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# taz.de -- Künstlerinnen in Museen: Revision einer Sehschwäche
> Die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ in Berlin zeigt das Fördern und
> Vergessen von Künstlerinnen. Ein nach wie vor aktuelles Thema.
Bild: Maria von Parmentiers „Der Hafen von Dieppe“, 1878, Nationalgalerie B…
In Berlin in der Potsdamer Str. 81a befindet sich im Hinterhof eine alte
Villa, benannt nach Anton von Werner, Hof- und Gesellschaftsmaler der
Kaiserzeit und vierzig Jahre lang Präsident der Akademie der Künste. 1879
ließ er in die von ihm reformierten Regeln für die Aufnahme in die
künstlerische Ausbildung eigens hineinschreiben: „Schülerinnen finden keine
Aufnahme.“ So kam es, dass in Berlin Frauen zum offiziellen Kunststudium
erst 1919 zugelassen wurden, in dem Jahr, in dem Frauen auch das Wahlrecht
erhielten.
Schräg gegenüber von Werners Villa liegt im Hinterhof der Potsdamer Straße
98a ein schönes Backsteingebäude, in dem der älteste Künstlerinnenverein
Deutschlands, 1867 gegründet, aus diesem Grund eine eigene Mal- und
Zeichenschule unterhielt. Denn dem verwehrten akademischen Studium zum
Trotz gab es ja Künstlerinnen, die für den privaten Unterricht bei Malern
oft ein Vielfaches von dem bezahlen mussten, was es für Männer kostete. Der
Verein der Berliner Künstlerinnen und Kunstfreundinnen schuf in dieser
Situation Abhilfe.
Die Malerin Dora Hitz, die von der Königin von Rumänien gefördert worden
war, gehörte zu den Frauen, die Ende des 19. Jahrhunderts von ihrer Kunst
leben konnten und Anerkennung fanden. In Berlin hat sie 1898 die Berliner
Secession mitbegründet, eine Künstlergruppe, die den Impressionismus in
Deutschland auf den Weg brachte, in Opposition zur akademischen Malerei.
## Geschenk der „Gönnerinnen“
Von ihr besitzt die [1][Alte Nationalgalerie, die die Impressionisten] mit
Ankäufen förderte, als diese bewegte Malerei jung war, ein großes Bild:
„Kirschenernte“. Allerdings war es nicht als Kauf in das damals als
fortschrittlich angesehene Museum gekommen, sondern als Geschenk der
„Gönnerinnen“ der Malerin. Es ist eine in windbewegte Farbflecken
aufgelöste ländliche Szene, fast idyllisch im Zusammenkommen von spielenden
Kindern und sich ausruhenden Frauen, bis auf einen Mann am Rand, der eine
der Pflückerinnen unangenehm bedrängt.
Die „Kirschenernte“ von Dora Hitz ist jetzt in der Ausstellung „Kampf um
Sichtbarkeit“ in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen. Die zeigt
vor 1919 entstandene Werke von Künstlerinnen aus dem Bestand; die meisten
von ihnen sind heute kaum noch bekannt. Die Schau ist Teil einer Revision
der eigenen Sammlung, die eben auch Schwächen eingestehen und Fehlstellen
markieren muss. Nur 2 Prozent der Werke im Bestand vor 1919 stammen von
Künstlerinnen, ausgestellt davon wurde noch weniger. Dabei hatte es selbst
im 19. Jahrhundert schon eine größere Präsenz von Künstlerinnen gegeben.
## Marinebilder über dem Sofa
1881 widmete die Nationalgalerie der zwei Jahre zuvor an Typhus gestorbenen
Maria von Parmentier eine Gedächtnisausstellung mit 107 Arbeiten. Sie war
Landschafts- und Marinemalerin, einer auch in privaten Haushalten beliebten
Gattung. Der wolkenverhangene Himmel und die schmale Silhouette der Stadt
in ihrem „Hafen von Dieppe“ (1878) erinnern an die ältere niederländische
Malerei. Auch dieses Bild kam als Geschenk, von den Schwestern der
Künstlerin, in die Sammlung. Die Kunstgeschichte ließ solche Werke gern als
epigonal aus ihrem Kanon fallen. Auch das sorgte für das Vergessen von zu
ihrer Zeit anerkannten Künstlerinnen.
Im Katalog arbeiten Yvette Deseyve und Ralph Gleis, verantwortlich für die
Ausstellung, auch Statistik auf. Hätte man gedacht, dass bei den Großen
Berliner Kunstausstellungen zwischen 1893 und 1918 920 Künstlerinnen
beteiligt waren?
