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# taz.de -- Besuch auf der Art Basel in Hongkong: Von radioaktiven Sonnenunterg…
> Samson Youngs Soundscapes, wenig aussagekräftige Zahlen zum Kunstmarkt
> und radioaktives Material vom Bikini-Atoll: die Art Basel Hongkong.
Bild: Besucherin der Art Basel in Hongkong hinter Mark Handforth' „Twisted Re…
Inzwischen ist man so an sie gewöhnt, dass man unwillkürlich sucht, wenn
man sie nicht findet, wie jetzt auf der Art Basel Hongkong: die
Videokabinen in den Verkaufskojen der Galerien. Anstelle von dicht
gedrängter Rempelei offeriert die Messe einen bequemen Kinosaal mit einem
eigens von Li Zhenhua kuratierten Filmprogramm. Unterstützt vom Pekinger
Galeristen Walling Boers erinnert Li an den 2016 verstorbenen
Performancekünstler und Spezialisten für Tuschzeichnungen Chen Shaoxing.
Dessen berühmte Animationsfilme „Ink History“ (2008–2010), „Ink Media�…
(2011–2013) und „Ink Diary“ (2006) fassen in drei Minuten lakonisch Priva…
und Weltgeschichte zusammen, sei es das chinesische 20. Jahrhundert in all
seinen Schrecken und Errungenschaften oder die weltweiten Proteste von
Occupy Wall Street, dem Arabischen Frühling bis zum Gezipark in Istanbul.
Chen Shaoxing ist in der Sammlung des MoMA genauso vertreten wie der des M+
Museums in Hongkong.
Dessen Baustelle war eine Stunde zuvor noch Schauplatz einer
Pressekonferenz gewesen, auf der die Planung des West Kowloon Cultural
District (WKCD) vorgestellt wurde, ein 40 Hektar umfassender
Kulturdistrikt. Direkt am Wasser im Bereich des ehemaligen Victoria Harbour
gelegen, wird es dort neben dem (wieder einmal) vom Schweizer
Architekturbüro Herzog/de Meuron entworfenen Museum für Kunst, Design und
Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts, eine ganze Reihe von Theatern und
Konzerthallen geben.
Dazu kommen Probenräume und -bühnen für seine Tanzszene, für die Hongkong
berühmt ist. Eine Baumschule fungiert schon jetzt als Park mit
Freiluftbühnen und dem M+ Pavillon, in dem Suhanya Raffel, die neue
Direktorin des M+ erste kleine Ausstellungen organisieren kann. Gemeinsam
mit dem Hongkong Arts Development Council (HKADC) koordiniert das Museum
auch den Beitrag Hongkongs auf der 57. Biennale von Venedig, die im Mai
eröffnet.
## Installation des Charity-Pop
Samson Young, der den Stadtstaat vertritt, wurde 1979 in Hongkong geboren.
Ausgehend von Musik und Sound arbeitet der in Princeton promovierte
Musikwissenschaftler mit Video, Installation, Zeichnung und Collage. In
Venedig basiert seine Installation auf den Charity-Pop-Singles der 1980er
und 1990er Jahre, man erinnere sich an die Band Aid oder die Live Aid
Konzerte. Samson Young ist auch Künstler der documenta 14, bei der er unter
dem Titel „For Whom the Bell Tolls: A Journey into the Sonic History of
Conflict“ eine Soundkomposition vorstellt.
Der Track setzt sich aus Glockentönen zusammen, die Young als Gewinner der
BMW Art Journey 2015 weltweit an Orten kriegerischer Auseinandersetzung
gesammelt hat, darunter befindet sich auch eine im Zweiten Weltkrieg von
der Wehrmacht beschlagnahmte Glocke aus Polen, oder die vom Sohn des
Sultans von Marokko 1333 entführte Glocke von Gibraltar, die in der
Kairaouine Moschee in Fez zum Verstummen gebracht wurde.
Samson Youngs Soundreise läuft im erstmals für die documenta entwickelten
Radioprogramm. Die kulturellen Großereignisse dieses Jahres werfen ihre
Schatten voraus, auch auf die Art Basel. Gleich zwei Galerien, nämlich
Isabella Bortolozzi und Buchholz, beide in Berlin ansässig, präsentierten
Anne Imhoff, die Künstlerin des Deutschen Pavillons auf der Biennale in
Venedig.
Die Performancekünstlerin zeigte in Hongkong Objekte, bei Buchholz schwarz
in schwarz ein aufgeständerter Baseballschläger vor einem schwarzen
Monochrom, das an einer Stelle weiß zersplittert. Ein ähnliches Monochrom
kostete bei Bortolozzi 48.000 Euro und lag damit in der Preisspanne der
erfolgversprechendsten Verkäufe von 50.000 bis 500.000 Euro.
Das ergab die Marktuntersuchung, die Clare McAndrews erstmals für die Art
Basel erstellt hat. Neben den rund 30 bekannten asiatischen Großsammlern
beobachten Galeristen, wie etwa der in Shanghai operierende Leo Xu, eine
gut verdienende Angestelltenschicht in China, die lieber Kunst als
Luxusgüter kauft. Die Fokussierung auf das oberste Ende des Marktes und die
Annahme, alles unter einer Million sei uninteressant, sagt McAndrew, die
zuvor für die tafaf in Maastricht den Markt analysierte, berge die Gefahr,
eine neue wohlhabende Mittelschicht als Käufer zu übersehen.
