# taz.de -- Bremer Ausstellung „Bildhauerinnen“: Ein Hauch von Gegengift | |
> Das Gerhard-Marcks-Haus und das Paula-Modersohn-Becker-Museum zeigen eine | |
> bestechende Analyse struktureller Benachteiligungen von Frauen in der | |
> Kunst. | |
Bild: Friss die Kunst: Verena Pfisterers „Lutschwürfel“ | |
BREMEN taz | Völlig frei von Skepsis kann man in diese Ausstellung nicht | |
gehen. Bildhauerei von Frauen steht auf dem Programm, und auch wenn der nur | |
scheinbar schlichte Titel „Bildhauerinnen“ unruhig zwischen | |
Selbstverständlichkeit und Sensation flirrt, drängen doch ganz andere | |
Fragen. Soll das Geschlecht nun ernsthaft Klammer sein für so krass | |
unterschiedliche Positionen aus über hundert Jahren Kunstgeschichte? | |
Reduziert das die Künstlerinnen nicht notwendig auf ihr Frau-Sein? Und wie | |
kommen zwei sonst zuverlässig problembewusste Einrichtungen wie das | |
Gerhard-Marcks-Haus und das Paula-Modersohn-Becker-Museum nur auf solche | |
Ideen? | |
Doch die Geschichte wird ein gutes Ende nehmen. Die auf zwei Häuser | |
verteilte Schau entkräftet die Vorbehalte zügig und doch lohnt es, den | |
Gedanken noch einen Moment zu halten. Da ist das Gegenargument, Frauen | |
seien in der Kunst nun einmal unterrepräsentiert – in der Bildhauerei erst | |
recht – und so eine große Ausstellung sorge ja höchstens für einen | |
Bruchteil der lange überfälligen Aufmerksamkeit. Wirklich bemerkenswert ist | |
aber, wie die Schau es vollbringt, ihre programmatische Schwäche in eine | |
echte Glanzleistung zu verwandeln. | |
Statt die Schau chronologisch aufzubereiten, wie zuvor in den Städtischen | |
Museen Heilbronn als drittem Kooperationspartner, hat der Bremer Auftritt | |
der Ausstellung die globale Frauen-Kunst-Kiste erst einmal in Stücke | |
geschlagen – in Abteilungen, die sich ausdrücklich „Hürden“ nennen und | |
„Klischees“. | |
Und da steht man dann so zwischen all den erwartbaren historischen | |
Mutti-Skulpturen (plus Baby auf dem Arm, versteht sich) und bekommt die | |
Produktionsbedingungen dieser Arbeiten um die Ohren gepfeffert. Bis 1919 | |
hatten deutsche Künstlerinnen keinen Zugang zu den Akademien, Aktkurse mit | |
männlichen Modellen waren ein Ding der Unmöglichkeit. Was blieb, waren eben | |
das weibliche Motiv und das Kind. Dass es durchaus eine Rezeption gab und | |
gibt, die solche Themen biologistisch als Ausdruck von fraulicher Neigung | |
deuten, ist eine völlig andere Geschichte – und kann nicht das Problem der | |
Künstlerinnen sein. | |
Auch von anderen Hürden ist zu erfahren: das Material etwa, das schon von | |
wegen Gewicht als Männersache gilt, aber auch die ernsten Themen. Jenny | |
Wiegmann-Mucchi etwa, die in der Böttcherstraße zu sehen ist, war | |
Kommunistin und Partisanin, was bis heute irritiert, weil es aus dem | |
Wahrnehmungsmuster fällt. | |
Das Schlaglicht auf den Schwierigkeiten hat nun allerdings gar nichts | |
Entschuldigendes, es ist nicht defizitär, sondern eine weitere Spur zum | |
historischen Verdienst dieser Frauen. Marcks-Haus-Direktor Arie Hartog | |
betont, wie die Künstlerinnen sich in den Nischen nicht nur eingerichtet | |
haben, sondern dort „Herausragendes vollbracht haben“. Im Bereich | |
Tierplastiken etwa, hat man Frauen machen lassen, weil das Sujet so harmlos | |
schien. Daraus erwuchs aber Spezialisierung – und damit kam dann eben doch | |
auch ein Hauch von Ruhm: Die Vorlage zur berühmten „Bambi“-Trophäe stammt | |
etwas von der Heidelberger Bildhauerin Else Bach, ähnlich bekannt ist Renée | |
Sintenis’ „Berliner Bär“, mit dem sie das Wappentier als Skulptur umsetz… | |
Die Expertise über das Spezialgebiet mag noch als Zufallsprodukt | |
durchgehen, aber die Ausstellung erzählt auch von bewusst angewandten | |
Strategien von Frauen, sich aus der Marginalisierung herauszuarbeiten. In | |
der Böttcherstraße erzählt Direktor Frank Schmidt, wie sich Künstlerinnen | |
männliche Pseudonyme zulegen, oder die niedrigeren Preise ihrer Arbeiten | |
offensiv einsetzen, um auf den Markt zu drängen. | |
Ein letzter Hinweise darauf, wie ernst es die Ausstellung mit ihrem | |
repräsentativen Anspruch meint, ist, wie die wenigen Berühmtheiten nicht | |
offensiv im Zentrum, sondern auf Augenhöhe mit ihren zu Unrecht vergessenen | |
Kolleginnen präsentiert werden. Neben großen Namen wie Käthe Kollwitz, | |
Clara Rilke-Westhoff oder Renée Sintenis zeigt die Schau etwa Else Bach, | |
Priska von Martin oder Verena Pfisterer, die sich ganz bewusst aus dem | |
Kunstbetrieb zurückgezogen hatte – und ihn zwar von außen, aber doch mit | |
den Mitteln der Kunst kritisierte. Gleich am Eingang des Marcks-Hauses | |
steht ihr „Lutschwürfel“, ein Stück Kunst aus Liebesperlen. Zum Wegfresse… | |
Insgesamt sind knapp 100 Arbeiten von rund 50 Künstlerinnen zu sehen, die | |
zwischen 1806 und 1948 geboren wurden. | |
Die Verteilung auf beide Museen kitzelt ihr Übriges aus dem beachtlichen | |
Konvolut: weil es eben sehr unterschiedliche Kontexte sind, an denen die | |
Arbeiten andocken. Im Marcks-Haus werden die Bildhauerinnen von der Figur | |
her gedacht, mit Fragen nach Materialästhetik und Tradition. Die | |
Böttcherstraße kann zwar über ihren Hausgeist Bernhard Hoetger (dessen | |
Schülerin Emy Röder hier zu sehen ist) an die Bildhauerei anknüpfen, | |
versteht ihren Anteil aber viel eher im Zusammenhang von Expressionismus | |
und der Frage nach dem Gesamtkunstwerk: Tanz, Körper und Tiere bestimmen | |
hier die Arbeiten. | |
Der üppige Ausstellungskatalog führt dann noch diverse Künstlerinnen, die | |
in der Ausstellung aus Platzgründen nicht zu sehen waren, womit sich | |
schließlich das nächste große Verdienst des Projekts offenbart. „Die | |
Forschung fängt gerade erst an“, sagt Hartog und meint auch tatsächlich | |
einen Start und nicht das Defizit. Denn tatsächlich haben die in der | |
Kunstwelt durchaus wahrgenommenen Vorarbeiten zur Ausstellung längst auch | |
andere Museen und Sammler aufgescheucht, die eigenen Bestände noch mal neu | |
auf unterschätzte Künstlerinnen hin zu sichten. | |
6 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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