1855 malte Elisabeth Jerichau-Baumann ein Doppelporträt von Jacob und
Wilhelm Grimm, das sich in vielen Reproduktionen großer Bekanntheit
erfreute. So hing es auch bei meiner Großmutter über dem Sofa, dass es
freilich von einer Malerin war, war nie Thema. Dabei ist deren Geschichte
schon erstaunlich, immerhin ernährte sie die Familie mit acht Kindern und
einem bildhauernden Gatten, unternahm zahlreiche Bildungsreisen bis nach
Ägypten und die Türkei, und stellte international aus. Von ihr würde man
gerne mehr sehen als nur die Brüder Grimm.
## Kaiser Wilhelm bei der Polizei
Erfolg haben zu wollen, verlangte den Künstlerinnen auch Strategien als
Unternehmerin und auf gesellschaftlich repräsentativem Parkett ab. Vilma
Parlaghy hatte bei Franz von Lenbach in München Porträtieren als
Geschäftsmodell kennen gelernt. Ihr gelang im Kaiserreich eine
Selbstinszenierung als Künstlerin in höchsten Kreisen. Mehrfach malte sie
ihren Förderer Kaiser Wilhelm und brüskierte mit der Nutzung seines
Schutzes die Künstler, die sich jenseits der repräsentativen Gattungen
behaupteten.
Ein Porträt des Kaisers ist im Bestand der Nationalgalerie, war aber, wie
überproportional viele Werke der Künstlerinnen, an eine Behörde ausgeliehen
– seit 1940 an das Polizeipräsidium. Dass Vilma Parlaghy nach dem Ersten
Weltkrieg in Vergessenheit geriet, überrascht nicht.
Als Ende der 1970er Jahre die Suche nach den vergessenen Malerinnen begann,
gehörten Anna Dorothea Therbusch (1721–1782) und Sabine Lepsius (1864–1942)
zu den glücklich Wiederentdeckten. Die Selbstporträts, die die Alte
Nationalgalerie von beiden besitzt, sind Ikonen in der Geschichte der
Malerinnen geworden, vielfach angeführt eben auch ob ihrer malerischen
Qualität und des selbstreflexiven Gestus.
## Ansteckende Zufriedenheit
Therbusch, von ihrem Vater ausgebildet und mit einem Berliner Gastwirt
verheiratet, konnte erst mit 40 Jahren, nach der Kinderphase, mit ihrer
Kunst richtig loslegen. Sie malte sich mit 60 Jahren als ältere Frau in
hell leuchtender Seide, ein Buch in der Hand, eine Lupe zum Lesen
vergrößert ein Auge, mit dem sie den Bildbetrachter anblickt. Es ist ein
Bild von ansteckender Zufriedenheit, ich, Malerin, habe mir diesen Status
erarbeitet. Fast hundert Jahre später blickt die junge Sabine Lepsius den
Betrachter – oder sich selbst im Spiegel – skeptisch an, die Palette in der
Hand. Es ist ein Bild der Fragen, was wird es bringen, das Leben mit der
Malerei?
60 Werke sind ausgestellt, von 33 Malerinnen und 10 Bildhauerinnen.
Angedeutet wird auch die Geschichte von verlorengegangenen Werken. So sieht
man eine schwarz-weiße Reproduktion einer „Bayerischen Landschaft“ (1917)
von Ines Wetzel, die mit weiten, schwingenden Pinselstrichen einen
expressionistischen Gestus ansteuert. Das Bild wurde im August 1937 von der
nationalsozialistischen Kunstpolitik, der Reichskammer, beschlagnahmt und
vermutlich vernichtet. Die jüdische Malerin starb 1940 im
Konzentrationslager Dachau.
Der Katalog und die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ sind interessant
durch die unterschiedlichen Geschichten über einstmals anerkannte
Künstlerinnen, ihre Strategien auf dem Markt, ihre Förderung durch weitere
Frauen. Vor allem Letzteres ist noch immer ein relevanter Fakt, die
Künstlerinnen selbst sind nach wie vor stark im „Kampf um Sichtbarkeit“
gefordert.
Vor der Ausstellung in der Alten Nationalgalerie waren es zwei
Künstlerinnen, Ines Doleschal und Ellen Kobe, die das historische Datum,
1919 Zulassung zum Akademiestudium für Frauen, aufgriffen mit ihrer
[2][Ausstellung „Klasse Damen“.] Sie brachten historische Werke mit
zeitgenössischen Reflexionen über die Bedingungen von Künstlerinnen auf dem
Kunstmarkt zusammen und thematisierten, wie das mangelnde Wissen über
Künstlerinnen weiter tradiert wird. Ihre Ausstellung in einer kommunalen
Galerie, Schloss Biesdorf, am Rande von Berlin-Marzahn, bekam keine
öffentliche Förderung. Hatte aber am Ende 35.000 BesucherInnen, viel für
einen kaum eingeführten Kunstort.
23 Oct 2019
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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