| # taz.de -- Chinesische Kunst in Deutschland: Lost in Darmstadt | |
| > Die Kunsthalle Darmstadt zeigt Werke aus Chongqing. Auch wenn der Kontext | |
| > fehlt, lohnt sich der Besuch von „Zoom-In Chongqing“. | |
| Bild: Im Selfie eingefangen: „VIP Seat“ von Maokun Pang | |
| Von der White-Cube-Wand blicken überlebensgroß die gelangweilten Gesichter | |
| einer Horde VIP-Lounge-Gäste. Auch dieser Moment muss, man kennt es, im | |
| Selfie eingefangen werden und jenes wiederum, Antithese zur digitalen | |
| Bilderschwemme, vom Künstler Maokun Pang in Öl auf Leinwand. Schräg | |
| gegenüber ein neonpinkes Spiralband, das direkt vis-à-vis von verschiedenen | |
| Stadien asiatischer Landschaftsmalerei konterkariert wird: traditionell, | |
| weniger traditionell, mehr Abstraktion. | |
| Drüben hängt dann ein verballhornter Caspar David Friedrich, der | |
| Wandererblick schweift hier statt übers Nebelmeer in feinsten | |
| Raver-Galaxien-Kitsch. Schließlich ein Panda, das wackere Kerlchen klettert | |
| am tautropfenden, überdimensionierten Rosenzweig vor einem satt | |
| pastellblauen Horizont, der nichts weiter sein möchte als monochrom | |
| überkitschige Fläche. Gefangen in der eklektischen Referenzhölle! Wandtexte | |
| gibt es nicht oder noch nicht. Und um die Lost-in-Translation-Episode | |
| perfekt zu machen, fehlen die Kataloge. | |
| Will man Fragen stellen zu „Zoom-In Chongqing“, diese aktuell in der | |
| Kunsthalle Darmstadt zu sehenden Schau, ruft der Kokurator einfach schnell | |
| den Künstler per Videochat an, auf dass der direkt den nötigen Kontext zu | |
| seiner Arbeit liefern möge. Für den regulären Ausstellungsbesucher wird | |
| diese Lösung wohl leider nicht angeboten werden. | |
| Aber eigentlich war „Zoom-In Chongqing“ ohnehin bloß improvisierte | |
| Zwischenlösung. Denn es waren ein paar Wochen Leerstand zu überbrücken, und | |
| gerade hatte man Kontakte nach China geknüpft. So besuchte Direktor Léon | |
| Krempel Chongqing, die 30 Millionen Einwohner umfassende Metropolregion im | |
| Südwesten Chinas, deren Kunsthochschule Sichuan Fine Arts Institute als | |
| eine der renommiertesten und zudem freigeistigsten des Landes gilt. | |
| Zusammen mit Professoren und Kokuratoren wurden rund 100 Arbeiten für den | |
| Transport nach Darmstadt ausgewählt, wo sie jetzt eine Art | |
| Akademie-Rundgang simulieren. Der ist allerdings eher ein Best-of: Neben | |
| Studierenden sind auch deren Professoren und Ehemalige vertreten, statt | |
| eines einzelnen Jahrgangs werden Werke von 1995 bis 2017 präsentiert. So | |
| kann man im Land ikonisch gewordene Arbeiten wie das skurrile Bauernpaar | |
| von Zhongli Luo als chinesische Bad-Painting-Variation entdecken. | |
| Außerdem, nur eine Auswahl: Fröhliche Bauern mit meterdicken Kartoffeln, | |
| beeindruckende Blütenteppiche, eine verwackelte Halsverlängerung, | |
| Wetterphänomene am Himmel, fotorealistische Motive von kühler Eleganz, | |
| grafische Farbflächen. Ästhetisch vertraut die Bildsprache der fünf | |
| ausgestellten Videoarbeiten: Poetische Dokumentaraufnahmen vom | |
| gesichtslosen Fischer im Eismeer sind dabei, eine Bild-Ton-Schere | |
| marschierender Garden zu während der Kulturrevolution verbotenem Liedgut, | |
| und auch Hui Taos lakonischer Monolog einer Kopftuch tragenden Frau, | |
| gespielt von ihm selbst, die ihren Körper biologistisch-detailliert | |
| erörtert. | |
| Fehlen Anekdoten wie diese, bleibt vieles im luftleeren Raum. Das ist, auch | |
| wenn man das kontextfreie Kunsterlebnis grundsätzlich begrüßen mag, schade. | |
| Denn es gäbe gleich mehrere Dimensionen, die eine Schau wie diese eröffnen | |
| könnte. | |
| Welche Rolle spielen Markt, Politik und Kunstdiskurs an der Akademie? | |
| Welche Begriffe von Handwerk und Kunst, Kitsch und Ironie legt man an? | |
| Interessant wäre auch ein Hinweis auf prägende Theorien oder Strömungen wie | |
| die radikal-konzeptuellen Ansätze der Pekinger Künstlergruppe „New | |
| Measurement“, die Ende der 80er Jahre die künstlerische Freiheit des | |
| Ausdrucks eben auch als Freiheit von jeglicher konkret-politischen | |
| Verortung verstanden wissen wollte. | |
| Trotzdem lohnt der Besuch: Die Schau bietet einen Einblick in eine extrem | |
| heterogenen Spielart zeitgenössischer chinesischer Kunst, die sich seit | |
| nur wenigen Jahrzehnten auf der rasanten Suche nach einer | |
| Post-Kulturrevolutions-Moderne mit eigenen Mitteln befindet und dabei in | |
| etliche Einzelpositionen zersplittert. Es gibt Verbindendes wie die | |
| relative Treue zum Medium, die von handwerklicher Perfektion getragene | |
| Respektlosigkeit gegenüber Motiven und Techniken jeglicher Provenienz. | |
| Die nächste Nähe ist dem Ausstellungstitel gemäß Programm, mittenrein und | |
| dann frei Schnauze durch einen Kessel Buntes waten. Ein Vergnügen und eine | |
| Abwechslung zur bisweilen manchmal lähmenden Langeweile des ein oder | |
| anderen Hochschulrundgangs – zwischendurch ein paar Schritte Abstand vom | |
| Close-up hätten allerdings gutgetan. | |
| 12 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina J. Cichosch | |
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