| # taz.de -- Addressable TV in Deutschland: Schöne neue Werbewelt | |
| > Personalisierte TV-Werbung ist nicht so erfolgreich, wie sie sein könnte. | |
| > Bislang liegen die Einnahmen im zweistelligen Millionenbereich. | |
| Bild: Zielgruppenadäquate Werbung – so lernen auch Kinder früh, was sie unb… | |
| Die Privatsender ProSiebenSat.1 und RTL nennen es „ein strategisch | |
| wichtiges Innovations- und Zukunftsthema“: das sogenannte Addressable TV. | |
| Gemeint ist Werbung, die für bestimme Zuschauergruppen beim Fernsehen | |
| läuft. Zurzeit gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden im Werbeblock | |
| einzelne Spots durch solche ersetzt, die auf das jeweilige Publikum | |
| zugeschnitten sind, oder am Bildschirmrand erscheinen während des laufenden | |
| Programms Banner, sogenannte Switch-ins. Ein Tiefkühlkosthersteller etwa | |
| hat bei RTL Switch-ins gebucht, um Familien mit Kindern zu erreichen. | |
| Technisch möglich ist das auf Smart-TVs, also auf Fernsehapparaten, die | |
| internetfähig sind und die über den Standard Hybrid broadcast broadband TV | |
| (HbbTV) verfügen. HbbTV stellt die Verbindung zum Netz her und ermöglicht | |
| es, Webseiten sowie -angebote direkt auf dem Endgerät zu öffnen. So ist es | |
| möglich, ins normale Programm, wie es alle sehen, zusätzliche Fenster zu | |
| integrieren oder es mit Inhalten komplett zu überlagern. Laut | |
| [1][Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten] haben 14,5 | |
| Millionen Haushalte in Deutschland solche Fernsehgeräte. | |
| „Im Vergleich zur klassischen Rundfunkwerbung spielt es noch keine große | |
| Rolle“, sagt Thorsten Schmiege, Geschäftsführer der Bayerischen | |
| Landeszentrale für neue Medien (BLM). „Aber es wird sicher der absolute | |
| Wachstumsmarkt sein, weil man damit Youtube und Co etwas entgegensetzen | |
| kann.“ Die BLM und andere Landesmedienanstalten sind für die Zulassung, | |
| Programmaufsicht und Vielfaltssicherung der privaten Rundfunkprogramme | |
| zuständig. Tatsächlich machen die großen Internetanbieter schon jetzt | |
| Angebote, die Werbetreibende kaum ausschlagen können. Denn sie verfügen | |
| über Nutzerdaten, die [2][RTL und ProSiebenSat.1] nicht bieten können. Das | |
| soll sich ändern. | |
| Welche Daten sammeln die Sender überhaupt? „Unsere Zuschauer müssen ihre | |
| Zustimmung zu den HbbTV-Nutzungsbedingungen erteilen, wenn sie Zugriff auf | |
| Mediatheken und weitere Inhalte haben möchten“, sagt ein Sprecher des | |
| ProSiebenSat.1-Vermarkters Seven.One Media der taz. „Das ermöglicht uns, | |
| zielgruppenspezifische Werbung auszuspielen.“ Danach werde eine Art Cookie | |
| installiert, das misst, welche TV-Sendungen geschaut werden. | |
| Weitere Daten würden nicht erhoben. „Aber wenn jemand gerne ‚Taff‘ und | |
| ‚Germany’s Next Topmodel‘ schaut, kann man davon ausgehen, dass mit groß… | |
| Wahrscheinlichkeit eine junge Frau die Nutzerin ist“, sagt der Sprecher. | |
| Ähnlich würden Action- und [3][Sportfans] oder ältere Menschen | |
| identifiziert, die spezielle Werbeangebote erhielten. 1.000 solcher | |
| Kampagnen hat ProSiebenSat.1 im letzten Jahr im Auftrag von Werbetreibenden | |
| durchgeführt. | |
| ## Bedenken zum Datenschutz | |
| Die Einnahmen daraus sind mit Blick auf die gesamten Werbeeinnahmen der | |
| Sendergruppe noch bescheiden. Laut Angaben von Seven.One Media liegen sie | |
| in einem niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Aber: „Für uns ist | |
| Addressable TV eine ideale Verbindung von TV-Werbung und Onlinewelt.“ | |
| Der BLM-Chef schätzt, dass für die Privaten besonders regionalisierte | |
| Werbung attraktiv sein könnte, weil anhand der IP-Adressen leicht | |
| feststellbar sei, wo die Zuschauerschaft beheimatet ist. „Das ist noch | |
| verboten. Wie weit das Verbot europarechtlich reichen darf, ist nach einer | |
| aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs allerdings noch zu | |
| klären.“ Hintergrund der Restriktion ist der Schutz lokaler Werbemärkte, | |
| über die sich Lokalsender sowie -radios finanzieren und denen im Wettbewerb | |
| mit national agierenden Konzernen die Existenzgrundlage entzogen werden | |
| könnte. | |
| Schmiege sieht für die Konsumenten auch einige positive Aspekte, die die | |
| Verbindung aus Smart TV und HbbTV birgt. So könnten die Sender besser auf | |
| Publikumswünsche eingehen, nicht nur mit Werbung, sondern mit | |
| Zusatzinformationen zum Programm. „Zudem sind die Rundfunkveranstalter | |
| zurzeit nur zweiter Sieger im Vergleich zu den Plattformen, wenn es um | |
| Werbung geht. Jetzt könnte ein Stück Waffengleichheit eintreten. Aber wir | |
| müssen auch schauen, wie mit den Daten umgegangen wird und wie sich die | |
| Werbemärkte möglicherweise verändern.“ | |
| Etwas stärker fallen die Bedenken von Andreas Mundt aus. Nutzer müssten | |
| sich darüber bewusst sein, so der Präsident des Bundeskartellamts, dass die | |
| für Adressable TV erforderliche Hard- und Software in aller Regel auf ihrem | |
| Smart-TV bereits installiert ist: „Verbraucher sollten generell darauf | |
| achten, welche Daten sie mit den Anbietern teilen. Bei der Ersteinrichtung | |
| eines Smart-TV kann man datensparsame Einstellungen wählen und der | |
| Datennutzung auch mal widersprechen. | |
| Nicht benötigte Apps können trotzdem Daten sammeln – die könnte man | |
| deinstallieren. Und wichtig ist natürlich auch, mögliche Datenlecks zu | |
| verhindern – durch regelmäßige Sicherheitsupdates.“ Er betont, dass | |
| Addressable TV nicht ohne Profilbildung funktioniere. Es sei technisch | |
| „ohne Weiteres“ möglich, die Datenerfassung auf alle Medieninhalte | |
| auszudehnen, die über das Fernsehen abgespielt werden – auch Mediatheken | |
| und zugespielte Videos: „Wenn die Nutzer darüber nicht richtig informiert | |
| sind, werden sie gewissermaßen ausspioniert.“ | |
| 30 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.die-medienanstalten.de/publikationen/digitalisierungsbericht-vi… | |
| [2] /Wechsel-vom-OeR-zum-Privatfernsehen/!5779498 | |
| [3] /Fans-und-SportlerInnen-gegen-Verbaende/!5781079 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Urbe | |
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