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# taz.de -- Art Basel Hongkong 2019: Vormarsch der Frauen
> Kunst ist eben nicht nur Markt. Das zeigt sich auch auf der Messe in
> Hongkong. Und deshalb werden die KünstlerInnen immer stärker.
Bild: Andacht im Altarraum der chinesischen Künstlerin von Lu Yang, nominiert …
Discovery heißt die Plattform mit 25 Galerien auf der Art Basel Hongkong
(ABHK), die jungen Talenten durch eine Einzelausstellung die Chance geben
will, frühzeitig in ihrer Karriere auf der Messe vertreten zu sein.
Eigentlich möchte man ja meinen, Entdeckungen zu machen sei das A und O
jeder Kunstmesse. Zumindest können sie nicht ausbleiben, wenn auf engstem
Raum das ganze Spektrum von internationalen Künstler*innen und
Galerist*innen zu finden ist. Warum also werden sie noch einmal besonders
etikettiert?
Weil es, um ganz klar zu sein, die einfachste Übung ist, über die
asiatische Dependance der Art Basel zu gehen und dabei nur Bekanntes zu
entdecken. Marc Spiegler selbst, der Herr der Schweizer Kunstmesse,
bedauerte bei der Pressekonferenz zur Eröffnung der 7. Ausgabe der ABHK,
dass Galerien, die nicht mit den ganz großen Namen aufwarten könnten oder
wollten, im derzeitigen Messegeschäft richtig zu kämpfen hätten.
Es war also ein kluger Zug von Max Hetzler, der, als Newcomer erstmals mit
seiner Berliner Galerie auf der Messe vertreten, frischen Wind ins Geschäft
bringen sollte, dann doch mit Abstraktionen von Albert Oehlen im Gepäck
anzureisen. Aktuelle, farblich schon zu verführerische Arbeiten.
Mit einer einzigen Oehlen-Abstraktion aus dem Jahr 1988 bestritt denn auch
Mega-Galerist Larry Gagosian sein neues Format „Art Basel Hongkong Online
Viewing Room“. Nur drei Stunden, nachdem der Raum am Freitag, also sechs
Tage vor Messebeginn geöffnet war, soll das Gemälde für 6 Millionen Dollar
und damit teurer als Oehlens Auktionsrekord von 4,7 Millionen für „Stier
mit Loch“ verkauft worden sein.
## Art Basel Hongkong Online Viewing Room
Gagosians Online Viewing Room ist von teuflischer Raffinesse. Mit ihm
erreicht der Galeriekonzern mit international 18 Showrooms den denkbar
größtmöglichen Kreis vermögender Sammler, denen er anstrengende Reisen
erspart, ohne ihnen das Aphrodisiakum des Konkurrierens vorzuenthalten.
Denn wie in Hongkong auf der Messe kommt der- oder diejenige zum Zuge, wer
sich zuerst für die gezeigte Arbeit entscheidet.
Mit großen Namen warteten auch Sprüth Magers (Berlin, London und Los
Angeles) auf. Freilich hat es mit den Namen Barbara Kruger, Louise Lawler,
Jenny Holzer, Cindy Sherman und Rosemarie Trockel eine offensichtliche,
besondere Bewandtnis, gehören sie doch durchweg Künstlerinnen. Und die sind
nicht die erste Wahl der großen Sammler.
Im Anfang des Monats veröffentlichten Kunstmarktbericht 2019 der Art Basel
und UBS stellt denn auch Marc Spiegler fest, dass Künstlerinnen immer noch
nur einen winzigen Anteil an den Spitzenverkäufen des Kunstmarkts haben und
anders als die Männer in weitaus geringerem Maße von internationalen
Topgalerien vertreten werden.
