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# taz.de -- Internetradio statt Soli-Party: Romantic Radio aus Berlin
> Verbindung der Nachbarschaft, Verbindung über die Zeiten hinweg: Das
> Internet Radio Refuge Worldwide ist schnell gewachsen und hat große
> Pläne.
Bild: George Patrick ist einer der Gründer:innen von Refuge Worldwide
Klickt man sich online durch die verschiedenen Musiksets des Internetradios
[1][Refuge Worldwide], schlägt einem sofort die typische Ästhetik eines
Berliner Musikprojekts entgegen. Schöne junge Menschen machen Musik unter
originell klingenden Genrenamen; die Künstler:innenfotos sehen
gleichzeitig professionell und nach Vintage-Schnappschüssen aus.
Doch hinter dem Projekt steckt mehr als Hedonismus und Freude an der Musik.
Radio Refuge Worldwide will vor allem marginalisierten Gruppen eine
Plattform bieten. Seit Ende Januar sendet der Berliner Sender nun Musik und
Talkshows.
Momentan geschieht das pandemiebedingt meist aus den Wohnungen der
Künstler:innen, doch Refuge Worldwide hat ein eigenes Studio in Neukölln
in Aussicht. „Wir halten den Mietvertrag bereits in Händen“, sagt George
Patrick. „Der Ort ist perfekt.“
Patrick ist einer der Gründer:innen von Refuge Worldwide. Bevor das
Projekt zum Radiosender wurde, hat sein Team vor allem Events veranstaltet.
„Ich bin nach Berlin gezogen, als die syrische Flüchtlingskrise gerade
anlief“, erzählt der gebürtige Schotte. „Das war Augen öffnend. Einfach
hier herzukommen, zwar als Ausländer, aber eben als weißer Mann mit einem
Pass, und überhaupt keine Probleme zu haben.“
## Flüchtlingskrise als Augenöffner
Patrick arbeitet in der Musikbranche, seitdem er 18 ist. „Ich habe für
Festivals, Musikläden, im Eventmanagement, in der Filmproduktion und im
Clubmanagement gearbeitet; mal für mich selbst, mal für große, mal für
kleine Firmen“, zählt er auf. Als die Geflüchteten Europa erreichten, sei
für ihn der Punkt erreicht gewesen, zu handeln. „Ich habe mich gefragt: Was
mache ich hier eigentlich?“
Etwa fünf Jahre lang hat er dann gemeinsam mit Freunden Solipartys
veranstaltet. Zunächst für Geflüchtete, aber schnell rückten auch andere
Gruppen in den Fokus. „Jugendzentren, Obdachlose oder Unterkünfte für
Menschen, die vor häuslicher Gewalt fliehen etwa“.
Die Idee, eine eigene Radiostation zu betreiben, ist erst in der Pandemie
geboren. Für Minderheiten wollen sie sich weiterhin einsetzen. „Die
Kuration ist eine Form von Aktivismus“, sagt George. „Wem du eine Plattform
gibst, welche Themen du ansprichst. Das Radio erlaubt es uns, mehr
Menschen, mehr Themen und verschiedene Arten von Musik zu integrieren.“
Anfangs sei es einfach gewesen, Künstler:innen und DJs für Radioshows zu
gewinnen. Mittlerweile bekomme man so viele Anfragen, dass man kaum noch
Schritt halten könne.
## Nachhaltig wachsen
4.000 Zuhörer:innen hat Refuge Worldwide regelmäßig. Weiter wachsen
möchte das Team schon – aber nachhaltig. Unterstützen lässt sich das Format
momentan etwa über den Social-Payment-Anbieter Patreon. „Ich musste meinen
Job kündigen, um das hier ernsthaft weiterzumachen“, sagt Patrick. „Um uns
zu finanzieren, brauchen wir Sponsoren. Aber dafür können wir natürlich
nicht irgendwen, zum Beispiel Adidas oder so was, nehmen. Wir suchen nach
Firmen, die zu uns passen.“
Nun mittels Crowdfunding Geld zu sammeln, fühlt sich auch für Patrick noch
ungewohnt an. „Es ist ein bisschen unheimlich“, meint er. „Sonst haben wir
Geld gesammelt, um es zu spenden, und jetzt behalten wir es für das Radio.
