Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zeitgenössische Kunst: Black Artists Matter
> Die Art Expo Chicago entpuppt sich als überaus spannende Kunstmesse –
> dank dem starken Auftritt afroamerikanischer Künstler*innen.
Bild: Kerry James Marshalls „Knowledge and Wonder“ (Ausschnitt) wird verste…
Es verblüfft schon. Erst jetzt machte Hans Ulrich Obrist, Künstlerischer
Leiter der Serpentine Galleries in London, während seines fünfstündigen
Interview-Marathons im Rahmen des Chicago Humanities Festival Vertreter
zweier Künstlergruppen miteinander bekannt, die beide 1968 in Chicago
entstanden und über die Zeit ihres Bestehens hinaus nachhaltige
Ausstrahlung erlangten.
Obwohl die sechsköpfigen Hairy Who? wie die fünfköpfige [1][African Commune
of Bad Relevant Artists], kurz AfriCOBRA, für den kulturellen und
gesellschaftlichen Aufbruch und Umbruch der Zeit standen, hatten sie nie
wirklich Notiz voneinander genommen. Noch 1968 agierten sie in den
getrennten Welten einer weißen und einer schwarzen Kultur- und Kunstszene.
Diese Situation scheint sich in den vergangenen 50 Jahren dramatisch
verändert zu haben. So jedenfalls stellte es sich am vergangenen Wochenende
auf der Expo Chicago, der Messe für moderne und zeitgenössische Kunst, dar.
Die Galeristen und Sammlerinnen befanden sich im intensiven Austausch mit
afroamerikanischen Künstlern und Künstlerinnen. Und so war die Expo Chicago
denn auch eine der spannendsten Kunstmessen der letzten Zeit. Hier waren
auf hohem Niveau – auch was die Preise angeht – tatsächlich mehr
Entdeckungen zu machen, als sonst auf umsatzorientierten Kunstmessen zu
erwarten ist.
Allerdings kündigte da Chicagos Bürgermeister Rahm Emanuel an, Kerry James
Marshalls Wandgemälde „Knowledge and Wonder“, das seit 1995 eine
Stadtteilbibliothek in der armen West Side schmückt, bei Christie’s
versteigern zu lassen. Mit den daraus erzielten Einnahmen soll die
Bibliothek auf den Stand der anderen Ableger der Chicago Public Library
gebracht werden. Kerry James Marshall ist der große Star der Messe. Der
überwältigende Erfolg seiner Retrospektive 2016 im Contemporary Art Museum
Chicago, die weltweit reiste, legte mit den Grund für den starken Auftritt
schwarzer Künstler und Künstlerinnen auf der Expo Chicago.
## Vielfältiger Protest
Dazu komt das 50-jährige Jubiläum von 1968. Es hat in Chicago einen
bitteren Beigeschmack, woran die Galerie Corbett vs. Dempsey mit der
Rekonstruktion der response shows erinnert, mit denen die Galerien,
Künstler und Künstlerinnen damals gegen die Polizeigewalt beim Parteitag
der Demokratischen Partei protestierten. Jetzt protestiert die Szene
erneut, nun gegen den Ausverkauf von Kunst und Kultur durch Rahm Emanuel.
Und Kerry James Marshall beklagt sich, „die Stadt der breiten Schultern“
versuche noch das letzte bisschen Geld aus den Früchten seiner Arbeit
herauszupressen.
In diesem Frühjahr war es nämlich die Messegesellschaft der Stadt, die sein
1997 mit öffentlichen Geldern erworbenes Gemälde „Past Times“ bei Sotheby…
versteigern ließ. Seine Version des europäischen Adelsporträts, die eine
wohlhabende afroamerikanische Familie beim Golfen und Wasserskifahren
zeigt, brachte ihr nun rund 21 Millionen Dollar ein. Dass Rahm Emanuel
ankündigte, im nächsten Jahr nicht mehr für sein Amt zu kandidieren, hängt
freilich mit dem Versuch der Stadt Chicago zusammen, die Untersuchungen zur
offensichtlich grundlosen Tötung eines schwarzen Teenagers durch einen
weißen Polizisten zu verschleppen und behindern. Der Polizist wurde
vergangenen Freitag von den Geschworenen des second degree murder schuldig
befunden.
