# taz.de -- Künstlerinnen am Weltfrauentag: „Aufstehen für mehr Sichtbarkei… | |
> Am Weltfrauentag besetzen Künstlerinnen in Berlin den Platz vor der | |
> Gemäldegalerie. Ein Gespräch mit Mitinitiatorin Rachel Kohn. | |
Bild: Für mehr Sichtbarkeit: Probeauftritt von Künstlerinnen vor der Berliner… | |
Frauen sind in der Kunstwelt immer noch unterrepräsentiert. Zwar sind | |
mittlerweile über 60 Prozent der Absolvent:innen von Kunstschulen | |
weiblich, die meisten Ausstellungen zeigen jedoch mehr männliche Künstler. | |
In Ausstellungen mit Kunst vor und um 1900 sieht es freilich noch düsterer | |
aus: Gerade einmal 1 Prozent der Bilder in diesen Ausstellungen stammen von | |
Frauen. | |
Dabei gebe es durchaus Werke von Künstlerinnen – diese lagern jedoch | |
verborgen in Depots, meint Rachel Kohn. Sie ist Vorsitzende des | |
Frauenmuseums Berlin und hat [1][unter dem Namen „fair share!“] eine Aktion | |
für die Stärkung weiblicher Kunst ab 14 Uhr am Weltfrauentag ins Leben | |
gerufen. Dabei soll etwa der Platz vor der Gemäldegalerie mit Namen von | |
mehr oder weniger bekannten Künstlerinnen beschriftet werden. | |
taz: Frau Kohn, wofür protestieren Sie am Montag vor der Gemäldegalerie? | |
Rachel Kohn: Wir wollen für mehr Sichtbarkeit von Künstlerinnen aufstehen. | |
Erinnern Sie sich an die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie, | |
[2][„Kampf um Sichtbarkeit“, für die die Alte Nationalgalerie ihre Depots | |
aufgemacht hat] und Werke von Künstlerinnen vor 1919 gezeigt hat? Zwar war | |
es keine sehr große Ausstellung, aber sie war trotzdem ein großer Erfolg. | |
Das Publikum ist sehr daran interessiert, Kunst von Künstlerinnen zu sehen. | |
Auch die Ausstellungen in der Berlinischen Galerie zu Lotte Laserstein oder | |
[3][Jeanne Mammen waren Publikumserfolge]. Insofern sind wir der Meinung, | |
dass der Fokus auf Kunst von Frauen viel, viel größer sein sollte, als er | |
bisher ist. | |
Wie schwer ist es für Künstlerinnen in Berlin, Erfolg zu haben? | |
Berlin war in den 90er Jahren ein tolles Experimentierfeld. Jetzt sind | |
sehr, sehr viel mehr Künstlerinnen und Künstler nach Berlin gezogen. | |
Insofern wird es hier natürlich mit den Möglichkeiten ein bisschen knapper. | |
Und es ist eine Art Haifischbecken. Die Konkurrenz ist groß. Man ist in der | |
Kunst immer ein bisschen ein Einzelkämpfer und muss gucken, dass man | |
irgendwo bleibt. Und wir als Künstlerinnen wollen da natürlich auch | |
mitmischen und an dem Ausstellungsbetrieb möglichst beteiligt sein. | |
Wie schlägt sich das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern zahlenmäßig | |
nieder? | |
Im Hamburger Bahnhof gingen laut einer Studie von Gantner und Horst | |
zwischen 2010 und 2020 22 Prozent der Einzelausstellungen an Künstlerinnen. | |
In der Neuen Nationalgalerie waren es von 2000 bis 2015 nur 6,12 Prozent. | |
Die Alte Nationalgalerie hat noch nie eine Einzelausstellung zu einer | |
Künstlerin gezeigt, weil sie einfach auch zu wenig Werke von Künstlerinnen | |
gesammelt hat und es leider immer noch so ist, dass die Ankaufsetats | |
hauptsächlich für bekannte Männer ausgegeben werden, statt einmal | |
anzufangen, auch Künstlerinnen zu sammeln, um überhaupt mal ein Œuvre | |
zeigen zu können. | |
Es wäre sehr interessant, da etwas zu kaufen, was auch noch nicht so teuer | |
wäre wie die Werke männlicher Künstler, die alle schon ihr Renommee haben. | |
Die Preise für Werke von Lotte Laserstein sind alle stark gestiegen. Das | |
ist aber nur deswegen so, weil sie jetzt diese museale Anerkennung hat. | |
Präsent war sie vorher auch schon, aber erst dadurch, dass sie diese | |
Ausstellungen bekommen hat, ist ihr Marktwert gestiegen. | |
Hat die Coronapandemie Ihre Arbeit erschwert? Frauen sind doch bestimmt | |
auch im Kunstbereich stärker betroffen als Männer. | |
Wie in der ganzen Gesellschaft gibt es da eine Retraditionalisierung und | |
vor allem die Künstlerinnen, die Kinder haben, sind sicherlich belasteter | |
als die männlichen Kollegen – wobei es im Einzelfall auch genau umgekehrt | |
sein kann. Aber natürlich sind die Frauen viel öfter mit Care-Aufgaben und | |
Homeschooling beschäftigt. Und das geht von ihrer Zeit im Atelier ab, wenn | |
sie eins haben. Wenn sie keins haben und zu Hause arbeiten, gab es jetzt | |
zum Beispiel gar keine Auszeiten mehr. | |
Wünschen Sie sich mehr Unterstützung von offizieller Seite? | |
Der Gender Pay Gap in der Kunst ist schon vor der Coronapandemie gestiegen, | |
auf 31 Prozent. Und jetzt wird man sehen, ob er noch weiter steigen wird. | |
Es wird sich noch zeigen, was die Pandemie für Schäden in der bildenden | |
Kunst, aber auch in der Bühnenkunst und Musik angerichtet hat. Und überall | |
ist es wirklich verheerend, sehr traurig, wie gering die Stellung ist, die | |
die Kultur in der Politik genießt, obwohl man immer wieder sagt, sie sei | |
systemrelevant. | |
Aber dass man zum Beispiel die ganzen kommunalen Galerien immer noch | |
geschlossen hält, ist wirklich ein Unding. Es gäbe so viele Konzepte, etwa | |
nur einzeln oder zu zweit Besucher:innen hineinzulassen. Das | |
Frauenmuseum Berlin hat eine Ausstellung in der Kommunalen Galerie, die | |
schon seit Oktober hängt und auf eine Eröffnung wartet. | |
Haben Sie eine Lieblingskünstlerin, die zu wenig geschätzt wird? | |
Da ist die Antwort nicht leicht. Eine Künstlerin, deren Arbeiten ich | |
schätze, ist Alicia Kwade, die inzwischen schon sehr bekannt ist, aber ich | |
könnte auch Heike Ruschmeyer nennen, deren Werke mich berühren oder | |
Jacqueline Diffring, die letztes Jahr 100-jährig gestorben ist und die ein | |
großartiges umfangreiches Oeuvre hinterlassen hat. | |
7 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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