | |
bürgerrechtlichen Kämpfe um die Gleichstellung – und das Politische | |
schlechthin. | |
CSDs aber hat es auch deshalb weiter nötig, um nach der „Ehe für alle“ au… | |
öffentlich zu bleiben, um nicht nur im individuellen Maßstab Missstände im | |
queeren Bereich anzuprangern. Dass es nach wie vor schwierig bis unmöglich | |
ist, im Schulunterricht einen Sexualkundeunterricht zu etablieren, der | |
Homo- und Transsexuelles nicht als Freaks schildert; dass es für | |
homosexuelle und Trans*-Flüchtlinge in Deutschland schwer ist, Asyl zu | |
erhalten, weil sie doch in ihren Heimatländern womöglich diskreter mit | |
ihrer sexual otherness umgehen könnten; dass es überhaupt angesichts der | |
alltäglichen Übermacht der heteronormativen Gewöhnlichkeit gut ist, sich im | |
Sinne eines „Wir sind auch da!“ zu zeigen. | |
## Refugien in einer heterosexuellen Welt | |
Didier Eribon, dessen nicht ins Deutsche übersetzte Texte zur | |
Homosexuellenfrage alle besser sind als sein bei heterosexuellen Linken so | |
beliebtes „Rückkehr aus Reims“, antwortete einmal auf die Frage, ob die | |
schwule Kneipenkultur noch wichtig sei, jedes Lokal, in dem fraglos und | |
offen schwule Männer und lesbische Frauen gehen können, in dem sie nicht | |
die Minderheit sind und sein können, wie sie zu sein beanspruchen, sei es. | |
Zeichen des Daseins, von, wenn man so will, Refugien in einer majoritär | |
heterosexuellen Welt. | |
Insofern sind CSDs eben Volxparaden der anderen Art. Und Wünsche, sie seien | |
hinfällig und nicht mehr nötig, tun ja auch so, als ob „Stonewall“-Paraden | |
(wie die erste 1979 in Bremen tituliert wurde) Feste aller gewesen wären. | |
Solche von Lesben, Trans*- und Inter-Menschen und Schwulen, zu denen sich | |
Millionen freundlicher Heteros gesellen. In Wahrheit standen Letztere | |
allermeist am Rande und gafften. Sollen sie gern weiter. Was für diese | |
vielleicht dann erkennbar wird, ist dies: Die „Ehe für alle“ ist kein Zwang | |
für Schwule und Lesben, zu heiraten – es sind Möglichkeiten, und zwar, | |
anders als die Eingetragene Lebenspartnerschaft, auf Augenhöhe, in | |
rechtlich gleichem Rang. Sie werden erkennen, dass diese CSDs zu diesem | |
öffentlichen Druck auf die Atmosphären im Lande beigetragen haben. Und zwar | |
unabhängig davon, ob dort nun explizit politische Parolen auf Transparenten | |
getragen wurden oder nicht. | |
Die schiere Existenz, die Geste des nicht mehr Versteckten, hat geholfen, | |
das vor 40 Jahren, als die ersten bundesdeutschen CSDs geplant wurden, | |
Unwahrscheinliche zu realisieren: Schwule und Lesben sind im öffentlichen | |
Raum keine Parias mehr. Auch, weil sie es nicht mehr zulassen. | |
11 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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