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# taz.de -- Transmediale Ausstellung in Venedig: Plötzlich auf der Bühne von …
> Anna Viebrock, Thomas Demand und Alexander Kluge verwandeln die
> Fondazione Prada in ein Theater, in dem die Besucher auch selbst
> auftreten.
Bild: Installationsansicht: ein Film von Alexander Kluge, Türen von Anna Viebr…
„The Boat is Leaking. The Captain Lied“ (Das Boot ist leck. Der Kaptain hat
gelogen) – so heißt die aktuelle Ausstellung der Fondazione Prada in
Venedig. Sie gehört zu einem üppigen Reigen von sogenannten Collateral
Events anlässlich der Kunstbiennale. Doch wer sitzt im Boot, unter welcher
Flagge segelt es und wer ist überhaupt der Kapitän?
Der Titel mag Kunst über Untergangsszenarien auf Weltmeeren versprechen,
gar über Schuld und Verantwortung in einer Gegenwart allgemeiner
Unsicherheit. Und mitunter geht es in der Ausstellung auch um die
Verunsicherung des Besuchers. Denn „The Boat“ arbeitet mit drei Spielarten
von Wirklichkeitssimulation. Sie ist das Geschäft der drei Protagonisten im
Palazzo Ca’ Corner della Regina: der Bühnendesignerin und Regisseurin Anna
Viebrock (*1951), des Filmemachers und Schriftstellers Alexander Kluge
(*1932) sowie des Fotokünstlers Thomas Demand (*1964), dessen Werke eine in
Papier 1:1 nachgebaute Welt zeigen.
Was die ohnehin meist genreübergreifend arbeitenden Künstler nun in dem
Barockpalast in Szene gesetzt haben, ist ein vielstimmiger, zugleich
stimmiger wie hintersinnig theatralischer Parcours. In dem dann der eine
oder die andere BesucherIn seinen beziehungsweise ihren durchaus
ungewollten Auftritt haben. So öffnen sie etliche Türen, die ins Nichts
führen, bewegen sich durch die mit den diversen Bühnenarchitekturen und
Rigipswänden verbauten Räume, blicken unterwegs vielleicht hilfesuchend
hinauf zu den Barockdekors der Palastmauern, auf der Suche nach
Orientierung auf den drei Etagen.
Nach den groß projizierten Szenen mit Alexander Kluges
Lieblingsschauspielerin Hannelore Hoger im Parterre stehen die Besucher
eine Etage höher plötzlich in einem Museumsraum, den sie – nach ihrem Weg
entlang launiger Filmbilder und seltsam provisorisch wirkender
Architekturen – vielleicht für einen noch unbespielten Palastbereich halten
mögen. Die dort hängenden dunklen Gemälde des Italieners Angelo Morbelli
(1893–1919) zeigen im sozialrealistischen Stil etwa Pensionäre in
Bankreihen eines kargen Saals: „Giorni ultimi“ (Letzte Tage, 1883). Thomas
Demand hat die von Morbelli nach Fotografien gemalten Porträts als Anregung
in die gemeinsame, jahrelang vorbereitete Ausstellung eingebracht. Die
alten Seeleuten gleichenden Männer passen auch bestens zum maritimen
Ausstellungstitel – einem Zitat aus Leonard Cohens düsteren Song „Everybody
Knows“.
## Helge Schneider, Berater von Glaubenskriegern
In einer besonders gelungenen Synergieleistung des Künstlertrios betreten
die Besucher dann ungewollt die Bühne aus Christoph Marthalers Inszenierung
von Alban Bergs „Lulu“, die Anna Viebrock nach Venedig verpflanzte. Von
dieser Bühne geht der Blick dann in einen Zuschauerraum sowie auf das den
Besuchern zugewandte Röhrenfernsehgerät. Dort gibt es Auszüge aus Alexander
Kluges Filmen zu sehen: unter anderem das extrem komische Gespräch mit dem
entsprechend verkleideten Helge Schneider über Schwierigkeiten der
Grenzkontrolle als Berater von Glaubenskriegern (2014). Unten im
Zuschauerraum steht auf einem Klavier Thomas Demands überraschend
kleinformatige Fotoarbeit „Presidency“ (2010) in einem bescheidenen
Wechselrahmen. Sie zeigt das vom Münchener Künstler nachgebaute Oval Office
in Washington.
In den assoziativ aufeinander folgenden Räumen werden Themen wie Krieg,
Überwachung oder Ausbeutung, aber auch Neue Musik und Tanz verhandelt. Nach
Inszenierungen aus ganz Europa hat Anna Viebrock die Raumarchitekturen in
Venedig nachbauen lassen – bis auf „Tessa Bromstedt gibt nicht auf“ von
2014 im zweiten Stock des Palastes, wo die Viebrock’sche Bühnenbaukunst im
Original steht. An einigen Orten beziehen sich die Architekturen gar auf
die Filme oder die Biografie Alexander Kluges: Der Gerichtssaal wurde etwa
nach einer Szene von „Yesterday Girl“ (1965/66) gestaltet, im Foyer davor
steht ein Nachbau der Schaufenster des ehemaligen Kaufhauses in Kluges
Geburtsort Halberstadt.
Kurator der Ausstellung ist Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie
Berlin. Er hat schon einmal in Venedig künstlerische Einbauten in
bestehender Architektur verantwortet, als Kommissär des Deutschen Pavillons
auf der 49. Biennale von Venedig: Da machte Gregor Schneider mit das „Tote
Haus u r“ Furore. Und noch eine Ausstellung ging den Illusionsräumen von
„The Boat is Leaking. The Captain Lied“ voraus. Vor zwei Jahren war Thomas
Demand Kokurator, als im viel beachteten Beiprogramm der Fondazione Prada
zur Biennale mit höchst aufwändigen Einbauten die legendäre Berner
Ausstellung „When Attitudes Become Form“ (1969) von Harald Szeemann
rekonstruiert wurde. Man darf gespannt sein, was in zwei Jahren ist. Es
könnte sich eine maßstabbildende Ausstellungsserie herausbilden.
3 Aug 2017
## AUTOREN
Uta M. Reindl
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