Der Ehrgeiz, das zu ändern, veranlasste Monika Sprüth, damals noch in Köln
zu Hause, schon 1985 unter dem Titel „Eau de Cologne“ eine von drei
Publikationen begleitete Ausstellungsreihe mit jungen, vielversprechenden
Künstlerinnen zu starten. Eben den schon genannten Künstlerinnen. Und nun
zeigen Sprüth Magers bis zum 12. April in ihrer temporären Pop Up Gallery
in Hongkong Central eine vierte, um Astrid Klein, Marlene Dumas und Kara
Walker erweiterte Ausgabe von „Eau de Cologne“.
## Die überfällige Schau, die zum Klassiker wurde
„Eigentlich war eine solche Schau schon 1985 längst überfällig“, sagte
Monika Sprüth gegenüber der Presse. Sie hätte nicht erwartet, rund 35 Jahre
später noch immer auf Mission zu sein. Jetzt, um mit dieser Geschichte die
Zuversicht junger asiatischer Künstlerinnen zu stärken.
Wenn aber in den Messehallen Künstlerinnen unübersehbar waren, dann hatte
das mit Alexie Glass-Kantor, der Direktorin von Art Space in Sydney, zu tun
und dem von ihr kuratierten Encounter-Programm. Es geht dabei um die zwölf
großformatigen Installationen, die traditionell je zu dritt in die vier
Gänge der Messehallen gruppiert werden.
Auffallend gleich bei Eintritt in die Halle auf Ebene eins war der silberne
Zeppelin der koreanischen Künstlerin Lee Bull (Preis ab 200.000 Dollar).
Man stellte ihn sich in dem hellblauen, mit weißen Wölkchen betupften
Himmel vor, den die marokkanische Künstlerin Latifa Echakhch freilich an
eine zerbrochene Vorhangstange gehängt hatte, von der er vor allem im Boden
versank. Immerhin die Wolken aus weißen Baumwollfäden, in die die
japanische Künstlerin vom Prenzlauer Berg, Chiharu Shiota, die
Metallumrisse von Booten versteckte, sie schwebten unbeirrt dahin (350.000
Dollar).
Den Vormarsch der Frauen stützte auch die eingangs erwähnte
Discovery-Sektion. Denn hier, unter den jungen Talenten, findet auf der
ABHK eine exzellent besetzte Jury die drei Anwärter*innen für die BMW Art
Journey. Die Nominierten erarbeiten ihren je eigenen Reiseplan, der ihr
Werk und ihre Kunstpraxis weiterentwickeln soll. Neun Monate später
entscheidet dann auf der Art Basel Miami eine weitere Jury, wer von den
dreien wirklich auf Reisen geht. Es wird in jedem Fall eine Frau sein. Denn
die jetzt Normierten sind drei Künstlerinnen.
## Neonschriller Altarraum für Multimedia und Virtual Reality
Clarissa Tossin, die von Commonwealth and Council, Los Angeles, vertreten
wird, arbeitet in Hongkong mit DIY-Verfahren zum Recyclen von Plastik, die
alte Handwerkspraktiken wiederbeleben. Ganz anders [1][Lu Yang] bei
Société, Berlin. Die in Schanghai lebende Künstlerin verwandelt die
Ausstellungskoje in einen neonschrillen Altarraum von Multimedia und
Virtual Reality. Bei Shen Xin aus London, vertreten durch die MadeIn
Gallery in Schanghai, geht es in ihrer Vierkanal-Videoinstallation
„Commerce des Esprits“ um Perspektiven und Leistungsfähigkeit verschiedener
Philosophien.
So herausfordernd und damit fördernd die BMW Art Journey für Künstler*innen
ist, so undankbar ist sie für Presse und Medien. Für sie gibt es wenig zu
berichten, denn auf der einen Seite existieren die Reisepläne der
Nominierten noch nicht, und auf der anderen Seite hat der letzte Gewinner
der Art Journey, Zac Langdon-Pole, gerade erst den zweiten Teil seiner
Reise angetreten.
Darüber lässt sich allgemein zwar viel, konkret aber eher weniger sagen.
