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# taz.de -- Ausstellung zu Malerin Maria Lassnig: Mit dem Körper erkennen
> Die österreichische Malerin Maria Lassnig übte extreme Selbstbefragung
> und untersuchte die eigenen Mittel. Das Kunstmuseum Bonn widmet ihr eine
> Schau.
Bild: Multiple Ich-Empfindungen malen: Maria Lassnig, 3 Arten zu sein (Ausschni…
Der Mund ist leicht geöffnet, aber will er wirklich zu uns sprechen? Es ist
vielleicht eher ein Staunen, ein überraschtes Erkennen, unterwandert von
Entsetzen und sogar Ekel, das sich in dieser auffordernden Miene ausdrückt
und in den Selbstporträts von Maria Lassnig immer wiederkehrt. Ihr ganzes
langes künstlerisches Schaffen malte die [1][österreichische Künstlerin,
die 2014 bald 95-jährig in Wien starb], mit unerbittlich scharfem Blick
sich selbst.
Der geöffnete Mund ist nur eines ihrer Leitmotive, das variiert
wiederkehrt. Ein anderes ist der das betrachtende Gegenüber (oder das
eigene Spiegelbild?) unverwandt fixierende Blick. Oder die entschiedene
Geste des Malens mit dem großen Pinsel, den sie wie ein Schwert schwingt.
Und dann natürlich die eigene Nacktheit, schonungslos ausgestellt auch noch
im hohen Alter.
Wie in dem späten Akt „Du oder ich“ von 2005, der das durchaus spektakulä…
Plakatmotiv der Bonner Retrospektive ist. Da ist Lassnig bereits 86 Jahre
alt, sie malt sich mit gespreizten Beinen, jenem geöffneten Mund, bohrendem
Blick aus eisblauen Augen und mit kraftvoll expressivem Strich. Eine
Pistole hält sie sich selbst an die Schläfe, die andere richtet sie auf das
Gegenüber. Ein Selbstporträt, kraftvoll aufgeladen in der Frage nach und
dem Konflikt mit dem Anderen.
Vierzig Arbeiten aus allen ihren Schaffensperioden zeigt das Kunstmuseum
Bonn und verzichtet auf eine chronologische Hängung, sondern ordnet die
Räume nach Themen, die untereinander verbunden sind. Die Anordnung ist so
luftig, dass Lassnigs wuchtige Bilder auch atmen können.
Kuratorin Stefanie Kreuzer bezeichnet die Dramaturgie der Ausstellung als
„erkenntnistheoretischen Parcours“, an dessen Beginn sie bewusst das
Thema Selbstporträt gesetzt hat. Diese Zentralachse von Lassnigs Werk ist
zu verfolgen von einer frühen Arbeit von 1945 bis hin zu einem ihrer
letzten Selbstporträts von 2010, vier Jahre vor ihrem Tod.
## Imperativ an die Betrachtenden
Der Untertitel der Ausstellung („Wach bleiben“) ist durchaus ambigue
gemeint, denn er bezeichnet Lassnigs intellektuelle Wachheit als
Lebensmotto, das in Selbstauskünften gipfelt wie „Ich widerspreche mir
lieber, als dass ich mich wiederhole“. Dieser Imperativ richtet sich aber
auch an die Betrachtenden.
„Körperbewusstseinsbilder“ hat die auch sprachmächtige Künstlerin – de…
Selbstbefragungen in Form von ihren Gedichten auf Wandtexten zu lesen sind
– ihre Ich-Erkundungen genannt. Ihre Frage: Was kann ich fühlen, wenn ich
mich selbst wahrnehme? Eine dieser Befragungen nimmt die eigenen Füße in
den Fokus, denn die sieht man eben zuerst, wenn man ohne Spiegel an sich
selbst herabsieht.
Lassnig wollte aber nicht nur sehend den eigenen Empfindungen nachgehen und
abbilden, was eben zu sehen ist, sondern dumpfe Empfindungen wie Druck und
Schmerz verbildlichen, Farben finden für Angst, Enge, Verlorenheit. Das
einzig wirklich reale waren ihr die Körperempfindungen.
## Verweise auf die Kunstgeschichte
Dabei bleiben ihre Porträts meist skizzenhaft, oft fehlen etwa die Haare,
ein anderes Mal tritt das Gehirn als zentrales Organ der Erkenntnis aus dem
Kopf heraus („Dame mit Hirn“ aus den 1990er Jahren). Sie schließen zudem
die Reflexion über die Mittel und insbesondere das Medium der Malerei mit
ein, ebenso Verweise auf die Ikonografie der Kunstgeschichte. Wie etwa das
Gemälde „Sanduhr“ von 2001, wo sie sich wiederum ohne Haare mit einer
[2][abgelaufenen Sanduhr] in der Linken zeigt.
Oder das weitaus frühere, mit ungleich feinerem Strich gemalte
„Selbstporträt mit Stab“ (1971), wo die Malerin selbst ausnahmsweise die
Lippen zusammenpresst. Hinter ihr die in Umrissen gemalte Mutter, die
ihre Hände besitzergreifend auf die Schultern der Tochter legt. Die Malerin
hält dabei einen Stab, der von Weitem aussieht, als habe er sie durchbohrt.
Doch tatsächlich hält sie, aus der Nähe betrachtet, beide Teile des Stabs
vor dem Körper in scheinbar sicherer Distanz. Bricht hier jemand den Stab
über den anderen, oder ist das ein Hinweis auf das Motiv des von Pfeilen
durchbohrten heiligen Sebastian der christlichen Ikonografie?
Neben dem zentralen Thema der Selbstporträts widmet sich die Schau auch den
teils in verstörender Weise dargestellten multiplen Ich-Empfindungen, wie
etwa in dem Bild „3 Arten zu sein“, das ein weibliches Ich einmal
vollständig, dann ohne Arme und mit einem Schweinsrüssel zeigt. Darüber
hinaus sind viele Malereien zu sehen, die das Körperempfinden ins Abstrakte
sublimieren. Hinzu kommen ausgewählte Zeichnungen sowie eine Filmarbeit aus
New York, wo sie sich einige Jahre aufhielt. Eine konzentrierte Schau, die
eine radikale Künstlerin würdigt.
23 Mar 2022
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Maria-Lassnig/!5042820
[2] /Wie-sich-die-Biennale-aenderte/!5117899
## AUTOREN
Regine Müller
## TAGS
Ausstellung
Zeitgenössische Malerei
Künstlerin
Österreich
Frauen im Film
Bildende Kunst
Kunst
Malerei
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