| # taz.de -- Debütalbum von Popduo Smerz: Klirrend kühl | |
| > „Believer“, das Debütalbum des norwegischen Elektronikduos Smerz, wirft | |
| > mit ungewöhnlichen Mischungen die Imaginationsmaschine an. | |
| Bild: Catherina Stoltenberg und Henriette Motzfeldt sind Smerz | |
| Skandinavische Trolle tanzen auf den Boxentürmen im Berghain. 50 Cent rappt | |
| in einem skandinavischen Konzerthaus zu Klaviergeklimper. Und zwei Frauen | |
| spielen Harfe im Raumschiff auf dem Weg zum bewohnbaren Mars. Beim Hören | |
| von „Believer“, dem Debütalbum des norwegischen Duos Smerz, kommt die | |
| Assoziations- und Imaginierungsmaschinerie richtig ins Rotieren. | |
| Zu Recht, denn die Musikcollage der beiden jungen Künstlerinnen Henriette | |
| Motzfeldt und Catherina Stoltenberg liefert eine schlüssige Antwort darauf, | |
| wie Pop trotz der vom britischen Musikkritiker [1][Simon Reynolds] vor zehn | |
| Jahren ausgerufenen Retromania, weiterhin etwas Neues kreieren und nicht | |
| nur etwas Altes reproduzieren kann. | |
| Auch Smerz mussten ihren eigenen Stil erst mal finden. Die Kurzversion | |
| ihrer Saga: Stoltenberg und Motzfeldt besuchten dieselbe Schule in Norwegen | |
| und trafen sich auf der Musikhochschule in Kopenhagen glücklicherweise | |
| wieder. | |
| Beide hatten zwar eine Chor-Vergangenheit, aber Instrumente spielen konnten | |
| sie nicht. Eine gecrackte Version der Musiksoftware Ableton rettete sie | |
| schließlich in einem Kompositions-Seminar, für das alle anderen auf ihren | |
| analogen Instrumente daddelten. | |
| ## Experimente im Schlafzimmer | |
| Die Idee für Smerz formierte sich im Schlafzimmer. Stoltenberg und | |
| Motzfeldt experimentierten dort schon eine Weile mit Sounds. Sie bestehen | |
| aber darauf, dass sie keine klassischen Bedroom-Produzentinnen der | |
| Generation Soundcloud sind, die mit wenig Equipment von zu Hause aus Musik | |
| produziert. Ihre Musik ist für alle, nicht nur für eine Internet-Nische. | |
| Der Sound auf ihren ersten beiden EPs klang schon verheißungsvoll, die | |
| Beats fußten auf Footwork, man hörte Anleihen vieler angesagter | |
| Dancefloorstile, aber alles war wild durcheinandergewürfelt. Ab und an | |
| klang sogar der spröde elektronische Popsong durch. | |
| Die 16 Songs auf ihrem Debütalbum „Believer“ wirken nun stringenter. Simon | |
| Reynolds These, dass Pop ab den nuller Jahren nur noch ein ewiges | |
| Durchexerzieren von bereits Dagewesenem wurde, stellen Smerz eine manische | |
| Betriebsamkeit entgegen. Sie setzen einzelne Elemente neu zusammen und | |
| kombinieren Sounds, so, wie sie bis dato noch nicht kombiniert wurden. | |
| Dadurch entstehen interessante neue Wechselwirkungen. Smerz singen und | |
| rappen auf Norwegisch und Englisch. | |
| Sie klingen dabei aber nicht so apathisch, wie all die unmenschlich | |
| wirkenden Post-Internet-Künstler*innen. Und es hat auch mehr Flow, so, wie | |
| es ihn so höchstens mal in New York gab, hörbar bei dem Song „Glassbord“. | |
| [2][Der Rapper 50 Cent], sagten Smerz in einem Interview, sei ein großer | |
| Einfluss für sie gewesen. | |
| ## 50 Cent und Kammermusik | |
| Und auf „Glassbord“ sind mit etwas Fantasie sogar ähnliche Streicher-Sounds | |
| herauszuhören wie auf dem 50-Cent-Hit „What up Gangsta“ von 2003. Außerdem | |
| gibt es dekonstruierte Clubmusik, Ambient-Sounds, Trance und Kammermusik. | |
| All das verfeinern Smerz schließlich mit norwegischer Folkmusik, die | |
| geheimnisvoll klingt und getragen wird von ihren Falsett-Stimmen. | |
| Wenn es überhaupt so etwas gibt wie einen roten Faden in diesem | |
| Sammelsurium der Klänge, dann sind es die subtilen Nuancen, die ihr Album | |
| zusammenhalten. | |
| Faszinierend ist nun, dass Smerz neueste Produktionstechnik verwenden und | |
| in ihren Sound integrieren, um damit auf Musik zurückzugreifen, die schon | |
| viel länger existiert als Pop. Der Pool an Möglichkeiten der Rekombination | |
| ist längst noch nicht erschöpft. Am besten funktionieren die Songs auf | |
| „Believer“ dann, wenn Smerz zwei Formen von Musik zusammenführen, die auf | |
| ihre Art entmenschlicht klingen. | |
| Klirrende, kalte elektronische Musik auf der einen Seite und mystisch | |
| anmutende Folklore auf der anderen. Eines ist mit „Believer“ gewiss, | |
| solange dieses Mischen möglich ist, wird die Retromania nicht zum Problem. | |
| 17 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johann Voigt | |
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