Dass in Zeiten, wo alles auf dem Prüfstand steht, was nicht auf Heller und
Pfennig abgerechnet werden kann, Corporate Sponsoring im Bereich der
bildenden Kunst so wenig eigennützig auftritt, ehrt den Sponsor.
Er ist auch bei Artsy engagiert, einer Onlineplattform, zu deren
Dienstleistungen die Information über Künstler*innen und ihre Werke, Preise
und Galerien gehören, weiter Informationen zu Museen, Sammlungen,
Stiftungen und deren Programme, zu Auktionen und, last not least, auf der
ABHK inauguriert: die City Guide App, über die sich das gesamte Kunstleben
in den sechs Städten New York, London, Hongkong, Paris, Los Angeles und
Berlin erschließen lässt. Hier ist der Sinn des Sponsoring evident: So eine
App lässt jedes BMW-Navigationssystem noch etwas glanzvoller ausschauen.
## Fabriken werden Galerien
Das einen dann ins Polizeigefängnis von Hongkong führen könnte. Nur der
Kunst wegen. Denn heute befindet sich im ehemaligen Polizeigebäudekomplex
das staatlich finanzierte Kulturzentrum Tai Kwun, wo Susanne Pfeffer,
Direktorin des Frankfurter MMK, bis zum 28. April die Ausstellung
„Performing Society: the Violence of Gender“ zeigt. Elf Künstler*innen
setzen sich mit der strukturellen Gewalt von Geschlechterbeziehungen
auseinander, einer Thematik, die Kunstinstitutionen in Asien im Zuge der
auch dort aufgekommenen #MeToo-Debatte aufzugreifen beginnen.
Diese strukturelle Gewalt kommt auch in The Mills zur Sprache, einer
ehemaligen Baumwollspinnerei, zu der einen die City Guide App in den Vorort
Tsuen Wan navigiert. Dass Hongkong reich und längst der Epoche der
Industrieproduktion entwachsen ist, zeigt der Prozess von „Fabriken werden
Galerien“, an dem The Mills mit dem Umbau der Spinnerei 6 in ein Centre for
Heritage, Arts & Textile teilhat. Workshops, eine Dauerausstellung zur
Geschichte der Baumwollverarbeitung in Hongkong und wechselnde, thematisch
anschlussfähige Kunstausstellungen werden durch ein dreimonatiges
Artist-in-Residence-Programm ergänzt.
Als die philippinische Künstlerin Alma Quinto im Rahmen dieses Programms
2018 nach Hongkong kam, wurde sie bei ihrer Erkundung der Stadt immer
gefragt: „Ist das dein freier Tag?“ Was dazu führte, dass sie, die
Philippinerin, die in Hongkong automatisch für eine Hausangestellte
gehalten wurde, ihre wirklichen Leidensgenossinnen zum Kunstprojekt
[2][„Day off?“] einlud.
## Stofffrau mit Stoffkamera
In der derzeitigen Kunstausstellung sind von ihnen gefertigten
Stoffskulpturen zu sehen. Dabei fällt eine Frauenfigur mit einer großen
Kamera an der Hand auf. Natürlich denkt man sofort an das fotografierende
Kindermädchen Vivian Maier, von dem philippinische Hausmädchen eher nichts
wissen dürften. Könnte es also sein, dass bestimmte Produktionsmittel und
mit ihnen verbundene Sehnsüchte über die Zeiten und die Kulturen hinweg
Befreiung und Emanzipation verheißen?
Kunst ist eben nicht nur Markt. Das zeigt sich auch in Hongkong. Und
deshalb werden die Frauen auch immer stärker. Wie sagte Leonard Cohen?
First we take Manhattan … erst nehmen wir uns die Institutionen, und dann
nehmen wir uns den Markt.
2 Apr 2019
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!5512857&s=Brigitte+Werneburg+Burlafingen/
[2] https://youtu.be/_-GPVBOLBNU
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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