# taz.de -- Ausstellung in Berlin-Kreuzberg: Der Nomadenbürger | |
> In „Born in the Purple“ reimaginiert Viron Erol Vert private Momente | |
> seiner Vergangenheit. Seine Besucher*innen müssen am Begriff der | |
> „kulturelle Identität“ arbeiten. | |
Bild: Ausstellungsansicht von „Born in the Purple“ | |
Eine lebenslustige ältere Dame in einer Runde aufgekratzter Herren. Vor der | |
Abendgesellschaft biegt eine Bauchtänzerin den Kopf fast bis auf den Boden. | |
Was auf den ersten Blick wie ein typisches Bild aus der Türkei der | |
siebziger Jahre wirkt, ist eigentlich ein Symbol für deren verleugnete | |
Interkulturalität. Denn die fröhliche Seniorin ist griechisch-italienischer | |
Abstammung. | |
Die Wohnung seiner Großmutter Mafalda in Istanbul hat der Künstler Viron | |
Erol Vert zum Ausgangspunkt einer „Sentimental Journey“ gemacht, die an | |
Marcel Proust erinnert. Einrichtungsgegenstände oder andere Überbleibsel | |
aus dem Sebat Apartmanı im multikulturellen Stadtteil Osmanbey nimmt der | |
1975 in Deutschland geborene Künstler, um die Frage nach der Geschichte | |
seiner Familie und nach Herrschaftsverhältnissen allgemein zu stellen. | |
„Born in the Purple“ heißt seine Ausstellung. | |
## „Jeder Mensch ist wie eine große Schachtel“ | |
In dem Parcours aus zwölf Stationen benutzt Vert mal reale Objekte wie | |
einen patinierten Flaschenständer, alte Postkarten oder Fotografien. Mal | |
baut er Gegenstände nach. Enos anthropos ine ena klisto kouti – den | |
pessimistischen Satz „Jeder Mensch ist wie eine geschlossene Schachtel“, | |
den die Oma dem kleinen Viron oft zuflüsterte, hat er als Skulptur aus | |
Holz- und Metallboxen Gestalt werden lassen. | |
Seine Arrangements reimaginieren private Momente. Manche Exponate erinnern | |
aber auch an ein kollektives Schicksal. Das faksimilierte Dokument zur | |
Vermögensteuer von Verts Onkel aus dem Jahr 1945 erinnert daran, wie die | |
türkische Regierung zu Beginn der vierziger Jahre mit der „Varlık Vergisi�… | |
einer „Vermögensteuer“, die nichtmuslimischen Minderheiten aus dem Lande | |
drängte. | |
## Das egalitäre Gegenteil der „Purpurgeburt“ | |
So sehr Vert auf das inszenierte, rekonstruierte Artefakt setzt – „Born in | |
the Purple“ ist keine klassische Ausstellung. Sein Talent, neue Räume zu | |
öffnen, hatte der Künstler schon im Frühjahr mit seinem „Dreamatory“, ei… | |
Schlaflabor und Trauminstitut in der Galerie Wedding, bewiesen. Dort | |
konnten Besucher in realen Betten ihre Träume notieren und mit Experten | |
darüber diskutieren. | |
Als metaphorische Klammer für sein jüngstes Projekt dient ihm der Begriff | |
der „Purpurgeburt“. Hinter dem Ehrentitel verbirgt sich das Thronfolgerecht | |
desjenigen, der im Reich von Byzanz in einem mit purpurfarbenem Stein | |
getäfelten Raum des alten Kaiserpalasts am Bosporus zur Welt kam. Im | |
Kunstraum Kreuzberg verkehrt er das aristokratische Konzept in sein | |
egalitäres Gegenteil. | |
## Space demokratischer Selbstermächtigung | |
Der von Vert konzipierte „Porphyra Club“, majestätisch erleuchtet von zwei | |
Kronleuchtern aus der Wohnung seiner Großmutter, wird im Verlauf der | |
Ausstellung zu einem Punkt, an dem bei „Purple Sounds“ und „Purple Food“ | |
alle Fragen von der byzantinischen Geschichte bis zum Bleiberecht in | |
Berliner Kiezen durchdiskutiert werden. Aus einer Kammer mit eingebautem | |
Führungsanspruch wird so ein Space demokratischer Selbstermächtigung. | |
Dass Vert Modedesign an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft | |
studierte und sich an der Kunsthochschule Weißensee für „experimentelle | |
Oberflächen“ interessierte, beweist die Liebe zum Faltenwurf und am | |
Lichtdesign der Schau. Das royale Purpur changiert bei ihm ins | |
LGBT-Violett, konterkariert durch sein Komplementär Mintgrün – Signalfarbe | |
für Vernunft und Aufklärung. | |
## Idee von homogene Identität wird surreal | |
Für Vert hat der Kunstraum nicht ohne Grund sein Prinzip von | |
Gruppenausstellungen zugunsten einer Soloshow aufgegeben. Mit seiner Arbeit | |
an der „kulturellen Identität“ ist der deutsch-griechisch-türkische | |
Nomadenbürger zu einem der interessantesten Berliner Künstler mit einem | |
vielgestaltigen Oeuvre avanciert. | |
Im Lichte des interkulturellen Gespinstes aus Biografien, Redensarten und | |
kleinen Fetischen, das er diesmal inszeniert hat, muss die Idee einer | |
homogenen nationalen Identität, an die die Besucher zu Beginn der | |
Ausstellung erinnert werden, besonders surreal wirken. | |
## Blumenkränze in Glaskästen | |
Wie bei einer Beerdigung oder Hochzeit sind in einem Glaskasten | |
Blumenkränze aufgebahrt, auf denen in bunten Rosetten das Motto „Ne Mutlu | |
Türküm Diyene – Glücklich ist, wer sich Türke nennt“ prangt. Das berüh… | |
Motto prägte einst Staatsgründer Atatürk zum 10. Jahrestag der Republik | |
1933. | |
Selbst die islamische AKP-Regierung instrumentalisiert das Gebot ihres | |
ungeliebten Vorgängers weiter für ihre autoritäre Neuformierung. Mag es | |
auch nicht für die reale Türkei gelten, bleibt es dennoch symbolisch, was | |
sich damit im Kunstraum vollzieht. Wenn die Schau vorbei ist, werden die | |
Blumengebinde verwelkt sein. | |
„Born in the Purple – Viron Erol Vert“. Noch bis 27. August 2017 im | |
[1][Kunstraum Kreuzberg] zu sehen. | |
11 Aug 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kunstraumkreuzberg.de/start.html | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
## TAGS | |
taz.gazete | |
Transmediale | |
taz.gazete | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Transmediale Ausstellung in Venedig: Plötzlich auf der Bühne von „Lulu“ | |
Anna Viebrock, Thomas Demand und Alexander Kluge verwandeln die Fondazione | |
Prada in ein Theater, in dem die Besucher auch selbst auftreten. |