Einen anderen Star der Messe präsentierten gleich beim Eingang in die
Festival Hall auf dem Navy Pier, wo die Expo nun wieder ihr Zuhause hat,
Roberts Projects aus Culver City in Kalifornien: Kehinde Wiley, der zuletzt
mit seinem Barrack-Obama-Porträt für die National Portrait Gallery in
Washington für Furore sorgte. Auch „St. Francis Contemplating a Skull“ von
2018 folgt seinem standardisierten Schema, das einen jungen
afroamerikanischen Mann in einer aus der Geschichte der abendländischen
Malerei bekannten Pose zeigt. In altmeisterlicher Manier in Öl gemalt,
trägt er gerne modische Kleidung in satt leuchtenden Farben und posiert vor
einem ornamentalen Hintergrund aus üppigen Blumenranken. Mit 200.000 Dollar
sollte man wenigstens rechnen, für diese Salonkunst der etwas feineren,
konzeptuellen Art.
## Harmonie von Haut und Stahl
Dagegen sind die Fotografien von Deana Lawson, die schräg gegenüber bei
Rhona Hoffman zu sehen waren, sehr viel beunruhigender. Auch Lawson setzt
auf sorgfältig inszenierte Porträts, allerdings sind afroamerikanische
Familien, die sie inmitten ihrer Wohnungseinrichtungen fotografiert, ihr
Motiv. Die Vielzahl der Gegenstände, die „Barbara and Mother“ (2017)
einrahmen, lassen zunächst übersehen, dass die Mutter ihre aus schwarzem
Stahl gefertigte Beinprothese zeigt. Die Harmonie von Haut und Stahl nennt
die Fotografin explizit als Grund ihrer Aufnahme.
Nur wenige Schritte weiter stößt man bei der Galerie Maruani Mercier auf
Arbeiten von Hank Willis Thomas. Der 1976 in Plainfield, New Yersey
geborene Konzeptkünstler konzentriert sich in seinem Werk auf die
Darstellung des Körpers des afroamerikanischen Mannes und dekonstruiert
dabei sehr klug dessen stereotype Darstellung in Medien und Werbung. Sein
„Clown“, eine Montage aus Sportjerseys mit den Originalaufdrucken von
Labels und Slogans, zeigt die Silhouette eines Baseballspielers, und kostet
50.000 Dollar. Die Galerie bietet aber auch einen mit 800.000 Dollar
veranschlagten „Toy Soldier“ an, den George Condo 1992 in kubistischer
Version malte.
## Schwarze schwule Subkultur
Luhring Augustine aus New York präsentieren mit der 1967 in Chicago
geborenen Simone Leigh ebenfalls eine afroamerikanische Künstlerin, die vor
allem mit Keramik arbeitet und dabei traditionelles Kunsthandwerk aus der
globalen schwarzen Diaspora mit Fragen des feministischen und
postkolonialen Diskurses verbindet. Die 1985 gegründete Galerie vertritt
schon seit Längerem die bekannten afroamerikanischen Konzeptkünstler Glenn
Ligon und Jason Moran. Letzterer ist vor allem als Jazz-Pianist berühmt.
Mit seiner Installation aus Nachbauten zweier vergangener Jazzclubgrößen in
Manhattan, „Staged: Savoy Ballroom 1“ (2015) und „Staged: Three Deuces“
(2015) machte er als bildender Künstler auf der letzten Biennale von
Venedig nachdrücklich auf sich aufmerksam.