Das fühlt sich schon komisch an.“
Patrick ist vom Konzept Radio überzeugt. „Radio ist romantisch, es ist
zeitlos. Es hat so viele technologische Revolutionen überstanden;
Kassetten, CDs, Streaming – und Radio bleibt immer. Das ist unüblich.“ Ihm
gefalle, wie Radio die Menschen auch über verschiedene Zeiten heute noch
verbinde.
Internetradio liegt schon seit einigen Jahren im Trend. Neben simplen
Onlineshows sind auch immer mehr interaktive Radioformate online zu finden.
Über Radio Garden lassen sich etwa Radiostationen auf der ganzen Welt
anklicken. Vom Jemen über Kambodscha bis zu den Aleuten: Pop- und
Housemusik ist mittlerweile überall beliebt.
## Internetradio im Trend
Tiefer in die Musikgeschichte eintauchen lässt es sich hingegen mit
Radiooooo. Hier lässt sich nicht nur das Land, sondern auch das Jahrzehnt
auswählen. Zwischen Songs aus dem damaligen Niederländisch-Indien der
40er-, somalischem 60er-Jahre-Rock oder Disco und Acid Jazz, der in
Venezuela in den 90ern populär war, ist die Spannbreite an möglichen
Neuentdeckungen deutlich größer.
Radio Refuge Worldwide möchte zukünftig vor allem Berliner
Künstler:innen featuren. Die angebotene Vielfalt ist durchaus
beeindruckend. Weit über 100 Shows hat das Kollektiv seit Betriebsaufnahme
gesendet. Der Fokus liegt auf elektronischer Musik, House und Ambient.
Immer wieder finden sich spannende Ansätze.
Vio PRG etwa, einst Journalistin in Rumänien, setzt sich heute für
Gleichberechtigung und weibliche Repräsentanz im Musikbusiness ein und
mischt in ihrem Set Disco mit Brazilian Experimental und Synthiesounds. Das
klingt mal zart, mal traumtänzerisch und auch nach heftigen 80er Rhythmen.
Eine andere Show wird von Tom und Finn Johanssen gespielt. Die [2][beiden
Köpfe der Kreuzberger Paloma Bar] mischen in knapp 100 Minuten ein Set aus
2-Step und House fürs heimische Wohnzimmer zusammen. Bei der Show von Femme
Bass Mafia stehen nur Frauen, trans und nicht binäre Menschen hinter den
Plattentellern.
## Mehr inklusive Talkshows
Insbesondere im Talkshow-Bereich will Refuge Worldwide noch wachsen. Einige
Shows gibt es bereits zu hören: In „Black Brown Berlin“ kommen etwa
Menschen aus der schwarzen Community in Berlin zu Wort.
Patrick schwebt vor, dass das Radio in Neukölln einmal die Nachbarschaft
verbindet. „Wir werden einen Tag in der Woche nicht online gehen, sondern
Schulen oder Jugendgruppen den Studioraum anbieten, damit auch sie üben und
aufnehmen können und lernen, wie man mit professionellem Equipment umgeht.“
Einen angeschlossenen kleinen Shop zu betreiben und einmal sogar eine Bar
für Künstler:innen und Gäste zu realisieren, sei dann der nächste
Schritt.
18 Mar 2021
## LINKS
[1] https://refugeworldwide.com/
[2] /Clubkultur-und-Coronakrise/!5724473
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Radio
elektronische Musik
Musik
Soli
Berlin
Internet-TV
Kunst Berlin
Norwegen
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Rock
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