## Der Kunstmarkt schrumpft
Ihrer, von der Schweizer UBS Bank, dem Hauptsponsor der Messe, finanzierten
Studie zufolge, schrumpfte der Kunstmarkt 2016 um elf Prozent auf 57
Milliarden Dollar. Das sind rund zehn Milliarden weniger als 2014, als der
Kunstmarkt mit 68 Milliarden Dollar Umsatz sein Allzeithoch erreichte. Wie
viel diese Zahlen wirklich besagen, ist fraglich. Jenseits der
Auktionsergebnisse ist der Großteil der Kunstmarktinformation nicht
zugänglich. Allerdings verzeichnete auch der globale Auktionshandel einen
deutlichen Einbruch der Erlöse, die um 26 Prozent auf 22 Milliarden Dollar
fielen.
Natürlich gab es auch die ganz teuren Stücke auf der Art Basel Hongkong wie
etwa einen Roy Lichtenstein für zehn Millionen Dollar bei Lévy-Gorvy.
Gleichwohl erklärt die Galerie gegenüber The Art Newspaper, dass sie an den
ersten zwei VIP-Verkaufstagen Arbeiten für unter einer Million am meisten
verkaufte. Hoch im Kurs scheint auch Fernando Botero zu stehen, auf den
sich Gmurzynska aus der Schweiz mit einer ganzen Reihe von Gemälden und
auch Skulpturen kaprizierte.
Die dicken runden Damen und Herren des kolumbianischen Künstlers
dominierten auch den Stand der Münchner Galerie Thomas, die Botero mit der
einen oder anderen Picassozeichnung paarte, wo es sich motivisch anbot. Und
selbst auf der Satellitenmesse Art Central in einem Zelt direkt am Hafen
zeigte die Opera Gallery mit nicht weniger als zwölf Dependancen in aller
Welt wie etwa in Beirut oder Aspen, Colorado, eine Handvoll reizender
Botero-Dickerchen.
Keinen Botero gab es selbstverständlich bei den Berliner Galerien, die
neuere Arbeiten ihrer Künstler vorstellten. Esther Schipper etwa Philippe
Parreno, die Galerie König viel, vielleicht sogar zu viel Gold von Jorinde
Voigt, Contemporary Fine Arts setzt auf Dana Schutz und Cecily Brown,
Carlier Gebauer auf Peter Stauss und Eigen + Art auf Tim Eitel.
In der Messe-Sektion für raumgreifende skulpturale Installationen,
Encounters, hat Rirkrit Tiravanija (bei neugerriemschneider) ein
Bambuslabyrinth mit Bonsais erreichtet, während nebenan Alicja Kwade
(Galerie König) sechs Meter lange Stahlträger zu einer Skulptur stapelte,
die auch Sitzbank war. Wolfgang Tillmans bei Buchholz wurde nicht
nachgefragt, er war für Hongkong anscheinend zu teuer.
Großartig Nagel/Draxler, die im Rahmen des Kabinett-Formats ausschließlich
mit Heimo Zobernig auftraten, seiner wunderschönen Serie zum
Mondrian-Gitter. Im gleichen Format stellte Buchmann Keramikarbeiten der
deutsch-iranische Künstlerin Bettina Pousttchi vor, in denen sie New Yorker
Stadtbilder in Serie brennt. Candida Höfer hatte sich für ihr Kabinett bei
Ben Brown Fine Arts (Hongkong, London), selbst die Bilder ihrer
Bibliotheksserie ausgewählt. Erstmals in der Discoveries-Sektion in
Hongkong dabei und schon ein Gewinner ist André Schlechtriem mit Julian
Charrière, der für die Shortlist der BMW Art Journey nominiert wurde.
## Radioaktives Material vom Bikini-Atoll
Seine Fotografien bestrickender Sonnenuntergänge an tropischen
Meeresgestaden überziehen wie Blitze silberne Flecken: belichtetes
radioaktives Material des Bikini-Atolls, das auf den Fotos festgehalten
ist. Charrière, der in seinen multimedialen Arbeiten bildende Kunst mit
Wissenschaft, Land-Art mit Archäologie, Romantik mit Science-Fiction
verbindet, nennt sich selbst einen „Zukunftsarchäologen“.
Ein solcher könnte in diesen Tagen der Pressekonferenzen und
Verlautbarungen China als Museumslandschaft entdecken. Hongkong, Shenzhen
und Shanghai befinden sich in einem harten kulturellen Konkurrenzkampf. Im
Oktober eröffnet in Shenzhen die Design Society, eine Kooperation
chinesischer Investoren und dem Londoner Victoria and Albert Museum, das
dort Teile seiner Designsammlung des 20. und 21. Jahrhunderts zeigen wird.
Der Vertrag, noch von Martin Roth unterzeichnet, läuft fünf Jahre. Auch das
nicht weniger ehrgeizige Pariser Centre Pompidou wird in Shanghai eine
Dependance eröffnen. Nach einem ersten gescheiterten Anlauf vor zehn Jahren
wird es nun in dem von David Chipperfield erbauten West Bund Art Museum
unterkommen. Auch ein Berliner Museum ist gewissermaßen schon bald in China
zu besichtigen: Die viel gelobte Binnenstruktur des von Herzog de Meuron
geplanten Museums der Moderne mit den offenen Passagen als Raum zum
Flanieren zeigt identisch das M+ Museum, das 2019 in Hongkong eröffnet.
28 Mar 2017
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
zeitgenössische Kunst
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Moderne Kunst
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