| # taz.de -- Berliner Kunst- und Modeprojekt: Mit Lumpen dekolonisieren | |
| > Barbara Caveng thematisiert in ihrer Kunst die Modeindustrie. Im | |
| > kleinsten Waschsalon Berlins arbeitet sie mit Stücken von der Straße. | |
| Bild: Barbara Caveng und Alice Fassina in ihrem „Waschsalon Renata“ in Berl… | |
| Nirgends in Berlin ist es wohl so dreckig wie in Neukölln. Eine Straße ohne | |
| Plastikmüll oder ausrangierte Möbelstücke ist nicht ganz leicht zu finden. | |
| Müll? Für Barbara Caveng sind die Neuköllner Gehsteige eine große | |
| Fundgrube. [1][Seit Neuestem wühlt die Künstlerin] regelmäßig in | |
| Weggeworfenem. „Es ist wie eine Schatzsuche“, sagt sie. Caveng ist auf der | |
| Suche nach Kleidung. „Ich sehe mich ein wenig in der Tradition der | |
| mittelalterlichen Lumpensammler:innen.“ | |
| Ihre Fundstücke bringt die 57-Jährige dann in ihren kleinen Waschsalon. In | |
| der Jansastraße 12 sollen auch Nachbar:innen gefundene Kleidung waschen | |
| können. „Nach dem Waschen kommt noch unser Label drauf, und schon sind die | |
| Klamotten wieder im Kreislauf“, sagt Caveng. Wer mag, kann sich auch andere | |
| Stücke mitnehmen. [2][„Streetware Saved Item“ nennt sie ihr Gesamtprojekt,] | |
| das sich rund um den absurd schnelllebigen Modebetrieb dreht. Caveng will | |
| den Prozess dahinter beleuchten, auf die kolonialistischen Machtgefüge | |
| aufmerksam machen. | |
| Neben der Künstlerin steht eine Schneiderpuppe mit einem halbfertigen Kleid | |
| aus Etiketten. „Made in China“ steht auf den meisten, auch „Turkey“ oder | |
| „Mauritius“. Will man den Modebetrieb ernsthaft reformieren, kommt man ums | |
| Dekolonisieren nicht herum. Das Waschen sei dafür eine passende Metapher. | |
| Etwas reinzuwaschen, „aus Schwarz mach Weiß“, das Bleichen – da schwinge | |
| viel mit, sagt Caveng. Ihr gehe es weniger ums bloße Recyceln als darum, | |
| Kleidung als Insignien wirtschaftlicher Macht darzustellen. | |
| Der Kampf gegen die Wegwerfindustrie gleicht ohnehin einem Kampf gegen | |
| Windmühlen. Allein in Altkleidercontainer wird in Deutschland jährlich über | |
| eine Million Tonnen Kleidung gegeben. Fußballfelder oder das Saarland | |
| lassen sich hier vergleichsweise nicht mehr bemühen, aber füllte man diese | |
| Menge in Lkws, würden diese aneinandergereiht eine Schlange vom | |
| nördlichsten bis zum südlichsten Punkt Deutschlands bilden. Dass | |
| Kleiderspenden bereits lokale Textilmärkte in Afrika zerstört haben, kommt | |
| noch hinzu. „Ich halte den Menschen für komplett überreizt“, sagt Caveng. | |
| „Die Dinge haben keinen Wert mehr für uns.“ Dabei sei Kleidung ungeheuer | |
| politisch. Caveng engagiert sich mit ihrer Kunst auch im Ausland, war in | |
| Kriegsgebieten im Irak und Syrien unterwegs. Die Lebenssituation | |
| unterscheide sich zwischen den Ländern enorm, die Kleidung manchmal jedoch | |
| kaum. „Ich habe Kleidung in den Booten in Lampedusa gesehen, die genauso | |
| auch in meinem Kleiderschrank hängen könnten“, erzählt sie. | |
| Der Wert der Kleidung | |
| Doch auch hierzulande ist Kleidung je nach Lebenslage unterschiedlich viel | |
| wert. Obdachlose etwa müssten bei ihrer Auswahl besonders auf das Material | |
| achten, sagt Alice Fassina. „Kunstfaser geht nicht, das stinkt zu schnell.“ | |
| Fassina ist Kostümbildnerin und arbeitet gemeinsam mit Caveng an | |
| „Streetware“. Der karitative Teil ist ihnen neben der Kunst wichtig. So | |
| fahren die beiden regelmäßig mit ihrer frisch gewaschenen Kleidung durch | |
| die Nachbarschaft und bieten sie Wohnungslosen an. Der Aufzug fällt auf; | |
| Caveng und Fassina präsentieren die Stücke auf einer Kreuzung zwischen | |
| Wäscheständer und Kinderwagen. Einmal wöchentlich bieten sie zudem Touren | |
| zum Thema Obdachlosigkeit an; unter Führung von Jan Markowsky, der selbst | |
| einige Jahre auf der Straße gelebt hat. | |
| „Mein Outfit ist übrigens – von der Strumpfhose bis zum Spitzen-BH – | |
| komplett von der Straße“, erzählt Caveng. Aufgefallen wäre das nicht. | |
| Kleidung von der Straße, das Spiel mit Vintage, steht echter Bedürftigkeit | |
| natürlich krass entgegen. Dieses Spannungsverhältnis auf die Spitze treibt | |
| das vierköpfige Team hinter „Streetware“ mit ihrem Lumpenball, der – so … | |
| Pandemie es erlaubt – im Juli stattfinden soll. „Er geht zurück auf den | |
| ersten Lumpenball in Wien 1872“, sagt Fassina. Adlige kleideten sich in | |
| Lumpen – echte Armut wurde so verhöhnt. Der Berliner Ball soll als | |
| Abschluss des „Kongresses auf der Kleiderhalde“ stattfinden. Dafür werden | |
| 20 Tonnen Kleidung aufgeschüttet; auf diesen Hügeln wird dann eine Woche | |
| lang diskutiert. Ort und Zeit stehen noch nicht fest. | |
| Überhaupt haben Caveng und ihr Team noch viel vor. Outdoor-Aktionen, | |
| weitere Stadtführungen und Workshops mit Jugendlichen sind bereits in | |
| Planung. Gesichert ist die Finanzierung für das Waschprojekt allerdings | |
| zunächst nur für ein halbes Jahr. „Traumhaft wäre daher ein richtiger | |
| Waschsalon“, sagt Caveng. Arbeit hinterm Bügelbrett – steht das einem | |
| modernen Frauenbild nicht entgegen? Die Künstlerin lacht. „Dass wir mit | |
| diesen Motiven nur spielen, sieht man doch sofort.“ Caveng wird dann doch | |
| nachdenklich. Dass das Bild von zwei waschenden Frauen falsche | |
| Assoziationen wecken könnte, darauf sei sie überhaupt nicht gekommen. In | |
| ihrer Wirklichkeit waschen Männer längst genauso häufig wie Frauen. „Aber�… | |
| seufzt sie, „man denkt schließlich immer, wir wären schon weiter, als wir | |
| es tatsächlich sind. Auch was Feminismus betrifft.“ | |
| 24 Mar 2021 | |
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| [1] /Von-Gefluechteten-gestaltete-Ausstellung/!5325645 | |
| [2] https://streetware-saved-item.net/ | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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