Besonders spannend wurde es bei der De Buck Gallery. Ihre Koje mit den
beiden afroamerikanischen Nachwuchskünstlern Devan Shimoyama und Rashaad
Newsome wirkte verstörend vulgär. Der 1989 geborene Devan Shimoyama
thematisiert in seinen Porträts seine Herkunft und Identität im
Zusammenhang der schwarzen schwulen Subkultur. Dabei argumentiert er ebenso
mit sachlich-präziser Malerei wie mit glamourösen, gerne als effeminiert
geschmähten Materialien wie Diamantstaub, Strassschmuck, Pailletten und
Federn. Elemente der schwarzen Sub- und Popkultur wie queeres Voguing oder
Gucci-Kult definieren auch die protzig-skurrilen Collagen von Rashaad
Newsome, dessen Werk Skulptur, Musik, IT-Praxis, Tanz und Performance auf
rasante Weise zusammenbringt.
Der viele Bling-bling irritiert das Schema des runtergekühlten rationalen,
abstrakt-minimalistischen Modernismus genauso wie das der wilden,
expressiven Farb- und Blutschlachten der bösen Buben in der Kunst des
vergangenen Jahrhunderts. Am meisten trifft es sich mit dem Farb- und
Formüberschwang von AfriCOBRA und den Comic-Environments der Hairy Who?.
Kavi Guptas Koje war analog zur AfriCOBRA-Ausstellung in der Galerie in der
Elizabeth Street inszeniert. Art Green und Gladys Nilsson vertraten die
Hairy Who? bei der Garth Greenan Gallery, New York. Eine kleine
Papierarbeit von Gladys Nilsson schien für 8.500 Dollar geradezu
erschwinglich, Gemälde lagen dann bei 90.000 bis 120.000 Dollar.
7 Oct 2018
## LINKS
[1] /Afro-amerikanische-Kunst-in-London/!5452032
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Chicago
Kunstmesse
Black Lives Matter
Biennale Venedig
Ethnologie
Anti-Rassismus
Kunstmarkt
Ausstellung
Sklavenhandel
Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Preise für Schwarze Künstlerinnen: Hegemonien entflechten
Von der „Betroffenenkunst“ zur Auseinandersetzung mit Diversität: Warum
Sonia Boyce und Simone Leigh in Venedig ausgezeichnet wurden.
Koloniales Erbe in der Fotografie: Geschichte beim Namen nennen
Die Universität Harvard besitzt historische Aufnahmen von schwarzen
Sklaven. Jetzt ist eine Debatte entbrannt: Darf sie die Bilder weiter
vermarkten?
Chicagos neue Bürgermeisterin: Schwarze lesbische Frau an der Macht
Lori Lightfoot ist die neue Bürgermeisterin Chicagos. Sie ist Schwarz und
lesbisch – eine doppelte Premiere für die amerikanische Stadt.
Art Basel Hongkong 2019: Vormarsch der Frauen
Kunst ist eben nicht nur Markt. Das zeigt sich auch auf der Messe in
Hongkong. Und deshalb werden die KünstlerInnen immer stärker.
Große Bruegel-Ausstellung in Wien: Der Meister der Handelsmetropole
Pieter Bruegel d. Ä. wurde viel zu lange auf Genrebilder reduziert. In Wien
gibt es nun die Gelegenheit, den Maler neu zu entdecken.
Empire Windrush in der British Library: In London ist ihr neues Zuhause
Zwei Ausstellungen in London beschäftigen sich mit der konfliktreichen
Geschichte schwarzer MigrantInnen in Großbritannien.
Afro-amerikanische Kunst in London: Als die Mauern Seele hatten
In der Tate Modern und im Barbican Arts Centre richten zwei Ausstellungen
den Blick auf afro-amerikanische Kunst und ihre Inspiration durch Jazz.
Kunst und Architektur in Chicago: Durchstarten am Michigansee
Chicago ist eine sich wandelnde Stadt und will eine neue Identität in der
Stadtgesellschaft. Die Doppeleröffnung von Expo und Biennale ist ein
Zeichen dafür.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.